Briefe des Paulus

Zum Bibelkanon gehörig?

 

Juni 2006

 

 

Was würde geschehen, wenn ich (ein Bibelkritiker, Ketzer, Häretiker, …) ein Schreiben an irgendeine Kirchenorganisation schicken würde, ggf. einen Aufsatz über Glaubensfragen im Internet veröffentlichen würde?

 

Rein gar nichts! Bestenfalls bekomme ich eine Mail oder ein Antwortschreiben.

 

Was hat Paulus anderes getan als ich?

Sicherlich kann man mich nicht eins zu eins mit Paulus vergleichen, das will ich auch gar nicht versuchen. Wir leben in ganz unterschiedlichen Zeiten. Doch genauso:

·       wie Paulus ein Eiferer für die Sache war, bin auch ich es.

·       wie Paulus sich anfangs für die falsche Sache engagierte, tat auch ich es.

·       wie Paulus Briefe schrieb, tue auch ich es.

Es gibt also gewisse Parallelen. Doch die Briefe des Paulus wurden in den Bibelkanon mit aufgenommen, was nachträglich gewiss eine große Ehrerweisung an den heiligen Paulus war. – Das hatte gravierenden Folgen für die christliche Kirche und die Lehren von Christus.

 

In den Bibelkanon aufgenommen

Paulus schrieb also, vom Eifer seiner Mission getrieben, Briefe an die Gemeinden, mit denen er sich verbunden fühlte. Aus guter Absicht gab er in diesen Briefen wohlmeinende Ratschläge. – Doch was hat man mit seinen Briefen gemacht? Man hat sie später zu einem Teil der Bibel erklärt!!!

Und was als Teil der Bibel gilt, das gilt als heilige Schrift, das gilt als von Gott inspiriert, das gilt als von Gott gewollt und natürlich (weil von Gott) als unabänderlich und verbindlich.

Hat Paulus dieses wirklich so verinnerlicht, geschweige denn gewusst?

Bestimmt nicht!

 

Paulus setzte Maßstäbe

Weil das so war, wurde die paulinische Interpretation des christlichen Glaubens vordergründig der Maßstab für die Christenheit. Paulus schrieb Briefe; er war des Schreibens kundig und so konnte er Maßstäbe setzen. Seine Mitstreiter (sie waren längst nicht immer seiner Meinung) haben sich weniger gut schriftlich ausdrücken können. Ihr Wort ist verblasst. Es klingt nur noch unterschwellig in einigen Kommentaren des Paulus nach. Ihre Lehren und Ansichten fanden keinen Eingang in den Kanon der Bibel. Das ist gewiss sehr einseitig, wenn man von den wenigen Briefen anderer neutestamentlicher Schreiber absieht. 

 

Von Gott gewollt?

Worauf will ich hinaus?

Wenn ich etwas schreibe, ist das auch oftmals inspiriert. Das trifft übrigens auf die meisten Autoren zu, denn Inspiration ist der Quell aller Gedanken und zum Schreiben nun einmal von Nöten.

Weil inspiriert, sind meine Gedanken aber nicht gleich als göttlich, als wahrlich und von Gott gewollt, hinzustellen. Das wäre doch sehr überzogen? – Natürlich würde ich mich geehrt fühlen, doch damit würde ich nicht leben können. Und das hätte Paulus bestimmt ähnlich gesehen.

 

Ein Schreiber Gottes?

Seht in Paulus also einen wirklichen Kämpfer für die Sache Christi. Aber seht in seinen Schriften nicht gleich das geschriebene Wort Gottes!!!

Deswegen sollte man in seiner Kritik an Paulus auch verhaltener sein. Er war nur ein Mensch. Und als Mensch schrieb er einige Briefe.

Kritisieren sollte man jene, die aus diesen Briefen Gottes Wort machten und damit sowohl Gott als auch Paulus in Verruf brachten.

 

Ein Zeugnis des ersten Jahrhunderts

Dennoch können wir Paulus dankbar sein, dass er einst seine Briefe schrieb. Denn in diesen wird uns nicht nur seine eigene Ansicht über das Gemeindeleben übermittelt, sondern viel mehr. Wir haben damit eine authentische* Quelle zur Hand, die uns eine Menge an Informationen über die ersten Christen und ihre Glaubensansichten liefert.

 

*authentisch, weil die überlieferten Schriften des Paulus mit grösster Wahrscheinlichkeit ein schriftliches Zeugnis jener Zeit** sind, was man von den meisten Schriften des AT nicht behaupten kann.

 

**eingedenk der Möglichkeit, dass einige der Paulusbriefe in Wirklichkeit von anderen Autoren stammen könnten.

 

Paulus wurde zum Maß für die Christen

Jene, die nach Paulus zu den Lenkern der Christengemeinde wurden, konnten sich mit den Schriften des Paulus weit besser identifizieren als mit anderen Zeitzeugnissen und seien es auch nur überlieferte Ansichten. Paulus hat die jüdische Lehre weniger verfolgt als seine Mitstreiter. Dadurch wurden seine Ansichten für die Nichtjuden zweifellos ansprechender. Nicht umsonst ist Paulus der Apostel für die Nationen gewesen.

 

Gal 3,7 (Einheits)

Im Gegenteil, sie sahen, daß mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Beschnittenen -

 

Die Judenchristen bestanden uneinsichtig auf der Einhaltung des Gesetzes, um das Heil erlangen zu können. Paulus haben wir es vordergründig zu verdanken, dass für die noch junge Christengemeinde diese belastenden Vorschriften kein "Muss" wurden. Der Galaterbrief ist ein Zeugnis dafür, dass sich Paulus sehr für die Freiheit vom Gesetz der Juden einsetzte. Er musste dafür kämpfen, denn ewig gestrige aus den eigenen Reihen klebten an der Tradition. – Heute finden wir bei den Christen eine sehr ähnliche Situation vor.

Jetzt geht es nicht mehr darum, sich vom Gesetz der Juden zu befreien, sondern vom Buchstaben des "Wortes".

 

Unbeliebter Paulus

Einige Bibelzitate aus der Einheitsübersetzung, die verdeutlichen, dass Paulus bei den Juden alles andere als beliebt war:

 

Apg 9,23,29

23 So verging einige Zeit; da beschlossen die Juden, ihn zu töten.

 

29 und führte auch Streitgespräche mit den Hellenisten. Diese aber planten, ihn zu töten.

 
Apg 13,50

50 Die Juden jedoch hetzten die vornehmen gottesfürchtigen Frauen und die Ersten der Stadt auf, veranlaßten eine Verfolgung gegen Paulus und Barnabas und vertrieben sie aus ihrem Gebiet.

 
Apg 17,5,13

5 Die Juden wurden eifersüchtig, holten sich einige nichtsnutzige Männer, die sich auf dem Markt herumtrieben, wiegelten mit ihrer Hilfe das Volk auf und brachten die Stadt in Aufruhr. Sie zogen zum Haus des Jason und wollten die beiden vor das Volk führen.

 

13 Als aber die Juden von Thessalonich erfuhren, daß Paulus auch in Beröa das Wort Gottes verkündete, kamen sie dorthin, um das Volk aufzuwiegeln und aufzuhetzen.

 

Apg 18,4,6

4 An jedem Sabbat lehrte er in der Synagoge und suchte Juden und Griechen zu überzeugen.

 

6 Als sie sich dagegen auflehnten und Lästerungen ausstießen, schüttelte er seine Kleider aus und sagte zu ihnen: Euer Blut komme über euer Haupt! Ich bin daran unschuldig. Von jetzt an werde ich zu den Heiden gehen.

 

Apg 21,21

21 Nun hat man ihnen von dir erzählt: Du lehrst alle unter den Heiden lebenden Juden, von Mose abzufallen, und forderst sie auf, ihre Kinder nicht zu beschneiden und sich nicht an die Bräuche zu halten.

 

1.Kor 9,20

20 Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen.

 

 

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Autor: B. Freytag

www.fallwelt.de/bibel/bibel/paulus02.htm