Damit Drachen leben

(Aufsatz von Kersti Nebelsiek)

 

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Trügerische Ruhe. 1

Ich wünschte, ich wäre nie hierher gekommen... 5

Flucht 7

Bei lebendigem Leibe. 8

Drachenbaby. 11

Der Gefängnisleiter 12

Trunkenbolde. 15

Selbstmord. 17

Phaeriths Erwachen. 19

Erwachen des jungen Drachen. 21

Erita. 23

Die Psychologin. 24

Alpträume. 26

Organbank... 28

Khaerit zur Operation! 33

Psychologieprofessor 34

Friedenshüter 36

Lebensgeschichte. 40

Blutspende. 40

Das Ohr und der Arm... 42

Ruhige Zeiten. 45

Zentralkrankenhaus. 48

Tag des Todes. 50

 

Die Originale siehe unter: www.kersti.de

 

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Trügerische Ruhe

Ich saß in meinem Zimmer und beantwortete am Computer einen Brief. Es war ein Abschiedsbrief an meinen jüngsten Bruder, der einzige aus meiner Familie, dem ich Vertrauen entgegenbrachte. Ich brachte es nicht fertig, meine Eltern zu hassen für all das, was sie mir in meiner Kindheit angetan hatten - aber ich war heilfroh aus ihrer Macht entronnen zu sein, als ich sechzehn war und die Drachen mich fragten, ob ich nicht Drachenreiter werden wolle. Gleich bei der ersten Gegenüberstellung wurde ich dann von dem frisch geschlüpften Khaer erwählt. Und damit war für mich die Gefahr gebannt, dass mich ihre Schläge einmal statt nur ins Krankenhaus zu führen ins Grab bringen könnten.

Alles schien heute friedlich - und doch wußte ich, dass es ein trügerischer Frieden war. Die menschliche Flotte hatte den Drachenplaneten angegriffen. Und wenn sie siegten, würde höchstwahrscheinlich kein oder fast kein Drache und keiner oder fast keiner von uns Drachenreitern überleben. Es gab zwar eine Verteidigungsflotte - die von zum Drachenreich gehörigen menschlichen Kriegern und teils menschlichen teils löwenartigen Offizieren gebildet wurde - doch sie waren, so tapfer sie auch kämpften, viel zu wenige, um den Angreifern auf Dauer stand zu halten. Der höchste Offizier war ein Mensch. Der erste Mensch, der jemals eine so hohe Position im Drachenreich errungen hatte, wo das Heer früher ausschließlich von den Löwen gebildet und jetzt überwiegend von den Löwen befehligt wurde. Vor ein paar Tagen, hatten wir die Meldung erhalten, dass nicht genug Schiffe in Verteidigungsreichweite waren, um die Invasion zu verhindern.

Die Löwen waren einmal viel mehr gewesen - doch sie hatten zu viele Schlachten verloren und zu viele von ihnen waren in Kämpfen gegen eine Übermacht gefallen. Sie waren bewundernswerte Kämpfer, klug, ehrenhaft und stolz. Aber ihre Feinde aus dem menschlichen Reich waren ihnen mengenmäßig hundert zu eins überlegen. Die menschlichen Kämpfer dagegen waren im Drachenreich groß gewordene Enkel von gefangenen Menschen.

Ich tastete mit meinem Geist nach draußen zu meinem Drachen und spürte seinen gelassenen Frieden. Er lag in der Sonne und genoß ihr lebensspendendes Licht.

Dann plötzlich schlug die Stimmung um. Panik lag in der Luft. Ich hörte rennende Schritte. Sofort stürmte ich hinaus und schaute, wer da rannte. Es war Gorith. Sein Gesicht war übel verbrannt. Das Fleisch an seinen Schultern hing in großen Fetzen herunter.
"Was ist geschehen?"
Er reagierte nicht rannte nur einfach weiter... aber so, als wolle er vor irgendetwas davonlaufen, nicht so, als hätte er ein Ziel. Ich packte ihn an der gesunden Seite - er wehrte sich heftig - ich gab ihm eine Ohrfeige, um ihn zur Besinnung zu bringen.
"Was ist geschehen?"
Er starrte mich nur mit großen, leeren Augen an. Ich winkte ein Mädchen herbei, das fassungslos herumstand und befahl ihr barsch, sich um die Wunden zu kümmern. Sie starrte mich immer noch an. Ich gab ihr ebenfalls eine Ohrfeige, wiederholte meinen Befehl, ging an den Verbandskasten und reichte ihr das Zeug. Sie nahm es entgegen und sah mich immer noch nur an.
"Geh!" befahl ich scharf "Du weißt wie man sich um Wunden kümmert. Tu deine Arbeit."
Sie würde es besser machen, als ich es konnte. Sie war in der Ausbildung als Krankenschwester gewesen, bevor sie hierher kam. Sie gehorchte. Endlich konnte ich raus und fragen, was los war.

Vor der Tür unseres Hauses stand ein zehn Meter großer Drache. Nicht meiner, Goriths. Er versperrte mir mit vor Zorn rotglühenden Augen drohend den Weg und befahl mir, mich um Gorith zu kümmern.
"Das tut Dania. Und du nimmst dich jetzt zusammen und beherrscht deine Gefühle. Gorith ist im Augenblick nicht einmal ansprechbar wegen deines Zorns." befahl ich mit der Autorität eines Menschen, der es gewohnt ist, Drachen die Meinung zu sagen.
Der Zorn schlug in ein jämmerliches Weinen um, was natürlich um keinen Deut hilfreicher war.
"Gor. Beherrsche deine Gefühle." ich ging in mich und schuf ein Feld von Ruhe und Frieden in mir.
"Gor." wiederholte ich beschwörend und blickte ihm in seine riesigen Augen.
Gor wimmerte.
"Gor."
Irgendwie bekam er sich weit genug unter Kontrolle, um seinen Geist mir zu öffnen und mich zu fragen, was ich von ihm wolle.
*Einen Bericht.* dachte ich ihm zu.
Er übergab meinem Geist ein strukturiertes Etwas, das die Ereignisse zusammenfaßte. Ein Gedankenkristall.

Eines der feindlichen Raumschiffe war gelandet. Menschen waren ausgestiegen, hatten wild in die Menschenmenge im Theater geschossen, wo Gorith eine Vorstellung besucht hatte und die meisten Menschen dort getötet. Gor hatte sämtliche Sicherheitsvorschriften außer Acht gelassen, war dicht über den Angreifern hinweggeflogen und hatte Gorith aus der Menge gefischt und hierhergebracht. Drachen durften nach ihren eigenen Gesetzen nicht so nahe an Menschenmengen, damit sie niemanden verletzten - und es ist mir ein absolutes Rätsel, warum das Raumschiff ihn nicht mit seinen Geschützen abgeschossen hat. Er hätte gebrannt wie eine Fackel, wenn sie ihn getroffen hätten. Mehr Informationen enthielt der Kristall nicht - und das war extrem ungewöhnlich für den Gedanken eines Drachen. Gor mußte vollständig den Kopf verloren haben. Aber was sollte man auch erwarten, er war ja noch ein Kind. Ich dachte ihm beruhigend zu, dass Gorith seine Verletzungen überleben würde. Dann ging ich an den Rand des Abhanges. Unten lag Khaer. Mein Drache. Er war schon etwa 50 Meter lang.

Khaer schaute zu mir auf. Seine grünen Augen glitzerten in der warmen Mittagssonne und er machte keine Anstalten sein Sonnenbad zu beenden. Ich fragte ihn, was geschehen sei.

*Ein einzelner Ausreißer. Die Verteidigungslinie steht noch.*

Der ergänzende Gedankenkristall war so kompliziert, dass ich nicht einmal die Hälfte verstand. Telepathie mit Drachen ist manchmal frustrierend. Man muß sie ständig bitten, alles einfacher zu formulieren, damit man weiß, was sie meinen. Diesmal ließ ich es bleiben, denn Gott sei Dank war ich nur ein Drachenreiter und nicht der Oberbefehlshaber der Verteidigungsflotte. An den grundlegenden Tatsachen dürfte sich kaum etwas geändert haben:
Die Situation war hoffnungslos und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Planet durch die menschliche Flotte erobert würde. Dann fangen sie die Drachen, ziehen ihnen bei lebendigen Leibe die Haut ab und verkaufen sie als Fluggeräte, denn Drachenhaut ist leichter als Luft. Und die sterbenden hautlosen Drachen werden gefoltert, um Informationen aus ihnen herauszuquetschen.

Und Drachenreiter ... als Reiter kann man es überleben, aber man wird für den Rest seines Lebens nur als halber Mensch betrachtet. Jemand der die Menschheit an die Drachen verrät - also vollkommener Schwachsinn. Wir haben niemanden verraten.

Ein riesiger Drache kam mit ausgebreiteten Flügeln auf uns zu - seine Augen loderten rot vor Zorn. Es war die Mutter unserer Drachen.
*Wo ist Gorith?* schlug sie mich mit einem zornigen Gedanken beinahe zu Boden.
Ich schloß meinen Geist und befahl ihr, sich zu fassen. Mit Daumen und Zeigefinger faßte sie mich in der Mitte und hob ich hoch - ich war kleiner als ihr Finger. Sie betrachtete mich wie ein lästiges kleines Insekt, und schien sich ernstlich zu überlegen, ob sie mich nicht zerquetschen wollte. Ehrlich gesagt, war ich überrascht, dass sie es in ihrem Zorn nicht längst getan hatte. Immerhin hatte ihr Kind sich für einen Menschen, den sie nicht höher achtete als ein Insekt, in Lebensgefahr begeben.

Von der Art her war sie ein Insekt - fast jedenfalls - und ich ein Säugetier... Kalt erwiderte ich ihren Blick und befahl ihr erneut, sich zu fassen, bevor sie mit ihrem verstörten Sohn rede.
*Außerdem solltest du ihn am Leben lassen. Wenn jemand Gor retten kann, dann ihr Reiter.*
Ihre Reaktion - ein geistiges Zusammenzucken - verriet mir, dass ich ihre Absichten richtig erraten hatte. Ich ließ ihr einen Gedankenkristall zukommen, in dem ein Drachenreiter im Menschenreich als Wärter seines Drachen auftrat und er als Reittier vermietet wurde.
In ihr erwachte ein wilder hilfloser Zorn und Kummer. Und die Frage, ob ein solches Leben es wert sei, gelebt zu werden.
*Kannst du ihm ein besseres bieten?* fragte ich.
Noch mehr Kummer. Der Wunsch, nicht über die aussichtslose Zukunft nachdenken zu müssen.
*Es ist es wert, gelebt zu werden. Wir Menschen sind hier doch auch nur Sklaven und dennoch wiegt die Liebe zu einem Drachen so schwer, dass es all das aufwiegt.* dachte ich ihr sanft zu.
Zum ersten mal in meinem Leben spürte ich das Gedankenweinen eines ausgewachsenen Drachen. Ich versuchte ihr Trost zukommen zu lassen.

Ich mußte noch eine Weile warten, bis sie mich schließlich unverrichteter Dinge heile absetzte und voller Niedergeschlagenheit ging. Mit einer sehr menschlich wirkenden Geste beugte sie sich über ihren Sohn Khaer und berührte sacht seinen Kopf. Ich fragte mich, warum Khaer als einziger der Drachenfamilie so ruhig und gelassen blieb. Warum er so ruhig wie immer in der Sonne liegen und seine Energien wieder aufladen konnte, während alle anderen Drachen gereizt bis zum Gehtnichtmehr waren, seit sie begriffen hatten, dass es für sie keine Chance gibt. Alle Drachenreiter kannten den Plan, den ich eben der Drachenmutter mitgeteilt hatte. Der erste Drachenreiter schon hatte ihn gefaßt und ihm jeden, der einen Drachen ritt, ans Herz gelegt. Doch hätten die Drachen davon erfahren - die Erwachsenen - wären sie wütend geworden. In normalen Zeiten jedenfalls.

Jetzt wo ihnen die Aussichtslosigkeit der Lage bewußt wurde, konnte man es erzählen, ohne gleich wegen Meuterei erschlagen zu werden. Ich würde meinem Drachen ja wirklich nicht gerade ein Leben als Zootier wünschen - aber es ist schon so, dass ich das lieber erleben will, als zusehen zu müssen, wie er bei lebendigem Leibe gehäutet wird.

 

 

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Ich wünschte, ich wäre nie hierher gekommen...

Ich ging wieder ins Haus. Es war einfach viel zu groß. Ein riesiges, leeres Haus mit großen schönen Fenstern aus verschiedenfarbigen Gläsern. Groß genug, dass ein junger Drache durch das Haupttor treten kann. Die älteren Drachenreiter hatten uns, als sie das gesehen hatten, kopfschüttelnd Baumaterial bestellt und hinten drei kleine Kammern vom großen Raum abgeteilt, in denen wir schliefen und unsere persönlichen Sachen unterbrachten. Den großen Raum dagegen benutzten die jungen Drachen, um zu spielen, sie wären Menschen.

Dania kniete am Boden und weinte bitterlich. Ich ging zu ihr hin und nahm sie in die Arme. Draußen im Sand lag ein Drachenei. Sie und die beiden anderen jungen Mädchen hier im Haus waren hierher geholt worden, um beim Schlüpfen des jungen Drachen dabei zu sein, damit das Drachenkind eine von ihnen zu seinem Reiter erwählen konnte. Jetzt war sie am Ende mit ihren Nerven. Ich streichelte sie und wartete, dass sie sich wieder faßte. Sie klammerte sich an mich und weinte lange.
"Ich wünschte ich wäre nie hierher gekommen!" schluchzte sie.
Ich schwieg und streichelte sie nur ruhig weiter. Was sollte ich dazu sagen? Es war ganz anders als damals, als ich geholt worden war, um bei der Geburt meines Drachen dabei zu sein. Damals hatte die ganze Zeit eine feierliche Stimmung geherrscht. Ständig wurden wir Jungen von Drachenreitern mit ihren Drachen besucht und unterstützt. Jeden Tag gab es Dinge zu essen, von denen ich vorher kaum zu träumen gewagt hatte.

Ganz abgesehen davon, dass ich zum ersten mal in meinem Leben nicht jeden Tag eine Tracht Prügel bekam. Ich habe mich schon oft gefragt, woher mein Vater diese Gewalttätigkeit hatte, unter der die gesamte Familie leiden mußte.

Drachen waren sehr gutmütig. Die meiste Zeit des Tages lagen sie in der Sonne und genossen ihre Wärme, aus denen das Chlorophyll in ihrem Blut Energie gewann. Sie leben zum überwiegenden Teil von Sonnenlicht. Der Rest ihrer Ernährung ist vegetarisch. Und die Vorstellung dass man Tiere oder gar Menschen töten könnte, ist ihrer Natur gänzlich fremd.

Erst wenn sie als Erwachsene mit der bitteren Realität des Krieges bekannt gemacht werden, lernen sie Zorn kennen. So jedenfalls ist es normalerweise. Wir waren gerade kurz davor, die Realität des Krieges erleben zu müssen. Und das ist etwas völlig anderes. Und wegen dieser nahezu aussichtslosen Situation, in der wir steckten, war die Stimmung seit Tagen bis aufs äußerste gereizt. Die Drachen hatten eine Angst, die nahezu Panik war und keine Möglichkeit irgendetwas zu ihrer Verteidigung zu tun.

Für die drei Mädchen, die den zutiefst friedlichen Geist der Drachen nicht kannten, war die ständige Unausgeglichenheit dieser riesigen Wesen furchterregend. So hörte ich Dania die ganze Nacht zu, während sie sich ihren Kummer und ihre Angst von der Seele redete.

Beim ersten Licht des neuen Tages öffnete sich die große Tür und Khaer schaute herein. Dania klammerte sich weinend an mich. Ich fragte Khaer, was er wolle.
"Dania muß kommen. Mein Schwesterchen will schlüpfen." sagte er.
Dania schaute fassungslos auf. Noch nie hatte sie einen Drachen laut reden hören. Ich faßte sie bei der Hand und sagte:
"Komm. Es ist Zeit."
Sie erstarrte.
Leise redete ich auf sie ein, bis sie sich genug beruhigt hatte, um auf die Drachenhand zu steigen. Dann stiegen wir auf die Hand, Khaer hob uns hoch, setzte uns auf seinen Rücken, wir schnallten uns an und er flog über die Mauern in den Bruthof. Zu meinem absoluten Erstaunen war der Bruthof leer. Sonst saßen beim Schlüpfen eines jungen Drachen immer tausende an Drachen um das Ei herum. Diesmal waren selbst die Eltern nicht da.

Wir schnallten uns ab und stiegen auf Khaers bereitgehaltene Hand. Ich sah, dass das Ei schon hin- und herwackelte. Der junge Drache mußte kurz davor sein, die Schale zu öffnen. Es war mir unbegreiflich, wieso niemand anders da war. Ich hatte den Verdacht, dass Khaer mir etwas ganz Wichtiges nicht sagte. Jetzt war zumindest nicht die Zeit zu fragen. Ich erklärte Dania, wie sie sich verhalten mußte, wenn der Drache geschlüpft war und auf Khaers Befehl hin auch noch, wie sie sich verhalten solle, wenn die Angreifer jetzt kämen. Danach ließ ich sie absteigen. Khaer hob mich wieder auf seinen Nacken und befahl mir, mich anzuschnallen.

Wenige Sekunden saß Khaer noch ruhig da und beobachtete, wie die Schale des Eis aufbrach und das Mädchen mit einem seeligen Gesichtsausdruck auf den jungen Drachen zutrat, der noch nicht größer war als ein menschliches Kleinkind. Dann flog Khaer los und verließ im Tiefflug die Drachenstadt. Als er das tat, erkannte ich auch warum. Menschliche Kampfflieger flogen über der Stadt hin und her. Es war reinstes Glück gewesen, dass sie uns beim Schlüpfen des Drachen nicht erwischt hatten.

 

 

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Flucht

Indem er weggeflogen war, sobald der junge Drache aus dem Ei war, hatte er das getan, was seinem kleinen Schwesterchen die größte Überlebenschance bot. Er hatte dafür gesorgt, dass kein größerer Drache in der Nähe war, auf den jemand schießen und ausversehen daneben und den kleinen Drachen treffen konnte. Und Dania würde schon dafür sorgen, dass ihr Drache nicht getötet würde. Er war so klein, dass niemand ihn als bedrohlich betrachten würde, deshalb würde er vermutlich zumindest die ersten Jahre überleben. Und da er eine echte Reiterin hatte, die ihn vor der Verzweiflung bewahren würde, wenn irgend möglich, hatte er eine echte Chance erwachsen zu werden.

Es dauerte nicht lange, bis uns jemand entdeckte. Doch während er uns mit seinem winzigen Schiffchen ansteuerte - ein Ein-Mann-Flieger - Klein und zerbrechlich im Vergleich zu einem Drachen selbst von Khaers nach Drachenmaß geringem Alter, flogen alle anderen Schiffe mit Höchstgeschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung und jagten einen erwachsenen Drachen. Das kleine Gerät schoß mit Lähmstrahlen, denn seine Feuergeschütze waren zu schwach, um die Hitzeschutzschicht von Khaers Drachenhaut zu durchdringen. Khaer flog auf ihn zu, wartete, bis er nahe genug heran war und spuckte Feuer auf das kleine Schiff. Es begann zu torkeln und stürzte ab. Khaer tastete das zerbrochen am Boden liegende Schiff kurz telepatisch ab und teilte mir mit, dass der Pilot lebte, bei Bewußtsein war und Anstalten machte, Hilfe herbeizurufen. Wir ließen es liegen und flohen so schnell es ging. Wenn wir versucht hätten, seine Verletzungen zu versorgen, wäre das Selbstmord gleichgekommen.

Wir flogen den ganzen Tag so dicht über dem Boden, dass eine Radarerfassung praktisch ausgeschlossen war. Zumal die Menschen zweifellos nach den viel größeren erwachsenen Drachen Ausschau hielten, die nicht so dicht über dem Boden fliegen konnten. Schließlich gelangten wir in das Gebirgsmassiv, das als nächstes für die Besiedlung durch Drachen vorgesehen gewesen war. Wir landeten auf einem großen freien Geröllfeld. Ich änderte die Verschnürung der Sicherheitsgurte so, dass ich auf dem Drachenrücken liegen konnte, zog die Arme aus den Ärmeln in das innere der warmen Flugjacke zurück und schlief ein. Ich war totmüde.

 

 

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Bei lebendigem Leibe

Ich erwachte schockartig von einem lauten Drachenschrei und dem Gefühl, als würde mir bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen. Zuerst ein Schnitt den Rücken hinunter, dann wurde sie zuerst von Kopf, Flügeln und Schwanz und nachher von Armen und Beinen abgelöst und schließlich vom Bauch. Plötzlich brach der Schmerz abrupt ab und ich wurde endlich richtig wach ... nein, das waren nicht meine Schmerzen sondern die eines Drachen - und Gott sei Dank war es nicht Khaer, der bei lebendigem Leibe gehäutet wurde. Der Schmerz mußte über Khaers telepathische Verbindung zu anderen Drachen auf mich übertragen worden sein.

Vorsichtig berührte ich Khaers Geist. Er war ganz in sich zurückgezogen und wimmerte voller Qual vor sich hin. Ich ertastete, ob er noch Verbindung zum telepathischen Drachennetz hatte, doch die bestand nicht. Das war kein gesunder Zustand für einen Drachen, aber noch mehr solche Qual miterleben, wäre für ihn zweifellos zu viel.

Ich versuchte ihm ein Gefühl von Ruhe und Frieden zukommen zu lassen, ihn zu trösten. Doch er schien es nicht einmal wahrzunehmen. Er lag nur flach am Boden und in regelmäßigen Abständen lief ein Zittern über seinen Körper.

Ich konnte den Rest der Nacht nicht mehr schlafen, versuchte nur irgendwie ihn zu erreichen und ihm den Trost zukommen zu lassen, den er so dringend brauchte.

Bevor die Sonne aufging, kam ein großes Schiff, beschoss ihn mit Lähmstrahlen, und ich bekam eine so große Dosis, des eigentlich für den Drachen gedachten Schusses ab, dass ich beinahe erstickt wäre, weil das Zwerchfell sich kaum noch bewegte. Das Bewußtsein betäubten die Strahler allerdings nicht. Der Drache erwachte davon augenblicklich vollständig und dachte nur eines:
"Ich Narr!" dann wandte er sich an mich und dachte mir zu: "Mach nicht denselben Fehler wie ich, bleib wach und kämpfe für dein Überleben, solange noch Zeit dazu ist."
Dann wurde ich aus dem Geschirr geholt und zur Seite gelegt.

Sie nahmen ein mehrere Meter langes Lasermesser und schnitten damit die Haut am Rücken meines Drachen bis zu den Muskeln hinunter auf. Vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Grünes und rotes Blut aus den beiden getrennten Blutkreisläufen des Drachen besudelte die Arbeiter. Als der Schnitt über den gesamten Rücken bis zum Ansatz des Schwanzes reichte, arbeiteten sie sich zur Seite hin vor. Das Blut wurde in einen bereitstehenden Behälter gepumpt, damit die Männer nicht darin ertranken, denn die Drachenhaut war am Rücken fünf Meter dick. Arme, Flügel und Beine wurden am Ansatz abgeschnitten - sie bestanden ja weitgehend aus Muskeln, die durch Gasgefüllte Chitinblasenkonstruktionen im Innern versteift wurden, die die Funktion von Knochen übernahmen. Diese Knochen waren wesentlich leichter als Holz und nur wenig schwerer als Luft, da das in ihnen enthaltene Gas leichter war als Luft. Langsam arbeiteten sie sich zum Bauch vor, wo sie schließlich am Bauchmark von beiden Seiten wieder zusammentrafen. Danach arbeiteten sie sich das Schwanzglied entlang nach hinten vor. Schließlich lag der jämmerlich magere Drachenkörper ohne Arme, Beine und Flügel mitten auf der von ihm abgeschälten Haut. Danach wurden die Muskeln abgeschält. Und als sie damit fertig waren, ließ die Wirkung der Lähmstrahlen nach, nur dass es nichts mehr brachte, denn der Drache konnte sich sowieso kaum noch rühren.

Ich lag die ganze Zeit daneben, fühlte die rasenden Schmerzen mit und konnte nichts tun. Nicht einmal reden konnte ich, um sie umzustimmen. Zu dem Zeitpunkt wollte ich am liebsten sterben. Aber ich bekam gerade so viel Luft, dass mir das nicht vergönnt war. Auch meine Betäubung ließ langsam nach und ich rappelte mich auf die Knie auf - hauptsächlich weil mein Drache mich drängte, mich zusammenzureißen, damit sie mich nicht so gefesselt für tot liegenließen, bis die wilden Tiere kämen um mich zu fressen. Aus mir selbst heraus hätte ich dazu keinen Antrieb gefunden, und es war mir auch unbegreiflich, woher er die seelische Kraft nahm, um noch Gedanken für meine Probleme übrig zu haben, bei diesen Schmerzen. Gerne hätte ich die Männer angefleht, meinen Drachen am Leben zu lassen - doch ganz gleich was sie täten, ohne seine Haut und das grüne Blut darin würde er verhungern und ersticken, denn der größte Teil des von ihm benötigten Sauerstoffes und Zuckers stellte er selbst her. Und ich kniete am Boden, litt mit ihm mit, und wünschte nur, es wäre endlich vorbei - doch es dauerte drei Tage, bis der Drache schließlich endgültig tot war. Danach fiel ich in einen Komaartigen Schlaf aus Erschöpfung, weil ich die ganzen drei Tage nicht hatte schlafen können.

Die Tage danach vergingen wie im Nebel. Ich wurde in einer Zelle gehalten. Niemand schien sich darum zu kümmern ob ich lebte oder starb, aber ich spürte, dass ich beobachtet wurde. Und doch brachte ich nicht die Energie auf, aufzustehen und auch nur etwas zu trinken. Denn der innere Schmerz und die Erinnerungen an das Sterben meines Drachen waren stärker als Hunger und Durst.

Das eigentliche Gehirn des Drachen findet sich im Bauchmark, während das Gehirn im Kopf nur das Sehzentrum des Nervensystems enthält. Geruch wird über die gesamte Hautoberfläche des Drachen wahrgenommen, Geräusche über einige verkümmerte Teile des Systems, was bei Insekten zum Atmen dient, während Drachen nur bis zum Schlüpfen damit atmen, in der ersten Zeit Kindheit fehlenden Sauerstoff über die Hautadern aufnehmen, die zu der Zeit noch mit rotem Blut gefüllt sind. Daher sind frisch geschlüpfte Drachen rot. Danach trennen sich allmählich beide Adersysteme und die Hautadern werden von Blaualgen besiedelt, die bewirken, dass die Farbe der Drachen zuerst braun und nachdem aus den äußeren Adern die roten Blutkörperchen völlig verschwunden sind grasgrün aussehen. Danach enthält die Haut der Drachen mit jedem Jahr mehr Gas, so dass ein voll ausgewachsener Drache schließlich golden und im Alter silbern schimmert.

 

 

FC5.

Drachenbaby

Irgendwann öffnete sich die Tür. Dania mit dem kleinen Drachenbaby auf dem Arm kam herein und gab mir zwei heftige Ohrfeigen - und dieser Schmerz war stark genug, dass ich zur Besinnung kam. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und wollte zurückschlagen - fing den Schlag aber im letzten Augenblick ab und stand ziemlich desorientiert vor Dania. Ich wußte, sie hatte mich nur geschlagen, weil das die einzige Möglichkeit gewesen war, mich aus meiner Apathie zu reißen. Es war unter Drachenreitern immer schon eine übliche Maßnahme gewesen, um zu verhindern, dass Drache und Reiter sich gegenseitig immer weiter in Angst oder Schmerz hineinsteigern. Etwas, das jeder Drachenreiter als wichtige Erste-Hilfe-Maßnahme beigebracht bekommt.

Dummerweise wußte ich diesmal ganz einfach nicht, wozu ich noch leben sollte, wenn mein Drache tot war.

"Khaerith, du mußt mir helfen. Dhaera versinkt immer mehr in Apathie und ich kann sie gar nicht mehr erreichen. Irgendwie muß es doch möglich sein, sie wieder zurückzurufen."
Damit war immerhin die Frage mit dem wozu leben beantwortet... Nicht dass ich im Augenblick allzugroße Lust gehabt hätte, zu leben - aber sie brauchte wirklich Hilfe und es wäre grausam, sie alleinezulassen.

Zuerst einmal ging ich jedoch an den Wasserhahn, um meinen Durst zu stillen.

Wahrscheinlich war auch auf den neugeborenen Drachen zu viel Schmerz von sterbenden Drachen übergeschlagen. Und Drachen lösten ein solches Problem normalerweise indem pausenlos ein anderer Drache bei dem so seelisch Verletzten Wache hielt, den eigenen Geist in eine friedliche Stimmung brachte und den Geist des Verletzten von allen anderen Einflüssen abschirmte. Wir waren zwar keine Drachen sondern Menschen - aber prinzipiell zu einer solchen Wache genauso fähig und als Drachenreiter telepathisch ausreichend geübt. Aber zwei waren zu wenige, um diese Wache pausenlos durchzuhalten. Ich erklärte ihr diese Überlegungen und fragte am Ende:
"Gibt es noch mehr Drachenreiter hier?"
"Ja. Aber sie sind alle zu nichts zu gebrauchen, weil ihre Drachen tot sind."
"Laß uns nach draußen gehen, damit dein Drache in der Sonne liegen kann. Er soll in Zukunft nicht mehr dabei sein, wenn du jemandem Ohrfeigen gibst. Er hat schon viel zu viel Schmerz miterlebt und die Ohrfeigen werden ihn daran erinnern. Ich schaue dann, wie ich die anderen zur Besinnung zu bringen kann."
Tatsächlich war der Tod eines Drachen keine ausreichende Erklärung für den Zustand der Drachenreiter. Drachen starben selten, sie wurden ja um ein vielfaches älter als Menschen, aber einmal war ein Drache gestorben, der einen Reiter hatte - bei einem Unfall und sein Reiter hatte zwar tief getrauert, aber er hatte von allen Seiten so viel Unterstützung erfahren, dass er sich bald wieder dem Leben zuwandte und von einem anderen Drachen adoptiert wurde, dessen Mensch an Altersschwäche gestorben war.

Die erste Wache überließ ich Dania, die jetzt nach ihrem Drachen Dhaeraith hieß.

 

 

FC6.

Der Gefängnisleiter

Ich ließ mir von ihr die Zellenschlüssel geben, ging aber erst zur Gefängnisleitung, um mir die Erlaubnis für mein Vorhaben einzuholen. Dhaeraith hatte nämlich nur die Erlaubnis, mich aus der Zelle zu holen.

Ich klopfte an die Bürotür. Ein kleiner dunkelhaariger Mann öffnete.
"Wer hat dir erlaubt, hier herumzurennen?" fragte der Mann barsch.
"Ich wollte gerade um Erlaubnis bitten." antwortete ich ruhig und hüllte mich in Frieden, als wolle ich einen Drachen beruhigen.
Es funktionierte.
"Das hier ist ein Gefängnis und kein Vergnügungshotel. Ab in die Zelle." sagte er merklich sanfter.
"Dhaeraith hat mich um Hilfe für ihren Drachen gebeten. Leider ist das eine Aufgabe, für die man mindestens fünf Menschen braucht, die sich abwechseln, denn in seinem Zustand muß ständig jemand bei dem Drachen Wache halten." erklärte ich.
"Das ist doch nur ein ausgeklügelter Fluchtplan. Ich kenne solche wie euch."
Ich sah den Mann erstaunt an. Wie kam er dazu, zu vermuten, dass sich mit Menschen, die völlig apathisch im Bett lagen und nicht einmal trinken wollten, so mir nichts dir nichts ein Fluchtplan durchsetzen ließ? Es würde schwierig genug sein, sie überhaupt zum Aufstehen zu bewegen.
"Aber selbstverständlich. Wenn ihr uns einen Platz nennt, an den zu fliehen es sich lohnt, uns verratet, wie wir dieses Gefängnis verlassen können, uns dann auch noch den Weg zeigt, wie wir problemlos dorthingelangen und uns schlagt, wenn wir nicht fliehen, dann würden wir selbstverständlich auch fliehen. Wenn ihr uns nicht schlagt, sind die meisten von uns leider zu apathisch um auch nur zu trinken." antwortete ich ironisch.
"Und - was hat der Drache mit dir gemacht, dass du nicht mehr so apathisch bist?"
"Nicht der Drache. Daeraith. Sie hat mir eine Ohrfeige gegeben und mich angefleht, ihren Drachen zu retten. Und - funktioniert hat das nur, weil sie meine Freundin ist und der Drache die Schwester meines Drachen. Ihr Drache ist völlig in sich zurückgezogen und tut im Augenblick erst einmal gar nichts, außer sterben, wenn wir es zulassen. Und das will ich nicht." erklärte ich.
"Dann stimmt es also doch, dass Drachenreiter um ihres Drachen willen die eigene Familie verkaufen würden."
"Wie kommt ihr denn auf den Schwachsinn?" fragte ich empört zurück.
Natürlich kannte ich diese Unterstellung längst. Jeder Drachenreiter bekam sie von Außenstehenden wer weiß wie oft zu hören. Aber ganz gleich, was meine Familie mit mir angestellt hatte - es war immer noch meine Familie und ich liebte jeden von ihnen - auch wenn ich nur zu meinen beiden Brüdern noch Kontakt hatte, weil es niemanden etwas bringt, wenn ich mich ständig mit meinem greisen Vater streite, der inzwischen auf meine Kosten in einem kleinen Häuschen lebt. Meine Mutter ist längst gestorben. Ich glaubte nicht, dass ich mir um meine Familie Sorgen machen mußte. - Es sei denn, ich würde die Feinde darauf aufmerksam machen, dass ich Familie hatte, die mir etwas bedeutet.

In demselben Jahr als ich meinen Drachen für mich gewonnen hatte, war mein älterer Bruder auf die Universität geschickt worden. Als er nach einem Jahr das erste mal für längere Zeit nach Hause kam, bat ich, zur selben Zeit meine Familie besuchen zu dürfen. Der Vater meines Drachen brachte mich in mein Heimatdorf, damit ich meinen Bruder wiedersehen konnte.

Er erzählte damals die ganze Zeit nur von seinem Studium und anderen Studenten. Ich begann von Drachenreitern und Drachen zu erzählen. Bei ihm fanden sie es normal. Mir wurde vorgeworfen, ich wäre kein richtiger Mensch mehr, weil ich nur noch an Drachen denken würde. Ich war wegen dieser ungerechten Unterstellung zutiefst verletzt, denn ich hatte ja nichts anderes getan als mein Bruder, der auch nur von seinen neuen Bekannten redete.

Bei einem späteren Besuch lernte ich meinen kleinen bruder kennen. Mein jüngster Bruder war damals noch keine drei Jahre alt und sah bewundernd zu mir auf. Bevor ich heimkehrte ließ ich ihn einmal auf dem Drachen reiten.

Ein Jahr später erhielt ich die Nachricht, dass er mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gekommen sei. Mir erzählte er, was er den Ärzten nicht erzählt hatte: Mein Vater hatte ihn mit einer Eisenstange verprügelt - die Art von Strafen, die früher immer für mich reserviert waren. Ich bat meinen Drachen daraufhin, meinen Eltern gegen den üblichen Kaufbetrag für einen Jungen seines Alter das Sorgerecht zu entziehen und holte meinen Bruder zu mir. Ein paar Jahre redete er davon, später einmal Drachenreiter zu werden, doch als er alt genug dazu war, besuchte er lieber eine gute Schule um später studieren zu können.
"Ich will kein Drachensklave werden." sagte er und von ihm akzeptierte ich diese Worte, denn er meinte damit etwas anderes, als Außenstehende es gewöhnlich meinen, wenn sie dasselbe sagten.
Er wußte, dass unsere Drachen uns mit großer Liebe und einer Hingabe, die bis zur Selbstverleugnung gehen kann, dienen, dass sie aber dieselbe Hingabe und Liebe auch von uns erwarten. Und er wollte lieber ein eigenständiges Leben leben.

"Mir scheint, ich muß zuerst einmal ein wenig über Drachen erzählen, damit ihr mich verstehen könnnt. Darf ich mich setzen?" fragte ich.
Zu meinem Glück hatte ich den Mann bei einer sehr langweiligen Arbeit unterbrochen, so dass er froh um die Ablenkung war und sich Zeit nahm, mir zuzuhören. Am Ende gab er mir vorerst die Erlaubnis, zu tun, worum ich gebeten hatte. Er wollte sich zur Sicherheit aber noch die Erlaubnis der vorgesetzten Stellen einholen. Ich dankte ihn und machte mich an die Arbeit. Wie ich den Akten, in die ich Einsicht nehmen durfte, entnehmen konnte, war Gorith tot. Von meinen engeren Freunden unter den Drachenreitern war nur noch Phaerith am Leben und deshalb war er der erste, zu dem ich hinging, um ihn zur Besinnung zu bringen. Leider erreichte ich nicht mehr, als dass es mir gelang, ihm etwas zu trinken einzuflößen. Auch die anderen Reiter waren nahezu absolut apathisch. Am Abend war ich totmüde und ziemlich entmutigt. Ich ging ins Büro des Gefängnisleiters und erzählte ihm, dass ich es kaum geschafft hätte, auch nur alle zum Trinken zu bewegen. Ob er mich nicht irgendwelche Hilfe beschaffen könnte.

"Hilfe? Die einzigen Leute, über die ich zu befehlen habe, sind die Wachmänner, die verhindern sollen, dass ihr einen Aufstand plant."
"Einen Aufstand?" Ich lachte. Dann fragte ich: "Könnt ihr ihnen nicht befehlen, dafür zu sorgen, dass jeder zumindest ißt und trinkt?"
"Schon. Aber ich habe Angst vor dem, was dabei herauskommen könnte. Das ist eine Truppe von Schlägern und Trunkenbolden. Sie würden die Gefangenen nur noch mehr mißhandeln." antwortete er.
"Die ein oder andere Ohrfeige schadet nichts. Im Endeffekt habe ich jedem auch zuerst rechts und links eines um die Ohren gegeben. Die Drachenreiter sind dermaßen in fremdem Schmerz gefangen, dass man sie nur noch über körperlichen Schmerz in ihren Körper zurückrufen kann. Wenn du dafür sorgen kannst, dass es nicht ausartet, nutzt ein rauher Umgangston ihnen eher, als zu schaden. Schau doch einfach mal in den Akten nach, ob es da Leute gibt, denen du zutrauen würdest, dass sie sich zumindest einigermaßen anständig verhalten - nur vielleicht ein wenig mehr Gewalt anwenden als nötig. Wenn ich keine Hilfe bekomme, werden sie verdursten. Und sorge dafür, dass die Helfer nach dem Ende der Arbeit zu mir kommen, damit ich mit ihnen reden kann. Ich gehe jetzt zum Drachen und halte die Nacht bei ihm Wache, morgen werde ich tagsüber schlafen und ich verlasse mich darauf, dass die anderen Reiter zumindest zum Trinken gebracht werden." erklärte ich.

Danach wechselte ich Daeraith bei dem Drachen ab, schickte sie essen und schlafen. Ich hüllte den Drachen vollständig in mein Energiefeld ein füllte meinen Geist mit Frieden und streichelte den winzigen Drachenkörper. Der Drache rührte sich die ganze Nacht nicht und auch als Dhaeraith am nächsten Morgen die Wache übernahm, war er immer noch in demselben tiefen Schlaf befangen. Ich sagte ihr, dass sie ihn zum Trinken zwingen solle - und ansonsten immer im Frieden bleiben. Dann ging ich zu Bett.

 

 

FC7.

Trunkenbolde

Am Abend wurde ich durch lautes Gepoltere aus dem Schlaf gerissen. Die Tür öffnete sich, zwei Besoffene kamen hereingepoltert und einer fragte seinen Partner:
"Wie machen wir es diesmal?"
Ich sprang aus dem Bett, weil ich darauf verzichten konnte, das herauszufinden und begrüßte sie herzlich, was sie mit einem absolut verblüfften Gesichtsausdruck quittierten. Das hatte ich ja auch erreichen wollen.
"Und - haben sie alle getrunken?" fragte ich.
"Äh - ja."
"Gut. Wirklich jeder einzelne, oder gibt es noch jemanden, den wir dazu zwingen müssen?"
"Ja. Jeder einzelne."
"Sehr gut. Dann seid ihr besser als ich gestern. Wie haben sie reagiert?"
"Ganz komisch - die kann man verprügeln und sie reagieren kaum. Aber einer hat einen richtigen Wutanfall bekommen..."
Sie hatten sie also verprügelt - nun ja, selbstverständlich, sonst hätten sie es nie geschafft, jeden zum Trinken zu bewegen.
"Herzlichen Glückwunsch."
"Wie?"
"Herzlichen Glückwunsch. Es ist mir gestern nicht gelungen, auch nur einen Drachenreiter so weit wach zu bekommen, dass er wütend wird. Wut ist eine gesunde Reaktion. Wie habt ihr das gemacht?"
Die beiden sahen einander verlegen an. Ich hatte mir gleich gedacht, dass sie etwas getan haben mußten, für das sie Ärger bekommen würden, wenn es bei der Leitung ankäme. Jetzt aber wollte ich eine ehrliche Antwort.
"Es ist etwas, wofür ihr Ärger bekommen könntet, nicht wahr?" fuhr ich fort.
"Äh..."
"Schaut, was immer ihr getan habt, ich werde es euch diesmal nicht übel nehmen ... aber wenn es etwas war, wofür er euch jetzt noch böse ist, muß jemand die Wogen glätten, bevor daraus wirklich ein Problem entsteht. Denn der Gefängnisleiter wird euch nicht decken. Er war dagegen, Säufer wie euch die Aufgabe zu übertragen, wehrlose Gefangene zu versorgen. Ich wollte es. Und ich halte es immer noch für eine gute Idee - eben weil ihr ihn zu einem richtigen Wutanfall provoziert habt. Aber ganz gleich, was ihr getan habt - wir müssen dafür sorgen, dass daraus kein dauerhafter Wut und Groll entsteht und dass es nicht ausartet. Also erzählt ihr mir erst einmal, was ihr getan habt - und dann sehen wir weiter."
Sie erzählte es mir nicht.

Sobald sie den Gefängnistrakt verlassen hatten, wurde ich über Lautsprecher ins Büro gerufen. Ich schloß die Tür auf und ging hin.
"Und? Wie haben sie sich benommen?"
Ich erzählte dem Gefängnisleiter alles, was sie gesagt hatten und bat dann, nachschauen zu dürfen, wie es den Leuten ging.
"Gut. Mach deinen Rundgang und erstatte mir nachher Bericht."

Die meisten lagen immer noch apathisch im Bett. Ich entdeckte vereinzelt Striemen, aber nichts, das dauerhafte gesundheitliche Folgen befürchten ließ. Nur der Reiter namends Koherith tigerte ruhelos in der Zelle auf und ab. Als ich die Tür aufschloß drehte er sich abrupt zu mir um und holte aus, um mir eine Ohrfeige zu geben. Ich blieb stehen und lächelte nur. Er ließ es bleiben.
"So." sagte ich "Du bist also auf den Beinen."
"Ja. Wo sind die Burschen, die zuletzt hier waren, Khaerith?"
"Wahrscheinlich sicher außerhalb der Gefängnismauern. Was haben sie getan?"
"Sie haben mich nackt ausgezogen und dann die Eier gequetscht."
"Du bist außer mir und Daeraith der einzige Drachenreiter, der auf den Beinen ist. Und von daher kann ich diese Idee nicht schlecht finden." antwortete ich und starrte ihm ungerührt in die Augen.

Er erwiderte meinen Blick zornig und wurde dann nachdenklich:
"Wirklich der einzige?"
"Ja."
"Und die Drachen?"
"Hier ist Daera - die frischgeschlüpfte Schwester von meinem Drachen - und das ist der einzige lebende Drache von dem ich weiß." antwortete ich.
"Wir müssen herausfinden, ob noch jemand von ihnen lebt. Wie viele Drachenreiter sind hier gefangen?"
"117. Das sind alle noch lebenden Reiter, so weit ich weiß. Die meisten sind nicht bei Bewußtsein und wenn wir nichts tun, werden sie sterben. Daera liegt auch nur apathisch herum und wir halten abwechselnd Wache bei ihr." erklärte ich.
"Das heißt die meisten von uns sind tot - und die Drachen sowieso..."
"Ja. Ich will verhindern, dass noch mehr sterben. Und dazu brauche ich deine Hilfe. Komm - wir fragen den Gefängnisleiter, ob noch andere Drachen leben."
Da brach er in Tränen aus. Ich trat zu ihm hin, nahm ihn in die Arme und fragte wie es ihm in der letzten Zeit ergangen sei. Es war, wie ich erwartet hatte. Flucht. Dann wurden zuerst die Eltern seines Drachen gefunden, gefangen genommen, ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen und schließlich fanden sie auch ihn und seinen Drachen, lähmten ihn mit Lähmstrahlern, häuteten den gelähmten Drachen, der aber die Schmerzen dennoch in vollem Ausmaß fühlte und Koherith bekam sie mit. Ich blieb bis spät in die Nacht bei Koherith, erst dann wechselte ich Daera bei ihrem Drachen ab.

 

 

FC8.

Selbstmord

Am nächsten Morgen weckten mich die beiden Soldaten, die diesmal aber nicht besoffen waren.
"Diesmal kommst du mit und hilfst uns." befahl mir der eine, während der andere ungeduldig zusah, wie ich mich anzog und zumindest ein wenig Wasser trank, denn an Essen hatten sie nicht gedacht.

Als erstes gingen wir in Koheriths Zelle - und stellten fest, dass er sich aufgehängt hatte. Ich sah ihn fassungslos an und brach dann in Tränen aus. Während der eine der Männer mich auf seine raue und etwas bärbeißige Art zu trösten versuchte, schnitt der andere die Leiche los. Das mit dem Trösten funktionierte nicht, da ich schlicht zu erschöpft war, um mich wieder fangen zu können.

Danach sahen sich die beiden an und einer meinte:
"Was machen wir jetzt?"
"Weiß nicht." antwortete der andere.
"Was ist los - normalerweise gibt es doch ganz klare Richtlinien, was bei einem Selbstmord zu tun ist."
"Schon aber... weißt du, der Gefängnisleiter meinte, wenn auch nur einer von denen stirbt, dann fliegen wir aus dem Dienst."
"Dann nehmt ihr mich mit, wenn ihr Bericht erstattet - ich werde ihm sagen, dass ich ganz ehrlich der Ansicht bin, dass es nicht eure Schuld ist. Es dürfte dann auch ihm klar sein, dass eine solche Strafe in diesem Fall ungerecht wäre." sagte ich.
"Das würdest du für uns tun?" fragte der eine von ihnen überrascht.
"Ja. Und in Zukunft müssen wir sehen, dass wir besser auf die Leute aufpassen, die wir zur Besinnung kriegen - auch wenn ich nicht weiß, ob das viel nützt. Einen Menschen, der sterben will, am Selbstmord zu hindern, ist im Endeffekt unmöglich. Und jeder von uns Reitern hat dazu Grund genug." antwortete ich.

"Und du meinst wirklich, er hätte sowieso Selbstmord begangen?" fragte mich der Gefängnisleiter als ich erzählt hatte, was vorgefallen war.
"Vielleicht hätte es etwas gebracht, ihm den jungen Drachen zu zeigen. Aber auf den Gedanken war ich einfach nicht gekommen. Wie willst du jemanden am Selbstmord hindern, der sterben will?" antwortete ich.
"Warum sollte es etwas ändern, wenn man ihm einen jungen Drachen zeigt?" fragte der Gefängnisleiter verwirrt.
Wie sollte ich das erklären, ohne gleich sämtliche Vorurteile zu bestätigen? Ich begann von meiner Kindheit zu erzählen, wie ich als sechzehnjähriger mehrfach kurz hintereinander ins Krankenhaus kam, weil mein Vater mich krankenhausreif geprügelt hatte. Dann war ich gefragt worden, ob ich einen Drachen reiten wolle. Ich sagte ja, denn ich hatte gehört, dass Drachenreiter niemals geschlagen werden. Ich erzählte von der Gegenüberstellung, von der Begeisterung des jungen Drachen, gerade mich gefunden zu haben.
"Und irgendwie hat es nicht nur mein Bild von mir selbst verändert und mich gelehrt, mich selbst mehr zu lieben. Es hat mich auch gelehrt andere Menschen so zu sehen, wie ein Drache seinen Menschen sieht. Mit viel, viel Liebe, unabhängig davon, was für ein Mensch es auch sein mag. Der Anblick eines jungen Drachen hätte Koherith vielleicht helfen können, diese Liebe in sich wiederzufinden." schloß ich meinen Bericht.

Der Gefängnisleiter hatte sich den Bericht angehört und konnte es nicht fassen. Konnte es wirklich sein, dass dieser ruhige, zufrieden und ausgeglichen wirkende Mensch in seiner Kindheit so mißhandelt worden war? Und das über Jahre hinweg?

Ganz davon abgesehen - warum machte er sich jetzt keine Sorgen um die Zukunft? Er mußte doch wissen, dass Drachenreiter nichts Gutes zu erwarten hatten! Und wenn er zu sich selbst ehrlich war, müßte ihm auch klar sein, dass ein kleiner Gefängnisleiter daran gewiß nichts ändern konnte. Wenn er den Drachen wirklich so geliebt hatte, warum haßte er ihn nicht? Eigentlich müßte er all die menschlichen Eroberer hassen, die ihm sein ganzes Leben kaputtgemacht hatten. Doch bis jetzt war von ihm nur ruhige Freundlichkeit zu spüren. Und Humor. Wie konnte er unter diesen Umständen noch lachen?
"Du müßtest mich doch hassen." sagte der Gefängnisleiter.
"Du persönlich hast mir nichts getan. Im Gegenteil, du hilfst uns so viel, wie es dir möglich ist. Warum sollte ich dich hassen?" fragte der Drachenreiter zurück.
"Unser Heer hat deinen Drachen ermordet."
"Nicht nur meinen Drachen. Auch die meisten meiner Freunde. Sowohl Menschen als auch Drachen. Und auch mich wird höchstwahrscheinlich eine Art Todesurteil erwarten. Aber wenn ich jetzt hassen würde, würde das nichts davon ungeschehen machen. Es würde nur ein wenig mehr Haß und Grausamkeit in die Welt bringen. Wenn ich aber liebe, mag es sein, dass eine weitere solche Eroberung nicht ganz so grausam ausgehen wird." antwortete der Drachenreiter ruhig.
Und diesmal war seine tiefe Traurigkeit auch auf dem Gesicht abzulesen.

Danach schickte der Gefängnisleiter uns wieder aus seinem Büro, wir sollten auch dem Rest der Drachenreiter etwas zu Trinken einflößen.

 

 

FC9.

Phaeriths Erwachen

Ganz gleich, was wir anstellten, es gelang uns an dem Tag nicht, einen weiteren Reiter aus der Apathie zu reißen.

Spät Abends ging ich noch einmal in die Zelle von Phaerith. Er lag apathisch auf dem Bett. Ich grübelte, ob es nicht etwas gab, das ganz gemein wehtat, ohne ernsthaften Schaden anzurichten und dabei nicht so beleidigend war, wie Eier quetschen. Als Kind hatte ich in dem Bereich ausreichend Erfahrungen gesammelt, dass mit auch etwas einfiel. Ich griff den Kopf und drückte an einer bestimmten Stelle unter den Ohren, so dass die an der Stelle durchlaufenden Nervenfasern gequetscht wurden. Phaerith schrie. Der nächste Schritt des Zurückrufens mußte in einfachen Anweisungen bestehen.
"Steh auf." befahl ich.
Er gehorchte und sah mich an. Noch war er zu benommen, um wütend zu werden.
"Komm mit." befahl ich.
Er folgte mir gehorsam, aber seltsam mechanisch und mit leerem Gesichtsausdruck durch die Gänge auf den Gefängnishof. Dort sah er ungläubig den noch sehr jungen Drachen an, der sich dort sonnte.
"Ein Drache! Ein lebender Drache..." Phaerith lächelte und kniete neben dem Kleinen nieder, strich sanft über die weiche Drachenhaut. Dann versuchte er dessen Geist zu erreichen. Er schaute nach einer Weile zu mir auf:
"Er ist völlig in sich zurückgezogen."
"Ja. Ich würde gerne das tun, was auch Drachen tun, wenn sich einer der ihren in sich selbst zurückzieht. Eine ständige telepathische Wache. Aber dazu brauche ich Hilfe." erklärte ich.
"Und Menschen bekommen als Ersatz Prügel... wie ungerecht!" Phaeriths Grinsen zeigte an, dass das ein Scherz war.
"Drachen sind keine Menschen." sagte ich leise.

Das ist ein unter Drachenreitern häufig gebrauchtes Argument. Denn Drachen sind wirklich keine Menschen. Was Menschen schadet, mag für Drachen gut sein und umgekehrt. Die Luft in der Drachenstadt war so dünn, dass es Monate dauerte, bis ich mich einigermaßen daran gewöhnt hatte und nicht schon nach drei Schritten nach Luft japste. Es ist noch kein Mensch daran gestorben, so dass wir diese Eingewöhnungszeit als geringfügige Unannehmlichkeit betrachteten. Andere Drachenlebensräume waren weite, wasserlose Wüsten, wo die Drachen dann von Zeit zu Zeit für die ihnen anvertrauten Menschen Wasser holen flogen. Doch sie lebten nirgendwo gerne, wo auch Menschen gerne leben. Sie mochten keine wolkigen Himmel und keine Wälder. Wo sie lebten, sollte es Felsen und Sonne geben und in Flugreichweite Wasser... aber Flugreichweite bei einem Drachen ist über hundert Kilometer.

"Ich werde dir bei der Wache helfen. Was meinst du, was sie mit uns tun werden?"
"Sie scheinen sich darüber noch nicht so ganz klar geworden zu sein. Wenn ich raten dürfte, was die Regierung tut, nehme ich an, dass sie schon bald alle Drachenreiter außer Daeraith hinrichten werden. Auch im Menschenreich geht das Gerücht um, dass wir unsere eigene Rasse verraten hätten. Daera kommt höchstwahrscheinlich in einen Zoo und Daeraith wird seine Wärterin - wenn wir Daera ins Leben zurückrufen können. Wenn nicht werden auch die beiden bald getötet werden. Aber wenn sie überleben und man nie Ärger mit ihnen hat, werden mehr junge Drachen die nächste Eroberung überleben dürfen. Und das hoffe ich zu erreichen." erklärte ich.
"Du bist aber pessimistisch." sagte Phaerith leise.
Ich lächelte traurig:
"Ich fürchte nur, ich habe damit recht, auch wenn der hiesige Gefängniswärter uns bis jetzt in allem freie Hand läßt, weil er selbst Drachenreitern nicht wünscht, dass sie so vor sich hinvegetieren müssen."
"Du warst doch sonst immer so optimistisch..." meinte Phaerith leise.
Ich zuckte mit den Schultern.

Danach weckte ich einen anderen Freund von mir. Khaladarith. Und auch er versprach, bei der Wache zu helfen, als er den jungen Drachen gesehen hatte. Mit Ferith als fünften war unser kleiner Kreis dann vollständig und wir hielten Tag und Nacht bei dem bewußtlosen Drachen Wache.

Niemand sprach davon, noch einen weiteren Drachenreiter ins Leben zurückzurufen - sie in eine Leben ohne Hoffnung zu rufen, hätte nur weitere Selbstmorde zur Folge gehabt. Keiner von uns sagte etwas dazu, als allen Drachenreitern Kanülen zur intravenösen Ernährung gelegt wurden. Das zeigte, dass sie uns irgendwozu brauchten - und mir wollte zu dem Thema einfach nichts einfallen, worüber ich gerne geredet hätte. Ich hoffte nur, dass sie es verschlafen würden, was immer es auch war.

Dann wurden die ersten von ihnen abgeholt. Zehn Stück. Es hieß, sie kämen zur Behandlung ins Krankenhaus. Aber ich hatte immer noch böse Ahnungen - zumal der Gefängnisleiter mir nicht den Bericht dazu in den Akten zeigte und auch nicht die Art der Behandlung erklären wollte, obwohl ich ziemlich danach bohrte und er mir sonst freigiebig jede Information gab, um die ich bat. In den folgenden Tagen wurden immer wieder Drachenreiter abgeholt und fortgebracht. Ich gab das Fragen auf.

 

 

FC10.

Erwachen des jungen Drachen

Der junge Drache schlief Tag und Nacht.

Eines Abends setzte ich mich wieder für eine Wache neben den Drachen. Ich muß wohl eingeschlafen sein, denn am nächten Morgen weckte mich Daeraith und befahl mir barsch zu frühstücken. Der Drache wachte bei diesen Worten auf, entdeckte seine Reiterin und watschelte auf sie zu. Sie kniete nieder und nahm ihn in die Arme. Ich beobachtete diese so normale Geste ungläubig.

Mir wurde bewußt, dass ich immer noch von diesem Frieden umhüllt war, den ich am Abend geschaffen hatte. Irgendwie war es mir gelungen, dem Kleinen trotz des Schlafes den Schutz zu geben, den seine wunde Seele gebraucht hatte. Und nun war Daeraith da, um zu übernehmen und der kleine Drache war damit offensichtlich vollkommen zufrieden.

Wir fünf bisher aufgewachten Drachenreiter frühstückten gemeinsam und freuten uns daran, dass auch der junge Drache Appetit hatte. Dann fragte Phaerith, ob das Drachenei, das am anderen Ende der Stadt gelegt worden war, von den Feinden gefunden worden sei und ob ein Reiter für es bereitstehe.
"Ich weiß es nicht. Ich werde den Gefängnisleiter fragen." antwortete ich.
Ich winkte ihnen, mir zu folgen und ging zum Büro des Gefängnisleiters.

Er sah sichtlich irritiert auf, als nun nicht etwa einer sondern gleich fünf seiner Gefangenen ungeniert ins Büro traten. Ich grüßte ihn freundlich und fragte, ob wir ihm ein paar Fragen stellen dürften.
"Ja." antwortete er.
"Gibt es außer Dhaera noch andere lebende Drachen auf diesem Planeten?"
Er ging an seinen Computer und rief die entsprechenden Dateien ab. Ein zwei Meter langer Drache lebte im städtischen Zoo. Sein Reiter war bei ihm. Das Ei war auch gefunden worden. Offensichtlich wurde es nur bebrütet und sichergestellt, dass der kleine Drache, sobald er schlüpfte, nicht entkommen könnte.

"Er braucht sobald er schlüpft einen Reiter." sagte ich.
"Aber warum?"
"Weil ein Drache seinem Reiter immer gehorcht und nur über seinen Reiter zu beherrschen ist." sagte ich.
"Das ist doch Blödsinn. Drachenreiter sind Drachensklaven." widersprach der Gefängnisleiter.
"Das ist die rechtliche Situation aber nicht die Wahrheit." widersprach ich und fuhr fort: "Eines ist merkwürdig an Drachen, die einen Reiter haben. Sie mögen es, wenn man im Befehlston mit ihnen spricht. Und wenn der Befehl vernünftig ist und nicht unzumutbar, führen sie ihn auch aus. Nicht aus Unterwerfung heraus, nicht aus Angst, sondern mit einem Lachen und weil sie Spaß daran haben, ihrem Menschen einen Gefallen zu tun. Drachen, die Reiter haben, sind viel ausgeglichener und zufriedener als diejenigen, die keine Reiter haben. Und das war eigentlich der Grund, warum wir Drachenreiter geglaubt hatten, dass es ein guter Gedanke wäre, unseren Freunden im Falle einer Eroberung ein Leben in Gefangenschaft zu ermöglichen. Solange sie einen Reiter haben, sich sonnen, fliegen dürfen und ihre Intelligenz gebraucht wird, werden sie glücklich sein. Es sei denn natürlich, ständig würden Drachen zu Tode gefoltert. Drachen sind nicht wirklich für Freiheit geschaffen und nur mit Menschen als Reiter sind sie wirklich zufrieden."

 

 

FC11.

Erita

Erita, die Psychologin redete noch ein letztes mal mit ihren Schützlingen und wünschte sich, sie noch länger betreuen zu können. Die beiden Mädchen, die bei den Drachen gefangen gewesen waren, ohne Drachenreiter zu sein, hatten inzwischen den Bereich zugewiesen bekommen, in dem sie arbeiten sollten und Erita war überzeugt, dass sie diese Arbeit auch zuverlässig tun würden. Doch immer noch waren sie so verunsichert, dass sie eigentlich psychologische Betreuung gebraucht hätten.

Dennoch hatte Erita eine Versetzung bekommen - und ausgerechnet zu den Drachenreitern. Psychologische Profile über deren Verwendbarkeit erstellen.

Überhaupt - dieser Planet. Irgendwie mußten die Drachen den Menschen, die sie versklavt hatten, eine ziemliche Gehirnwäsche verpaßt haben. Jedesmal wenn die Führung ein neues Gesetz erließ, kam von den einheimischen Verwaltern postwendend die Erwiderung, dass es vorher aber alles viel besser organisiert gewesen wäre. Man könnte wirklich meinen, sie wären lieber Drachensklaven als im menschlichen Reich frei. Tatsächlich hatten ja sogar mit Menschen bemannte Schiffen den Planeten verteidigt - und das bis zum letzten Schiff. In alten Filmen von der letzten Eroberung hatten die befreiten Menschen immer den Befreiern zugejubelt.

Und dann das unterirdische Verschickungssystem. Als Psychologin stand Erita nicht hoch genug im Rang, um die mitgebrachten Flugwagen verwenden zu dürfen. Also mußte sie wie die Einheimischen in einer Verschickungskiste reisen. Und das bei ihrer Platzangst.

Ein einheimischer Angestellter bemerkte ihr zögern vor der Kiste und fragte sie, ob sie Platzangst hätte und deshalb lieber mit Betäubung reisen wolle. Sie lehnte ab.
"Das müßt ihr wissen. Nur Strafgefangene werden gezwungen, mit Betäubung zu reisen. Kann ich euch sonst noch irgendwie helfen?" meinte er.
"Nein. Nein, es geht schon."
Nichtsdestotrotz hatte sie panische Angst auf der kurzen Reise quer über den Planeten. Sie hatte noch nie gehört, dass sich ein Einheimischer über dieses System beschwert hätte. Sie gaben zwar zu, dass ein Flugwagen sicher eine schöne Aussicht bieten würde - aber dieses System würde doch auch ganz gut funktionieren.

 

 

FC12.

Die Psychologin

Mitten im Gespräch ertönte ein Klingelzeichen.
"Ihr verschwindet sofort in euren Zellen und schließt sie ab. Ich gehe an die Tür, und wenn ich die Psychologin schicke, merkt sie nicht, dass ihr hier frei herumgelaufen seid. Ist das klar?" befahl er.
Wir nickten und liefen los, während er sich langsam in Richtung Tür aufmachte. Als ich Daeraith als letzte einschloß, waren wir schließlich nur noch am Kichern, denn im Grunde war es ja geradezu albern, dass wir mit dem Gefängnisleiter gemeinsame Sache machten, um zu vertuschen, dass wir frei im Gefängnis herumliefen. Als ich mich schließlich selbst eingeschlossen hatte, dauerte es immer noch zehn Minuten, ehe eine Frau umständlich von außen aufschloß. Ich begrüßte sie höflich.
"Ich bin Erita Nain, Psychologin und werde die Bewohner dieser Anstalt betreuen. Du kannst mit all euren Sorgen zu mir kommen." stellte sie sich vor.
"Das ist gut. Auf die meisten ehemaligen Drachenreiter ist in der letzten Zeit dermaßen viel Schmerz übergeschlagen, dass ich mich nicht allein um sie werde kümmern können." antwortete ich freundlich, obwohl ich mir natürlich an fünf Fingern abzählen konnte, dass sie geschickt worden war, um uns zu überwachen, nicht um für uns zu sorgen.
Das allerdings würde kaum einen Unterschied machen. An den meisten Drachenreitern gab es einfach nichts zu überwachen. Wenn sie auch nur annähernd etwas taugte, würde sie bald so sehr damit beschäftigt sein, Männer aus ihrer Apathie zu reißen, dass sie einfach nicht mehr auf den Gedanken kommen würde, uns mit Mißtrauen zu begegnen.

"Außerdem habe ich noch eine Bitte. Ich würde euch gerne einem jungen Drachen vorstellen. Wenn ihr die Zeit dazu findet, würde es mich freuen, wenn ihr ihn kennenlernt und dann ein psychologisches Profil erstellt."
"Aber warum? Das macht man doch, um Menschen zu überwachen." fragte sie erstaunt.
"Einerseits habt ihr sowieso den Auftrag psychologische Profile zu erstellen - andererseits wird ein realistisches psychologisches Profil dem Drachen vermutlich das Leben retten. Drachen werden als viel gewalttätiger betrachtet, als sie sind."
"Drachen sind gewalttätig. Ich habe bis gestern zwei Mädchen betreut, die für eine Gegenüberstellung bereitgehalten wurden. Sie waren völlig verstört."
"Das war ich damals aber nicht. Du mußt bedenken, dass der Planet belagert wurde und jeder Drache wußte, dass ihm vermutlich in ein paar Tagen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen würde. Von den etwa 7000 Drachen, die hier lebten, sind nur noch drei am Leben. Ein frisch geschlüpfter - er ist hier. Einer, der zwei Meter lang ist, im Zoo von Doraithe und ein Ei im Brutschrank dieses Zoos. Meines Wissens hat es in diesen Tagen zwar viele Drohungen und Wutanfälle gegeben, aber kein einziger Drachenreiter wurde verletzt. Es ist bedauerlich, dass die Mädchen mitten in diesen Hexenkessel hineingeraten sind. Sie wußten nicht, wie Drachen denken, und deshalb kann ich nur zu gut verstehen, wie viel Angst sie gehabt haben müssen, zumal ich in der Zeit auch nicht sehr ausgeglichen war und sie manchmal angebrüllt habe." antwortete ich.
"Und wir wissen immer noch nicht, was aus dem dritten Mädchen geworden ist..."
"Nicht? Sie ist hier und kümmert sich um den jungen Drachen. Wenn ihr mich hier herauslaßt, kann ich sie euch zeigen." erklärte ich.
Sie sah mich sehr merkwürdig an. Dann schloß sie die Tür wieder auf und folgte mir durch die Gänge des Gefängnisses. Schließlich schloß sie die Tür zum Gefängnishof auf, auf dem sich der junge Drache sonnte. Daeraith schaute auf und lächelte mir zu. Ich dachte ihr zu, dass die Frau neben mir Psychologin sei und Persönlichkeitsprofile von uns erstellen solle. Die Psychologin stellte sich ihr mit denselben Worten vor, mit denen sie sich auch mir vorgestellt hatte. Und Daeraith gab ihr dieselbe Antwort. Die Psychologin warf mir einen sehr merkwürdigen Blick zu. Ich lächelte ironisch, berührte den Geist des Drachen und bat ihn, mit der Psychologin geistig Kontakt aufzunehmen.

Dann beobachtete ich aufmerksam den Geist der Frau. Der Drache stellte mit der ihm angeborenen Leichtigkeit Kontakt her und übertrug ihr einen Gedankenkristall, der die Frau in absolute Verwirrung stürzte, weil er wie üblich viel zu kompliziert war.

Daeraith und ich lachten und erklärten ihr, dass es ganz normal sei, dass man einen Drachen nur versteht, wenn er alles extrem vereinfacht hat.

"Aber du sagtest doch, dass hier das dritte Mädchen sei?" meinte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte verwirrt.
"Ich bin das dritte Mädchen. Dania war mein Name, jetzt heiße ich Daeraith. Daera heißt mein Drache und ith heißt so etwas wie Haustier oder Sklave." erklärte Dhaeraith.
"Aber das kann doch gar nicht sein - die anderen waren doch so verstört!"
"Sie haben ja auch keinen Drachen." antworteten wir im Chor und brachen dann in Lachen aus, weil wir das nun wirklich nicht beabsichtigt hatten.
"Aber... wie ist das möglich?"
"Was macht einen guten Psychologen aus?" fragte ich zurück.
"Ein Psychologe muß jeden seiner Patienten so lieben und achten wie er ist."
"Ein Drache, wenn er schlüpft, sucht einen Menschen. Er sucht einen Menschen und nur einen Menschen und wenn er keinen Mensch findet ist er unglücklich. Findet er aber einen Menschen ist er absolut seelig. Der Mensch mag aussehen, wie er will, der Drache findet ihn schön. Ganz gleich wie sein Charakter ist, der Drache findet ihn liebenswert. Jeder Drachenreiter, den ich schon kannte, bevor er seinen Drachen bekam, hat sich nach der Gegenüberstellung zum Positiven entwickelt. Und was Angst vor Drachen angeht: Wenn man weiß wie Drachen denken - und das weiß jeder Drachenreiter - dann weiß man auch, dass sie niemals absichtlich einen Menschen verletzen würden. Und das ist bei ihrer Größe ein echtes Glück." erklärte ich.
"Während der Angriffe haben Drachen Menschen getötet."
"Ja. Weil es um ihr Leben ging. Aber all die Jahre davor habe ich dergleichen nicht erlebt. Selbst die Verteidigungsflotte des Planeten wurde von Menschen gebildet."

Die Psychologin schickte mich zurück in meine Zelle und ging los um sich die anderen anzusehen.

 

 

FC13.

Alpträume

Ich lag am Boden und konnte mich nicht rühren. Menschen kamen mit großen Lasermessern und schnitten damit in die Haut meines Rückens und dann begannen sie die Haut vom Körper abzuschneiden. Plötzlich wurde ich heftig geschüttelt.

Mit einem Schrei erwachte ich aus dem Traum. Ich sah in die Augen der Psychologin vor mir, die mich immer noch schüttelte.
"Komm. Es ist doch nur ein Traum."
Ich schüttelte mich und versuchte die Erinnerungen an fremde Angst und fremden Schmerz abzuschütteln. Dann sah ich sie fragend an.
"Was hast du bloß geträumt?" fragte sie mich.
"Ich habe geträumt, dass mir bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen wird." antwortete ich.
"So etwas tut doch niemand. Wie kommst du zu so häßlichen Träumen?"
"Das erste mal war es kein Traum - ich habe auch geschlafen, aber stand in telepathischem Kontakt mit meinem Drachen - und der stand in Kontakt zu seinen Eltern, die zu der Zeit gefangen genommen und gehäutet wurden. Er hat danach nur noch zitternd am Boden gelegen und das Schiff, das kam und ihn tötete, nicht einmal bemerkt, bevor es zu spät war. Und dann habe ich noch ein zweites mal miterlebt, wie es ist, wenn man bei lebendigem Leibe gehäutet wird. Das dürfte jeder Drachenreiter hier im Hause erlebt haben." erklärte ich.
"Deshalb schreien sie manchmal so..." meinte die Psychologin.
"Ja deshalb. Aber selbst mit solchen Erinnerungen kann man fertig werden, wenn man irgendeine Perspektive für die Zukunft sieht - etwas, das das Leben lebenswert erscheinen läßt. Aber eine Perspektive für die Zukunft hat hier niemand." erklärte ich.
"Und du - hast du eine Perspektive?"
"Für mich persönlich nicht. Aber - wenn noch einmal ein Drachenplanet durch Menschen erobert wird, dann will ich erreichen, dass es anders läuft als diesmal. Dass alle Drachen getötet wurden, ist darauf zurückzuführen, dass die Menschen, die das Land erobert haben, schlicht Angst haben. Und diese Angst ist im Grunde nur darauf zurückzuführen, dass Drachen als gefährlicher eingeschätzt werden, als sie sind. Wenn also diesmal ein Drache am Leben bleibt, erwachsen wird und möglichst viel freundschaftlichen Kontakt zu Menschen hat, besteht die Möglichkeit, dass das nächste mal mehr Drachen am Leben gelassen werden." erklärte ich.
"Du nimmst also die Drachen wichtiger als die Menschen?" fragte sie herablassend.
"Nein. Wie kommst du denn auf den Gedanken? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass es eine Möglichkeit gibt, den Drachen im Menschenreich zu helfen, von der die Menschen keinen Nutzen haben? Drachen haben ihre Gefangenen aus dem Krieg gegen das Menschenreich am Leben gelassen, weil sie es nicht über das Herz gebracht haben, sie zu töten. Im Menschenreich aber werden nur die Angehörigen fremder Rassen am Leben gelassen, die den Menschen nützlich sind." widersprach ich.
"So negativ siehst du die Menschen?"
"Nein. Nicht die Menschen an sich. Der Leiter dieses Gefängnisses hier hat getan, was in seiner Macht steht, um uns Drachenreitern zu helfen, als er dieses Elend hier sah. Und auch du hast trotz allem Mißtrauen, was du mir am Anfang und zum Teil auch jetzt noch entgegengebracht hast, immer menschlich und freundlich gehandelt. Aber die Politik des menschlichen Reiches ist so zynisch, wie ich es beschrieben habe."
Die Psychologin sah mich nur an und widersprach mir nicht.

 

 

FC14.

Organbank...

Eines morgends kam die Psychologin zu mir in die Zelle, ließ sich von mir die Schlüssel geben, um sie im Büro abzugeben. Kurze Zeit später wurde ich von Wachmännern abgeholt, die meine Hände mit Fesselfeldern auf den Rücken fesselten und mich zu einer Tiefgarage brachten, in der zwei Transporter standen. Vor dem einen Transporter warteten Phaerait, Khaladarith und Ferith. Sie antworteten auf meine telepathische Anfrage, dass sie nicht wissen, wo es hinginge. Vor dem anderen Transporter wartete Daeraith mit ihrem Drachen und die Psychologin. Ich mußte mit ihnen zusammen in den Transporter steigen. Die Türen wurden von außen abgeschlossen, so dass wir in Ruhe miteinander reden konnten.

"Wo kommt Phaerait jetzt hin?" fragte ich.
"Eine neue Aufgabe." antwortete die Psychologin ausweichend.
Ich spürte, dass da etwas Häßliches hinterstand und fragte ein zweites und ein drittes mal nach. Als ich dann immer noch keine klarere Antwort hatte, sagte ich schließlich:
"Erita, du verschweigst mir etwas. Und es ist etwas sehr Häßliches. Ich will die Wahrheit wissen, sonst bereiten mir meine Fantasien darüber, was es alles sein könnte, Alpträume." antwortete ich.
Sie kannte mich inzwischen gut genug, um mir ehrlich zu antworten.
"Er kommt in das medizinische Hauptzentrum des Planeten. Zur Organspende."
"Welche Organe?"
"Nahezu alle."
"Dann ergeht es ihr also keinen Deut besser als ihrem Drachen vor kurzem." stellte ich fest.
Ich schüttelte mich. Immerhin wußte ich jetzt, was sie mit den ganzen Drachenreitern gemacht hatten, die sie abgeholt hatten. Von denen, die nie aufgewacht waren, war nahezu niemand mehr da.
"Warum tun sie so etwas?" fragte ich.
"Phaerait ist als entbehrlich eins klassifiziert."
"Und ich - wie wurde ich klassifiziert?" fragte ich.
Sie antwortete nicht, sah nur verlegen zur Seite.
"Ich bin auch als entbehrlich klassifiziert, wie?" fragte ich.
Ich sah sie prüfend an, bis sie nickte, ohne mich anzuschauen. Jetzt wußte ich zumindest, warum sie heute morgen geweint hatte.
"Wie ist Daeraith klassifiziert?"
"Besser. Sie muß ja den Drachen pflegen."
Das war beruhigend.
"Und die anderen Drachenreiter, wie sind die klassifiziert?" fragte ich weiter.
"Entbehrlich drei."
"Was heißt das?"
Ihr kamen wieder die Tränen. Ich hätte sie gerne in den Arm genommen, aber das war wegen der Fesselfelder nicht möglich. Es war ihren Gefühlen nach zu urteilen deutlich schlimmer als entbehrlich eins. Und selbst bei entbehrlich eins, wurde man laut Gesetz offensichtlich noch nicht einmal als Mensch betrachtet, sondern nur als lebende Organbank. Wenn man etwas braucht, darf man sich jederzeit bedienen. Ich fröstelte.

Ich lehnte mich zurück, schloß die Augen und dachte nach.

Während des Transports schien der Drachenreiter die meiste Zeit zu schlafen. Sein Gesicht war ruhig und friedlich. Wenn er redete, klang seine Stimme gelassen und freundlich. - Und er fragte hartnäckig, bis die Psychologin ihm jede noch so kleine häßliche Einzelheit mitgeteilt hatte.

Die Psychologin fragte sich, wie es möglich war, dass ein Mensch ein solches Schicksal tragen konnte, als wäre da nichts. So ruhig, so entspannt, so selbstbewußt. Jedesmal, wenn sie mit ihm geredet hatte, hatte er ihr mit einem sanften Lächeln eine neue Episode aus der Ansammlung von Katastrophen und Foltern erzählt, das er sein Leben nannte. Und dennoch war er einer des seelisch gesundesten und ausgeglichensten Menschen, die sie kannte. Er schien niemals auch nur einen Augenblick seinen Optimismus zu verlieren. Nur woher nahm er diesen Optimismus? Er hatte doch überhaupt gar keine Chance. Sie hatte ihm gerade mitgeteilt, dass er in absehbarer Zeit zu Tode gefoltert werden würde - und er lächelte versonnen und schlief ein...

Verdammt, er benahm sich einfach nicht wie ein Mensch, sondern wie ein ... ja wie was? Jedenfalls wie etwas, das zu perfekt war, um wahr zu sein.

Als der Wagen anhielt, war ich mit meinen Überlegungen zum Ende gekommen. Im Endeffekt änderte es nichts. Ich hatte meine Situation sowieso als aussichtslos betrachtet. Und mir war sowieso klar gewesen, dass ich recht bald einen grausamen Tod zu erwarten hatte. Und die anderen Drachenreiter hatten es ebenso gewußt. Sie waren nur ins Leben zurückgekehrt um Daera und Daeraith eine Chance zu geben.

 

Die anderen drei Drachenreiter mußten nachdem die Psychologin, Khaerith, Daeraith und ihr Drache abgefahren weren noch einige Minuten warten, bis die Wachmänner mit drei Bahren zurückkehrten. Die letzten drei der Drachenreiter, die nicht aufgewacht waren.

Auf Befehl stiegen sie gehorsam ein und setzten ihre Gedankenunterhaltung fort. Sie überlegten gemeinsam, was den bloß in diesem Krankenhaus mit ihnen gemacht würde. Keiner von ihnen glaubte, dass es etwas Gutes sei. Keinem wollte etwas einfallen, wozu man sinnvollerweise ausgerechnet ins Zentralkrankenhaus gebracht werden müßte, und das nicht gut war. Schließlich beschlossen sie den Wachmann, der sie bewachen sollte, auszufragen.

"Was wird ihm Zentralkrankenhaus mit uns geschehen?"
"Oh, nur eine Untersuchung."
"Ich kann mir keine Untersuchung vorstellen, die bei mittellosen Kriegsgefangenen, für die sich niemand in der Regierung interessiert, angewandt würde, für die man ausgerechnet ins Zentralkrankenhaus muß." widersprach Phaerith.
"Na, ja eine Behandlung ist auch damit verbunden."
"Eine Behandlung? Junge, wir sind gesund. Vollständig gesund. Wir sind voll arbeitsfähig. Ich habe die Beurteilungen der Psychologin gesehen - sie hat uns als geistig gesund und voll belastbar beschrieben. Wenn da eine Behandlung stattfindet, dann ist es keine Routinebehandlung, denn sonst wären wir in irgendein Provinzkrankenhaus geschickt worden. Und es ist auch nicht zu unserem Nutzen, denn wir haben keine Freunde in der Regierung. Es ist etwas schreckliches. Was also ist es?" fragte Ferith.
"Ich weiß es nicht!"
"Das glaubt dir hier kein Mensch."
"Ehrlich!"
"Lügner. Was habt ihr mit uns vor?"
"Ich weiß nicht."
"Unsinn. Was ist es?"
"Eine Operation."
"Warum?"
"Als Organspender für Leute die im Krieg irgendein Körperteil verloren haben..."
Die Drachenreiter tauschten einen bestürzten Blick.

"Wie läuft so etwas ab?"
"Zuerst werdet ihr natürlich betäubt."
"Genauso wie die Drachen?"
"Ja."
"Die Drachen wurden mit Lähmstrahlern gelähmt und dann bei vollem Bewußtsein gehäutet. Manche haben danach noch Tage gelebt mit bestialischen Schmerzen. Wenn es uns genauso ergeht, na danke... Ist es so?" erklärte der Drachenreiter kalt und sehr ruhig.
Der Wachmann sah verlegen zur Seite und gab keine Antwort.
"Es ist so." stellte einer der Drachenreiter fest. Zögernd nickte der Wachmann.

Während der restlichen Fahrt wurde kein lautes Wort gewechselt. Die Drachenreiter führten eine telepathische Unterhaltung untereinander. Nach dem Aussteigen sollten sie sich duschen und auch die schlafenden Drachenreiter waschen - das taten sie und bemühten sich, sie nicht zu wecken - in der Hoffnung, dass sie dann vielleicht auch bei der Operation nicht zur Besinnung kommen würden. Das allerdings erwies sich als vergebliche Hoffnung, denn die Ärzte haben jeden einzelnen vor Beginn seiner Operation geweckt und erst als er voll wach war, die Lähmstrahler angestellt, denn wenn das Bewußtsein im Körper ist, lebt der Körper länger und man hat dadurch die Möglichkeit sich mit dem Ausschlachten mehr Zeit zu lassen. Und dann folgte eine stundenlange Operation vei vollem Bewußtsein, nach einigen Tagen an Lebenserhaltungssystemen weitere Operationen, bis zum Tod.

Die Fahrer öffneten die Tür des Transporters und ein kleiner Mann, der dort auf uns gewartet hatte, führte uns durch einige Gänge in einen kleinen Raum. Dort wurden wir von einem Arzt erwartet, der zuerst Daeraith aufforderte, sich auf die Behandlungsliege zu legen und ihr unter Lähmstrahlen ein kleines Gerät unter dem Schulterblatt einpflanzte. Danach mußte sie vor ihm niederknien und er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Über die telepathische Verbindung fühlte ich einen schockartigen Schmerz.

Dann war ich an der Reihe - doch mir wurde nicht nur so ein Gerät eingepflanzt sondern gleich auch noch der Hoden entfernt. Ohne jegliche Betäubung mußte ich die Schmerzen ertragen, nur durch den Lähmstrahler bewegungsunfähig gemacht. Es war eigentlich nur mein Stolz, der mir die Kraft gab, nachher aufzustehen, als wäre nichts gewesen. Vor dem da jedenfalls würde ich nicht weinen. Protest war sinnlos, also sparte ich mir ihn und verließ aufrecht den Raum.

Der kleine kahlköpfige Mann, der mich hierher geführt hatte, redete mehr als ich in meinem augenblicklichen Zustand haben konnte. Er wollte mich wohl trösten - aber es war schwierig genug, ohne seine ständigen Störungen nicht in Tränen auszubrechen. Er führte uns durch einige unterirdische Gänge in ein Gebäude mit drei Zimmern für uns Menschen und einem Freigehege für den Drachen, das ihm zumindest im Augenblick noch Platz genug zum Fliegen bot. Es gab dort noch ein zweites angrenzendes Freigehege, wo wir durch das Gitter einen zweiten Drachen erkennen konntem. Katira mit ihrer Reiterin Katiraith. Ich hob grüßend die Hand und Katiraith fragte umgehend nach einem Gedankenkristall mit unseren Erfahrungen seit der Invasion. Daera gab ihr den Bericht sofort und offensichtlich hatte sie ihn sogar genügend vereinfacht, dass ein Mensch ihn verstehen kann.

Das Drachenbaby benahm sich wirklich viel zu erwachsen für sein Alter - vermutlich weil es nur zu gut wußte, dass jede Dummheit seinen Tod bedeuten oder seine Reiterin in Gefahr bringen konnte. Ich fragte Katiraith telepathisch, ob sie wüßte, wo das Drachenei sei - aber sie reagierte nicht, lag nur weiter apathisch in der Sonne. - Also fragte ich ihre Reiterin. Sie wußte nicht einmal, dass es in diesem Zoo war.

"Was starrst du sie an? Hast Du noch nie eine Frau mit Narben gesehen?" fragte mich der Mann, der uns hierhergebracht hatte.
Die Narben waren mir gar nicht aufgefallen.
"Doch. Wir haben uns nur ein wenig unterhalten." antwortete ich geistesabwesend.
"Wenn du es wagst, sie zu verachten, dann laß dir eines gesagt sein: du wirst bald viel schlimmer aussehen."
"Darüber bin ich mir im Klaren." antwortete ich.
Merkwürdig, dass er sie so verteidigte...
"Hör auf, auf ihm herumzuhacken." mischte sich die Psychologin ein.
"Das ist ein Entbehrlicher. Auf den kommt es doch nicht an." meinte der Mann.
Er betrachtete mich mit offensichtlicher Verachtung. Schon sein Mitleid am Anfang war mir auf den Geist gegangen - aber in Verbindung mit dieser Verachtung... Ich hob den Blick und sah ihm in die Augen. Einfach nur ansehen, mit weit geöffneten Energiefeld. Nur für kurze Zeit gelang es ihm, meinen Blick zu erwidern, dann wandte er sich ab und verließ wortlos aber hastig den Käfig. Er hatte mehr Schmerz gesehen, als er je erleben wollte.

"Was hast Du mit ihm gemacht."
"Ich habe ihm meinen Schmerz gezeigt. Telepathisch. Er wollte ihn nicht ansehen und ist deshalb gegangen."
"Aber ich dachte, das tut dir nicht weh."
Die Psychologin merkte bei diesen Worten selber, dass es ziemlich albern klang... andererseits - warum nahm er all das, was ihm angetan wurde, so unbewegt hin?
"Oh - jeder körperliche Schmerz tut mir genauso weh wie jedem anderen auch. Seelisches Leid tut mir sogar noch mehr weh, denn dort liegt meine Aufmerksamkeit. Aber ich bin stolz. Ich lasse mich dadurch nicht unterdrücken. Und normalerweise lasse ich andere meine Gefühle auch nicht mitfühlen, wenn es mir so dreckig geht, weil sie nur mit darunter leiden würden und die meisten es nicht halb so gut verkraften wie ich. Aber der ging mir mit seinem Gefasel einfach mehr auf die Nerven, als ich es im Augenblick ertragen konnte."
Es erschien der Psychologin ein merkwürdiger Gedanke, dass man eigenes Leid und Schmerz verwenden könnte, um andere zu vertreiben. Aber es paßte zu Khaerith - alles an ihm war so merkwürdig.

 

 

FC15.

Khaerit zur Operation!

"Khaerith zur Operation! Khaerith zur Operation!"
Ich schaute auf und fragte die Psychologin:
"Weißt du, was sie diesmal mit mir tun werden?"
"Nein. Aber du mußt gehen."
"Ich weiß. Was würde passieren, wenn ich nicht gehen würde?"
"Das Ding, das sie dir in die Schulter eingepflanzt haben, kann dich bewegungsunfähig machen. Wenn du nicht gehorchst, werden sie dich zuerst damit foltern und dich dann eben holen, wenn du dich nicht mehr rühren kannst."
Ich lächelte ironisch:
"So habe ich mir das vorgestellt."

Ich ging zu dem kleinen Operationsraum und meine Fantasie zeigte mir unterwegs eine ganze Reihe abartiger Dinge, die sie dort mit mir anstellen könnten. Es gelang mir nicht, diese quälenden Bilder vor meinem inneren Auge zu vertreiben.

Der Arzt, der mich kastriert hatte, wartete schon auf mich. Ohne Aufforderung legte ich mich auf die Behandlungsliege. Er schaltete den Strahler ein, der mich bewegungsunfähig machte. Ich spürte mehr als ich sah, wie sie die Instrumente bereitlegten und dann die Augenlider auseinanderzogen. Dann kamen sie mit einem löffelartigem Instrument und hebelten den Augapfel aus der Augenhöhle. Danach schnitten sie die Augenhöhle seitlich mit einem Knochenschneider von der Schläfe aus auf und schnitten den Augennerv an der Stelle ab, an der er ins Gehirn eintrat. Das Auge wurde fortgenommen und die Wunde mit Haut von den Wangen verschlossen. Danach verließen sie hastig den Raum. Ich blieb mit meinen Schmerzen allein und konnte mich mehrere Stunden nicht rühren, weil der Lähmstrahler immer noch an war.

Erst als die Psychologin kam, um mich abzuholen, stellte sie den Lähmstrahler aus. Ich setzte mich vorsichtig auf und griff behutsam nach der Stelle, wo einmal mein linkes Auge gewesen war. Es war nur noch ein ausgefranztes Loch übrig. Die Psychologin nahm mich in die Arme und ich lehnte mich schweigend an sie und versuchte irgendwie mit meinen Schmerzen fertig zu werden.

Die meisten meiner Fantasiebilder waren schlimmer gewesen.

Als die Psychologin den Drachenreiter von der Operation abholte, war sie entsetzt über die Gedankenlosigkeit der Ärzte, die ihn einfach so hatten liegen lassen, als sie mit der Operation fertig waren. Ihm fehlte das linke Auge und als sie ihn von der Lähmung befreite griff er nach der leeren Augenhöhle. Es war eine häßliche Narbe, da sie die Augenhöhle seitlich aufgebrochen hatten, um besser an den Augennerv heranzukommen. Doch der Drachenreiter tastete sie nur mit ruhigen Bewegungen ab und lehnte sich dann schweigend an die Psychologin, die ihn tröstend umarmte. Sein Gesichtsausdruck blieb ruhig wie immer, ohne die Gefühle zu zeigen, die wohl jeder Mensch in seiner Situation gehabt hätte.

Richtig überrascht war sie jedoch, als er am selben Abend pünktlich in ihrem Zimmer auftauchte und sie daran erinnerte, dass sie ihm versprochen hatte, ihm seinen Computer zu leihen, damit er beginnen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben.
"Aber ich dachte, nachdem sie dir das angetan haben, würdest du erst einmal im Bett liegen und nichts tun mögen..." antwortete die Psychologin überrascht.
"Warum? Die Operation hat mir nur gezeigt, dass es noch eiliger ist, als ich fürchtete. Gib mir den Computer und ich werde sehen, dass ich so weit komme, wie es mir heute möglich ist." erklärte er.

Die Psychologin gab ihm den Computer. Und er ging. Doch sie konnte es schon am nächsten Morgen nicht mehr glauben, dass er wirklich gekommen war, um zu arbeiten. Solche Operationen waren eine grauenhafte Erfahrung. Die Psychologin hatte einmal einen Mann betreut, der, nachdem er für entbehrlich erklärt worden war und ihm ein Ohr und die rechte Hand entfernt worden waren wieder rehabilitiert worden war. Er hatte beinahe jede Nacht einen Alptraum von diesen Operationen gehabt. Gegen Ende, als die Behandlung griff, wurde er ruhiger und seine Arbeitsleistungen zuverlässig. Aber er mußte wohl für den Rest seines Lebens darunter leiden - und unter einer krankhaften Angst, wieder für entbehrlich erklärt zu werden. Und dieser verrückte Drachenreiter, benahm sich, als sei da nichts gewesen.

 

 

FC16.

Psychologieprofessor

Der Psychologieprofessor ließ die Psychologin, kommen. Er mochte sie nicht. Sie war ein unterwürfiges Wesen mit blassem, farblosen Gesicht, die zudem noch zu viel Sympathie für ihren Untersuchungsgegenstand erkennen ließ. Nach einer kurzen Unterredung schickte er sie wieder fort und ließ sich den ersten Drachenreiter schicken, den sie genannt hatte.

Er klopfte wenige Minuten später an die Tür. Der Drachenreiter war ein kleiner, müder Mann, der aufgrund des psychologischen Profils für entbehrlich erklärt worden war. Vor kurzem war ihm ein Auge entfernt worden, um einem wichtigeren Menschen zugute zu kommen. Der Blick, mit dem er den Professor musterte war ruhig und nachdenklich. Nicht die Angst, die der Professor sonst von derart bedeutungslosen Kreaturen gewohnt war. Der Professor musterte den Mann minutenlang schweigend. Der Drachenreiter erwidertete den Blick ruhig und ebenfalls schweigend bis der Professor den Blick abwandte, um seine Notizen zu ergänzen.

"Darf ich mich setzen?" fragte der Drachenreiter als der Professor mit dem Schreiben fertig war.
"Nein" antwortete der Professor und beobachtete ihn aufmerksam.
Der Drachenreiter ließ außer einem kurzen bestätigenden Nicken keine Reaktion erkennen, blieb nur einfach ruhig stehen und wartete. Der Professor ließ ihn in der Ecke stehen, während er verschiedene Arbeiten erledigte. Nach etwa einer halben Stunde schaute er ihn wieder an. Der Drachenreiter stand immer noch ruhig ohne das geringste Zeichen des Unbehagens da und betrachtete den Professor aufmerksam.

"Knie nieder!" befahl der Professor scharf.
Der Drachenreiter gehorchte sofort und ohne ein Zeichen, dass es irgendeine Bedeutung für ihn hätte.
"Küß mir die Füße."
Er gehorchte, doch jetzt erschien ein halbes Lächeln auf seinem Gesicht, so als fände er den ganzen Zirkus lediglich lustig.
"Du bist ein absolut wertloses Wesen."
Der Gesichtsausdruck des Drachenreiters blieb ruhig und dieses kaum angedeutete Lächeln war immer noch da. In einer plötzlichen Aufwallung von Ärger gab der Professor dem Drachenreiter eine Ohrfeige.
"Kann es sein, dass ihr gerade dabei seid, die Beherrschung zu verlieren?" fragte der Drachenreiter mit einem sanften Lächeln.
"In der Tat. Und wenn ich sie erst einmal verloren habe, kann ich dich ungestraft in Hackfleisch verwandeln." gab der Professor zurück.
"Ich bin mir durchaus im Klaren, dass ich von der Regierung als entbehrlich klassifiziert bin." antwortete der Drachenreiter kühl.
"Und das ist dir vollkommen egal, wie?"
"Nein. Aber ich kann nichts dagegen tun."
Jetzt erschien zum ersten mal eine Andeutung von Härte in der Stimme des Drachenreiters.

Wieder musterte der Professor den Drachenreiter schweigend und der erwiderte den Blick ruhig.
"Setz dich."
Der Drachenreiter gehorchte und sah den Professor aufmerksam an.
"Du hast überhaupt gar keine Reaktionen gezeigt."
"Ich wollte keine zeigen."
"Warum?"
"Weil ich noch zu keinem Ergebnis gekommen war, was von euch zu halten sei."
"Vielleicht bin ich ja gekommen, um dich zu Tode zu foltern."
"Das kann ich nicht ganz ausschließen."
Die Antworten des Drachenreiters kamen ruhig und ohne Zögern.
"Bin ich gekommen, um dich zu Tode zu foltern?"
"Das halte ich für relativ unwahrscheinlich. Dergleichen ist zu oft gemacht worden, um eine gute Forschungsarbeit abzugeben." antwortete er.
"Vielleicht hege ich ja auch nur einen persönlichen Groll gegen Drachenreiter."
"Wohl kaum. Ihr habt bisher höchstwahrscheinlich keine Gelegenheit gehabt, einen solchen Groll zu entwickeln."
Das Lächeln war nun klar zu erkennen.
"Was ist daran lustig?"
"Ihr macht euch die Sache zu umständlich. Wenn ihr mich direkt nach meinen Zielen und Plänen fragen würdet, würdet ihr viel mehr erfahren." antwortete der Drachenreiter.
"Und dann würde ich auch eine ehrliche Antwort bekommen, wie?"
"Ja. Es ist schließlich kein Geheimnis, was ich vorhabe. Ich binde es jedem auf die Nase, der bereit ist, mir zuzuhören."
"Und was?"
"Ich versuche zu erreichen, dass in Zukunft die Drachen, die von Menschen gefangen genommen werden, am Leben bleiben dürfen." antwortete der Drachenreiter.
Der Professor lachte ihn aus. Der Drachenreiter betrachtete den Professor nachdenklich schien etwas sagen zu wollen und überlegte es sich dann anders.
"Geh auf dein Quartier." befahl ihm der Professor.
Der Drachenreiter verließ gehorsam den Raum.

 

 

FC17.

Friedenshüter

Der Professor blieb nachdenklich sitzen. Der Drachenreiter war auf eine Weise frech, die ihm noch nicht untergekommen war. Er war absolut gehorsam - aber in einer Weise, die jedem, der ihm Befehle gab, klar machen mußte, dass er jeden Augenblick seine Meinung ändern und etwas völlig anderes tun könnte. Gehorsam ohne Angst und Unterwürfigkeit. Der Professor fragte sich, ob es irgendetwas damit zu tun haben könnte, dass er Drachenreiter war - und hielt das für unwahrscheinlich. Es gab nur einen Bereich, wo diese Art von Gehorsam regelmäßig beschrieben worden war: Bei den Friedenshütern. Er überlegte, das zu melden, ließ es dann aber bleiben. Die Friedenshüter waren eine lächerliche Randgruppe, die viel zu ernst genommen wurde von der Regierung. Und im Grunde hatte er während dieser kurzen Unterhaltung Achtung bekommen vor diesem Mann. Er wünschte ihm einfach nicht die Foltern, die er dann würde erleben müssen. Andererseits - es wäre sicher interessant, ihn als persönlichen Diener zu haben - aber dann könnte jemand anders auf den Gedanken kommen, dass der Mann ein Friedenshüter ist und der Professor könnte dafür Ärger bekommen. Also würde er ihn weiterhin als entbehrlich klassifiziert lassen und schauen, dass er die Zeit, die der Mann noch zu leben hätte, so viel wie möglich von dessen Fähigkeiten profitierte.

Die zweite Drachenreiterin kam zwar auf Befehl - brachte aber ohne Erlaubnis ihren Drachen mit.

Der Professor befahl ihr angeekelt, das Vieh wieder wegzubringen.
"Ein Drache ist kein Tier." widersprach sie empört.
"Wenn ich sage, dass ein Drache ein Vieh ist, dann ist er ein Vieh, verstanden?"
Sie sah ihn mit vor Wut blitzenden Augen an und schwieg.
"Verstanden?"
"Ja." antwortete sie widerstrebend.
Dann öffnete sie die Tür und ließ den Drachen einfach fliegen.
"Du darfst den Drachen nie ohne Aufsicht lassen." befahl der Professor.
"Das ist er auch nicht. Ich bin mit seinen Gedanken verbunden und sehe durch seine Augen, was er sieht." antwortete das Mädchen.
"Weißt du übrigens, dass dein Freund ein Friedenshüter ist?" fragte der Professor prüfend.
"Was, wie? Nein, das kann nicht sein! Er ist doch kein Verräter!" sie war offensichtlich empört und entsetzt von der Vorstellung.

In der kurzen Unterredung mit dem Professor, hatte ich ihn schnell eindeutig klassifiziert. Er war ein Arschloch. Jemand, dem man auf keinen Fall auch nur die geringste Schwäche zeigen darf, weil er einen sonst so lange damit quält, bis man am Ende seiner Kräfte ist. Ansonsten war jederzeit mit boshaften Experimenten zu rechnen. Merkwürdig war, dass ich am Ende so etwas wie ein Einverständnis zwischen uns beiden gespürt hatte. Irgendetwas hatte ich erreicht - fragt sich halt nur was. Mit Sicherheit hatte ich jedenfalls seine Achtung gewonnen, auch wenn mir ein Rätsel war, wozu die Achtung eines solchen Arschloches gut sein mochte.

Nur wenige Minuten nach dem Ende des Gesprächs kam die Daeraith in meine kleine Kammer und sagte:
"Dieser blöde Professor hat behauptet, du wärest ein Friedenshüter."
Ich nickte wortlos.
"Aber du bist doch kein Friedenhüter, nicht wahr?"
In dem Augenblick begann sich alles vor meinem inneren Auge zu drehen. Unbekannte Erinnerungen stiegen an die Oberfläche meines Bewußtseins und erzählten mir, dass ich sehr wohl ein Friedenhüter war. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht, um mich vor dem Übermaß an Informationen zu schützen, die plötzlich auf mich einstürmten. Was natürlich nicht funktionierte, weil es ja in meinem Kopf ablief. Mir war schwindelig.
"Was ist plötzlich mit dir los, Khaerith?"
Heftig schüttelte Daeraith mich. Ich schüttelte meinen Kopf in der Hoffnung, dass er dadurch klarer würde, und irgendwie funktionierte es auch.
"Was ist los? Bist du ein Friedenshüter?"
"Ja. Ich bin ein Friedenshüter, aber ich wußte bis eben nichts davon." antwortete ich.

Ihre Miene war sehenswert. Mit der Antwort hatte sie offensichtlich nicht gerechnet. Was das angeht: Ich ja auch nicht. Ich selbst hatte Friedenhüter ein ganzes Leben lang für Verräter an der Menschheit gehalten - nur um plötzlich zu entdecken, dass ich selber einer war. Und Erinnerungen in mir erwachen zu sehen, die mir eindeutig verrieten, dass Friedenshüter niemanden verraten hatten. Dass sie aber wieder und wieder verraten worden waren, verraten, verkauft, mißhandelt, belogen, ermordet, zu Tode gefoltert. Und es gab nur neun Friedenshüter - wir waren mal über tausend gewesen, aber jetzt waren wir nur noch neun. Die meisten hatten einfach die ständigen Foltern nicht verkraftet und waren deshalb abgesprungen, um ein einfaches, unbedeutendes Leben zu führen. Ich aber war meinem Gewissen treu geblieben und hatte weiter für den Frieden gearbeitet, obwohl ich längst keine Hoffnung mehr sah. Nun - langsam zeigten sich doch Erfolge. Ich war der erste Drachenreiter gewesen in einem früheren Leben. Und seither wurde den Menschen im Drachenreich Achtung und Liebe entgegengebracht. Aber ohne die zweite Hälfte, den Erfolg auch im Menschenreich konnte daraus noch nichts Positives entstehen. Deshalb hatte ich mir dieses Leben geplant, in dem ich Drachenreiter wurde und danach in menschliche Gefangenschaft geriet.

"Khaerith ins Büro" rief der Professor über Lautsprecher aus und ich mußte gehen, bevor ich mich ihrer Freundschaft versichern konnte.
"Du bist ein Friedenshüter nicht wahr." sagte der Professor, kaum dass ich den Raum betreten hatte.
"Wie kommst du darauf?" fragte ich zurück.
Ich war froh, dass Daeraith mich zuerst gefragt hatte, so dass ich inzwischen nicht mehr so verwirrt war.
"Bist du ein Friedenshüter?"
Ich schwieg.
"Bist du ein Friedenshüter?"
Das war die dritte Frage und nach unseren eigenen Regeln mußte ich sie beantworten.
"Ja. Ich bin ein Friedenshüter."
Selbstverständlich hätte ich auch lügen können, aber damit hätte ich alles verraten, an das ich glaubte.

Ich stand still da und wartete darauf, dass er mich an die Regierung melden würde. Dass ich dann zum Hauptzentrum des Geheimdienstes des menschlichen Reiches geschickt würde und dort schließlich gefoltert würde, bis ich tot bin. Sie nannten so etwas Verhör - aber im Grunde war diese Bezeichnung lächerlich, weil wir schon vor Jahrhunderten beschlossen hatten, jeden Geheimdienst möglichst vollständig über unsere Erinnerungen, Ziele und Strategien aufzuklären, weil bei Licht betrachtet nichts darin enthalten war, was irgendjemandem schaden würde. Nur wo gerade unsere Leute lebten, verrieten wir nicht, bevor sie tot waren und auch die Staatsgeheimnisse des jeweiligen Kriegsgegners verrieten wir nicht. Doch das hatte nicht gereicht, um sie vom Foltern abzubringen. Dabei hätten sie ohne Foltern mehr erfahren, weil wir unsere Gedanken dann besser hätten ordnen und verständlicher formulieren können. Es hatte nur den Effekt gehabt, dass manche von unseren Plänen von der Regierung übernommen wurden. Das immerhin war auch ein Erfolg.

"Na wie fühlt man sich, wenn man gerade entlarvt wurde?" fragte er lauernd.
"Desorientiert." antwortete ich.
"Warum das?"
"Weil ich es bis vor ein paar Minuten selbst noch nicht wußte." antwortete ich.
"Dann stimmt das also. Ihr wißt nichts davon und es fällt euch erst dann ein, wenn ihr die Frage gestellt bekommt. Warum gebt ihr eigentlich immer eine ehrliche Antwort?"
"Es gibt nur neun Friedenshüter. Aber es gibt hunderttausende an anständigen Menschen auf der Welt. Würden wir nicht ehrlich antworten, würden Menschen allein wegen ihres Anstandes für Friedenshüter gehalten und so lange gefoltert, bis sie es zugeben, obwohl sie in Wirklichkeit nicht zu uns gehören. Wir wollen weder, dass andere für unsere Taten bestraft werden, noch dass wir für die Taten anderer verantwortlich gemacht werden." antwortete ich

 

 

FC18.

Lebensgeschichte

Der Psychologieprofessor betrat die winzige Kammer, die dem als entbehrlich klassifizierten Reiter eines toten Drachen zugewiesen worden war. Der Mann saß vor einem Computer, der sich eigentlich nicht in diesem Raum hätte befinden sollen und schrieb etwas.
"Khaerith - ich habe eine Aufgabe für dich. Du wirst ab heute deine Lebensgeschichte aufschreiben. Beginne damit, dass sie dich ins Drachenland geholt haben und wenn du bei der Gegenwart angekommen bist, holst du die Schilderung deiner frühen Kindheit nach. Und beeil dich, dass du damit auch noch in diesem Leben fertig wirst." befahl der Psychologieprofessor.
"Gerne. Das hatte ich mir sowieso vorgenommen." antwortete der Drachenreiter mit einem freundlichen Lächeln.
"Morgen will ich das erste Kapitel sehen." fuhr der Psychologieprofessor fort.
"In Ordnung. Ihr könnt es aber auch jetzt schon bekommen - auch wenn ich es dann sicher für den von euch vorgesehenen Zweck noch ändern müßte. Und wenn ihr euch entschließen könntet, mir eine etwas längere Frist zum Leben zu verschaffen, würde meine Arbeit wesentlich ausführlicher ausfallen. Die Psychologin meinte, dass ich sicher nur noch wenige Monate zu leben hätte und das ist eine Zeit, die für eine ausführliche Lebensgeschichte, wie sie als Grundlage einer solchen Arbeit nötig wäre, nicht ausreicht." antwortete der Drachenreiter ruhig.
"Du hast wohl Angst vor dem Tod, wie?"
"Angst? Angst ist etwas anderes. Aber ich will nicht sterben." antwortete der Drachenreiter entschieden.

So, er wollte also seine Geschichte aufschreiben. Mal sehen, wie groß seine Entschlossenheit dazu war, dachte sich der Professor.

 

 

FC19.

Blutspende

"Khaerith zur Operation! Khaerith zur Operation!"
Ich hörte diese Worte und wünschte mir, einfach wegrennen zu können. Dummerweise hatte ich nicht die geringste Chance. Auch das Sicherheitssystem, das verhindern sollte, dass ich die uns zugewiesenen Räume verließ, wies keine Lücke auf. - Zumindest keine, die ich bisher entdeckt hatte und ich hatte danach gesucht. Nun - jedes Sicherheitssystem wies Lücken auf. Egal ob es von Menschen oder Drachen entwickelt worden war. Aber es dauerte manchmal mehrere Leben, ehe einer von uns berichten konnte, ein solches System geknackt zu haben. Schweigend machte ich mich in Richtung Operationsraum auf und ging durch die Türen, die sich jetzt, da ich dorthin sollte, vor mir öffneten. Leider blieben alle Seitentüren verschlossen, weil der kleine Sender unter meinem Schulterblatt die Computerchips in den Schlössern informierte, dass ich keine Durchgangserlaubnis hatte.

In der Tür des Operationsraumes blieb ich stehen und schaute mich aufmerksam um. Ich entdeckte eine große Flasche - mindestens fünf Liter - mit isotonischer Salzlösung. Dann fragte ich die Ärzte, was mich diesmal erwarten würde.
"Keine Sorge. wir nehmen dir nur ein wenig Blut ab." antwortete eine Krankenschwester beruhigend.
"Ein wenig? Und weshalb braucht ihr dann fünf Liter Salzlösung?" fragte ich.
Niemand antwortete. Sie würden mir den größten Teil meines Blutes abzapfen, wenn sie so viel Flüssigkeit ersetzen mußten. Aber ich würde es höchstwahrscheinlich überleben - sonst hätten sie gar keine Salzlösung gebraucht.

Ich legte mich hin, wurde angeschnallt und die Liege so eingestellt, dass meine Beine deutlich höher lagen als der Kopf während mein rechter Arm nach unten hängen lassen wurde. Dann wurde in meinen linken Arm eine Infusionsnadel für die Salzlösung eingestochen, nachgeschaut ob sie die Ader auch wirklich getroffen hatten, doch die Infusion noch nicht laufen lassen, um das Blut nicht zu verdünnen. In den herunterhängenden rechten Arm wurde die Nadel zum Blutabzapfen gestochen und festgeklebt. Sie ließen das Blut laufen, bis mir schwarz vor Augen wurde, obwohl mein Kopf beinahe die tiefste Stelle des Körpers war. Das heißt der gesamte Unterleib und die Beine mußten praktisch blutleer sein. Dann erst stellten sie die Infusion an, um die Flüssigkeit zu ersetzen und ließen mich wieder einmal einfach so liegen. Es war wieder die Psychologin, die mich abholte - allerdings war ich diesmal viel zu schwach, um sie anzusprechen. Sie schob einfach die Behandlungsliege mit mir in meinen Schlafraum.

Am nächsten Tag schaute der Psychologieprofessor herein. Er fragte mich, ob ich wieder einmal zu faul wäre, um zu arbeiten. Ich solle gefälligst an meiner Geschichte weiterschreiben. Ich bat ihn, die Tastatur auf meinen Bauch zu legen und den Computerbildschirm so hinzustellen, dass ich ihn im Liegen sehen konnte. Zum Aufstehen sei ich schließlich noch zu schwach. Er lächelte und tat was ich ihm gesagt hatte.

Als die Psychologin mir später am Tag mein Mittagessen brachte, war sie überrascht, mich arbeiten zu sehen.

Dabei war diese Blutspende harmlos gewesen - bis auf die beiden Nadelstiche hatte sie nicht wehgetan, und bleibende Schäden hatte sie glücklicherweise auch nicht hervorgerufen. Wenn nur alle Operationen so wären!

 

 

FC20.

Das Ohr und der Arm...

Bei der nächsten Operation wurde mir das linke Ohr samt Innenohr herausoperiert.

Für die Operation danach wurde ich dann nicht in den im Zoo liegenden Operationsraum gerufen sondern es hieß:
"Khaerith in die Garage, Khaerith in die Garage."

Ich war gerade in eine Unterhaltung mit der Psychologin vertieft und fragte sie, ob sie wüßte, wohin ich transportiert werden solle. Sie wußte es nicht und begleitete mich zur Garage - was Daeraith nicht gekonnt hätte, da sie nicht in die Garage durfte.

Dort wartete ein Transporter auf mich. Ich fragte, wo es hingehen solle und erhielt zur Antwort:
"In die Zentralklinik."
Ich dachte, dass das dann wohl mein Ende sein würde, verabschiedete mich von der Psychologin und bat sie, die anderen von mir zu grüßen. Innerlich fühlte ich mich wie erstarrt, auch wenn man mir das gewiß nicht ansah. Die Psychologin umarmte mich und wollte mich nicht wieder loslassen, bis schließlich die Transportbegleiter eingriffen, mich fesselten und mir befahlen in den Transporter zu steigen. Ich gehorchte und kurz darauf ging es los.

Außer mir wurde noch ein zweiter Mann aus dem Zoo abgeholt. Ich hätte mich gerne mit ihm unterhalten, um mich von meinen Mutmaßungen über die Zukunft abzulenken, die höchstwahrscheinlich häßlicher waren, als es die Realität sein würde. Doch er hatte sich zusammengekauert wie ein Fötus im Mutterleib und wimmerte leise vor sich hin. Ich sah keine frischen äußeren Verletzungen - eine Hand hatten sie ihm auch geraubt, aber das mußte schon länger her sein, also nahm ich an, dass es lediglich Angst war.

Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück und dachte nach. Ich spielte alle Möglichkeiten durch, was ich tun könnte. Das Ergebnis dieser Überlegungen war wie immer: nichts.

Schließlich öffnete sich die Tür, wir wurden in einen Duschraum geführt, wo wir uns ausziehen und waschen mußten, um keine Keime in den Operationsraum zu tragen. Ich gehorchte sofort. Waschen ist nichts Schlechtes - und an meinem zusammengekauerten Begleiter führten sie mir vor, wie man Leute mit Gewalt duscht, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Erst mit dem Foltergerät bewegungsunfähig machen, dann aufrecht an ein Gestell hängen und duschen.

Dann schließlich mußte ich in den Operationsraum, mich dort auf die Operationsliege legen. Es dürfte wohl niemandem aufgefallen sein, wie angespannt ich innerlich war, weil ich mich in solchen Situationen immer wie im Reflex entspanne. Auch dieser vollkommen ruhige Tonfall, in dem ich fragte, was sie mit mir tun würden, dürfte keiner als das Zeichen von Anspannung und Angst erkannt haben, das er bei mir ist. Weinen kann ich nur, wenn ich mich relativ sicher und geborgen fühle. In jenem Leben hatte ich nur in der glücklichen Zeit bei den Drachen manchmal geweint, oder wenn ich völlig allein war. Nie in Gegenwart anderer Menschen.

Dann wurde wieder der Lähmstrahler angestellt und sie begannen nach und nach die Muskeln von den Rippen zu lösen, die nötig sind, um den linken Arm zu bewegen. Danach kugelten sie den Arm aus dem Gelenk, und schnitten als letztes Nerven und Schlagadern durch. Schließlich reichten sie den Arm durch ein Fenster in das Nachbarzimmer, wo er einem anderen Menschen angeflickt wurde. Sie zogen Haut über die offene Wunde und heilten sie dort an. Dann stellten sie den Lähmstrahler aus.

Es dauerte ein Weilchen, bis ich den Schmerz weit genug aus meinem Bewußtsein zurückgedrängt hatte, um meine Umgebung wieder wahrnehmen zu können. Dann setzte ich mich vorsichtig auf, zog die Beine an und legte meinen Kopf auf die Knie. Es tat so weh! Dann spürte ich, wie jemand sanft eine Hand auf meine Schulter legte. Ich schaute auf. Es war eine Frau.
"Es tut mir leid, was wir dir angetan haben, aber jetzt kannst du wieder nach Hause gehen. Das wars für heute. Dein Professor will dich noch haben."
Zuerst verstand ich einfach nicht, was sie sagte. Dann glaubte ich es nicht. Niemand, der zum Zentralkrankenhaus geschickt worden war, war zurückgekommen. Und schließlich kam ich zu dem Ergebnis, dass ich mir gar nicht so sicher war, ob ich nicht vielleicht lieber heute gestorben wäre, als so scheibchenweise auseinandergeschnitten zu werden. Alle paar Tage ein weiteres Teil.

Ihre Freundlichkeit, die Erschöpfung wegen der durchgestandenen und immer noch vorhandenen Schmerzen und dass die Anspannung plötzlich weg war, führten dazu, dass ich in Tränen ausbrach. Da rüttelte sie mich grob, befahl mir aufzustehen und führte mich zurück in den Transporter. Auf dem Weg redete sie tröstend auf mich ein und verstand nicht, warum ich jetzt, wo alles vorbei war, weinte. Wobei "vorbei" in dem Zusammenhang auch ein komisches Wort ist. Arme wachsen schließlich nicht nach. Die Menschen sind es nicht gewohnt, dass man auf Freundlichkeit mit Tränen reagiert. Aber ich hatte immer nur weinen können, wo ich mich sicher fühlte und von ihr ging keine Bosheit aus, auch wenn ich nicht verstand, was sie in diesem Krankenhaus suchte, wo solche Dinge getan wurden.

Nachdem sie den Drachenreiter zum Transporter gebracht hatte, ging die Psychologin direkt zum Büro des Professors.
"Jetzt haben sie ihn ins Zentralkrankenhaus gebracht und er muß sterben. Warum hast du nichts dagegen getan?" fragte sie den Professor vorwurfsvoll.
"Sie nehmen ihm einen Arm ab und dann kommt er zurück. Zu jeder Operation müssen sie vorher um Erlaubnis fragen und diese habe ich persönlich genehmigt." antwortete der Professor.
"Aber warum? Womit hat er das verdient?" fragte sie empört.
"Er ist ein Entbehrlicher. Wenn er etwas Besseres gewollt hätte, hätte er es sich verdienen müssen." antwortete der Professor.
"Was hätte er denn noch tun sollen? Ich habe selten eine bessere Beurteilung über einen Menschen geschrieben, als seine." antwortete die Psychologin.
"Er hätte nie Drachenreiter werden dürfen." antwortete der Professor.

Er erinnerte sich an diese sehr gute Beurteilung. Deshalb hatte er den Mann ja kennen lernen wollen und ihm zum Zoo geschickt. Die Kastration hatte er befohlen, um herauszufinden, wie dieser Mensch auf Druck reagiert - und aus demselben Grund hatte er der Operation zugestimmt, bei dem ihm ein Auge herausoperiert worden war.

Der Professor ging dann zu den anderen Drachenreitern, die interessanterweise bescheid wußten, was geschehen war, obwohl niemand es ihnen erzählt hatte. Sie weigerten sich, zu sagen, was dieses Ereignis ihnen gefühlsmäßig bedeutete, redeten nur mit einer klinischen Sachlichkeit darüber, als hätten sie sich Khaerith zum Vorbild genommen. Inzwischen hatte der Professor begriffen, dass sie das taten, weil sie ihn nicht ausstehen konnten. Das war dem Professor herzlich egal. Die beiden waren nur eine Stufe über entbehrlich klassifiziert - also keiner wie auch immer geachteten Beachtung wert. Der Drachenreiter Khaerith dagegen erhob sich allein durch seine Persönlichkeit über jede Einstufung, die man ihm zuteilen mochte.

Gerade als der Professor gehen wollte, erstarrten die Drachenreiter und ihr Blick wurde glasig. Er kniff in den Oberarm der neben ihm stehenden Frau und fragte herrisch:
"Was ist?"
Daeraith hob den Blick und sah ihn aus tiefdunklen unendlich schmerzerfüllten Augen an, zu der ihre sachlich klingende Simme im absoluten Gegensatz stand:
"Sie nehmen Khaerith einen Arm ab."
Der Professor ließ sie los und beobachtete still. Nach fast einer halbe Stunde entspannten sich die Drachenreiter merklich und Daera sagte:
"Er kommt zurück."
Also stimmte es doch, dass Drachenreiter Telepathen waren. Das hätte der Professor nicht gedacht.

Der Drachenreiter war immer noch so ruhig und stolz wie vorher, als der Professor am Abend mit ihm sprach. Und er schrieb einige Stunden an seiner Geschichte, als sei an diesem Tag nichts Ungewöhnliches geschehen. Den Professor behandelte er aber geradezu mit Verachtung.

Er war sich selber nicht so ganz klar warum, aber in dem Augenblick beschloß der Professor, dass er dem Drachenreiter die Zeit geben wollte, seine Geschichte vollständig aufzuschreiben.

 

 

FC21.

Ruhige Zeiten

Nachdem sie mir den Arm abgenommen hatte, rief mich der Professor zum Gespräch, sobald ich zurück war. Er hatte wieder seine boshafte Art an sich, tat einige Dinge, nur um mich zu verunsichern, mir Angst einzujagen - drohte mir, mich als Friedenshüter bei der Führung zu melden und ich lachte ihn einfach aus - dass er sich selbst damit Probleme schaffen würde, sagte ich nicht, denn er hatte es ja wochenlang ungemeldet gelassen. Aber unabhängig davon sah meine Situation dermaßen übel aus, dass eine solche Meldung nur eine Art von Foltern gegen eine andere Art Foltern austauschen würde. Es gab für mich nichts zu gewinnen und wenig zu verlieren, außer dem, was mir am wertvollsten war: Mein gutes Gewissen und meine Selbstachtung.
Merkwürdigerweise spürte ich nach diesem Lachen wieder diese telepathische Wahrnehmung von Einverständnis.

Und danach konnte ich mehrere Jahre arbeiten, ohne wieder operiert zu werden. Ich ging jedes Kapitel meines Lebens mehrfach durch, versuchte es zuerst zu beschreiben, so dass Leser meine Gefühle möglichst gut nachempfinden, meine Gedanken möglichst gut nachvollziehen konnten, danach wechselte ich in die psychologische Fachsprache und erklärte das, was dahinter im Unbewußten ablief, so gut ich es ergründen konnte - und das konnte ich um ein vielfaches besser als die meisten Menschen.

Und eines Tages dann hallte wieder die Lautsprecherstimme durch die Räume:
"Khaerith zur Operation. Khaerith zur Operation."
Sie nahmen mir eine Niere heraus. Und kaum war die Operation beendet, rief der Professor mich in sein Büro. Er hatte wieder diese kalte lauernde Haltung an sich, die er ganz am Anfang gehabt hatte. Dabei war er in den Jahren zwischendurch teilweise ehrlich freundlich gewesen.
"Warum hast du dieser Operation zugestimmt?" stellte ich den Professor zur Rede.
"Weil du dazu da bist, anderen, die wichtiger sind als du, ein längeres Leben zu ermöglichen."
"Das mag die offizielle Position der Regierung zu dieser Frage sein, aber es ist nicht dein persönlicher Grund, dieser Operation zuzustimmen." widersprach ich.
"Du bist nicht mehr wie früher."
"Was war an mir früher anders?" fragte ich zurück.
"Du warst so strahlend."
"Ach so. Ich hatte mich nicht mehr bemüht, normal zu erscheinen, weil ich nichts mehr zu verlieren hatte. Wenn wir immer unser Innerstes nach außen kehren würden, wären wir so leicht zu finden wie eine Navigationsbake im Weltraum. Man könnte uns einfach nicht übersehen und deshalb würden wir gefangen und ermordet, bevor wir mit unserer eigentlichen Arbeit auch nur beginnen können. Deshalb bemühen wir uns, uns unauffällig zu verhalten. Und das ist uns so weit in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir es automatisch immer tun, wenn uns niemand so sehr bedroht, dass diese Verkleidung sinnlos erscheint." erklärte ich.
"Aber das ist doch nichts, dessen man sich schämen müßte, dieses Strahlende..."
"Schämen? Nein. Aber die ganze Welt hat sich entschlossen, uns als Verräter zu verfolgen."
"Ihr seid doch auch Verräter..."
"Ach ja? Und wen von den vielen Völkern, die uns verfolgen, haben wir bitte schön verraten, welche von den Geschichten stimmt?"
"Keine."
Überrascht sah ich ihn an. Ich hätte nicht gedacht, dass er es weiß.
"Richtig. Keine. Alle sind sie vom menschlichen Geheimdienst in die Welt gesetzt." bestätigte ich.

Abends dachte ich über das Gespräch nach. Ich kann nicht sagen, wie erstaunt ich war, als ich seine Worte hörte... das Strahlende hatte ihn fasziniert. Das Strahlende, das wußte ich inzwischen, war nichts Anderes als die Wirkung davon, dass ich seit vielen Leben kompromißlos meinem Gewissen gefolgt war. Jeder von uns neun übriggebliebenen Friedenshütern strahlte es aus. Überraschend aber war daran, dass gerade ein solch herzloses zynisches Arschloch wie dieser Psychologieprofessor davon so fasziniert war, dass er all seine Grundsätze und Überzeugungen darüber vergaß. Aber zumindest hatte es mir verraten, wie ich mich ihm gegenüber verhalten mußte: Offener, als ich es bisher getan hatte, ihm meinen Stolz zeigen und wie ich mich selbst einschätzte. Ihn als das behandeln, was er war.

Es kam für ihn etwas überraschend, dass ich anfing, ihm Befehle zu erteilen - Befehle mit genauen Erklärungen über das warum und wie zwar - aber Befehle. Noch viel überraschender war für ihn, dass ich ihn von Zeit zu Zeit ein Arschloch nannte - im freundlichen liebevollen Ton zwar - aber ein Arschloch. Beides ließ er sich gefallen, denn es geschah nur unter vier Augen. Und er führte meine Anweisungen aus - nicht wie ein Hund sondern aus einer Neugier heraus, was daraus werden mochte. Da ich es ihm verboten hatte, hörte er auf, die anderen von Zeit zu Zeit zu ärgern und ihnen weh zu tun.

Dann wurden meine Anweisungen allmählich weniger genau, ich zeigte ihm, dass ich von ihm erwartete, dass er seinen eigenen Kopf verwende, um entsprechend meiner moralischen Grundsätze zu leben. Und er bemühte sich darum. Nur ganz selten tat er etwas, von dem er wußte, dass ich es nicht gut finden würde und ich erklärte ihm dann nur ruhig, warum ich es für schlecht hielt. Ohne Vorwurf.

Die Drachen wurden größer. Daera war am Ende 10m und Katira 15m seit Jahren bettelten sie darum, draußen fliegen zu dürfen, weil es im Freigehege längst zu eng war, um richtig zu fliegen und ich drängte den Professor, sich darum zu kümmern. Er tat das auch. Aber es dauerte Jahre, bis er die Männer an den zuständigen Stellen überzeugen konnte, dass die Drachen sich an die ihnen vorgegebenen Flugrouten und Verhaltensmaßregeln halten würden.

In dieser Zeit schrieb ich meine gesamte Lebensgeschichte auf, doch bevor ich das letzte Kapitel begann, ging ich alles noch einmal durch und korrigierte Fehler, formulierte hier und da etwas besser oder genauer, fügte neue Kapitel und Erklärungen ein. Schließlich fragte der Psychologieprofessor mich, warum ich nicht weiterkäme. Ich erklärte es ihm.
"Und warum schreibst du nicht erst zuende und verbesserst dann?" fragte er.
"Würdest du mir erlauben, dann noch die letzten Fehler zu verbessern, oder wirst du meinen Körper vorher zum Ausschlachten freigeben?" fragte ich ihn.
Er senkte den Kopf und schwieg - was auch eine eindeutige Antwort war. Und es war genau die Antwort, die ich erwartet hatte.
"Du schreibst das letzte Kapitel morgen." befahl er.
"Warum?" fragte ich.
"Ich habe Angst. Wenn ich es noch viel länger hinauszögere, werden sie mich am Ende auch noch hinrichten." antwortete er.
Das war eine ehrliche Antwort, die ich mit einem Nicken akzeptierte. Ich sah ihn lange schweigend an, erspürte seine Energie und wußte, dass er nicht länger warten würde, ganz gleich, was ich tat.

"Gut. Das letzte Kapitel bekommst du morgen." antwortete ich.

In mir war alles still und wie erstarrt. Ich wußte schließlich, was das hieß.

 

 

FC22.

Zentralkrankenhaus

Am nächsten Tag schrieb ich das letzte Kapitel und am übernächsten Tag, kam der Transporter, der mich ins Zentralkrankenhaus brachte.

Ich ging alleine hin. Vor dem Transporter wartete ein junger Mann auf mich. Er trug die Uniform der Transportbegleiter und war sichtlich erstaunt, dass ich ohne jeden sichtbaren Zwang kam.
"Weißt du, wo es hingeht?" fragte er.
"Ins Zentralkrankenhaus. Mir wurde gesagt, dass sie mir die Beine abnehmen und die meisten inneren Organe." antwortete ich.
"Warum versuchst du dann nicht zu fliehen?" fragte er.
"Ich habe über zehn Jahre nach einem Fluchtweg gesucht und keinen gefunden. Alles, was ich tun könnte, wären leere Gesten. Eine Chance zu einer erfolgreichen Flucht sehe ich nicht." antwortete ich.
Ich stieg in den Transporter. Der Wachmann folgte mir und betrachtete mich nachdenklich. Dann fesselte er mir meinen einen Arm auf den Rücken. Ich setzte mich auf die Bank und sah ihn schweigend an. Er erwiderte meinen Blick und nach Minuten ruhigen Wartens fragte er schließlich:
"Was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn man ohne Betäubung operiert wird?"

Leise und ruhig beschrieb ich ihm die Operation, in der sie mir meinen Arm abgenommen hatten. Das Gefühl, doch irgendetwas tun zu müssen, wegrennen, schimpfen, dem anderen ins Gesicht spucken, und es doch nicht zu können, denn wenn man es versucht, rührt sich der Körper einfach nicht. Nur das Herz schlägt noch und das Zwerchfell sorgt dafür, dass genug Luft in die Lunge kommt. Die Schmerzen, die sich über Ewigkeiten hinzuziehen, scheinen und immer schlimmer werden, obwohl ja jede Wunde so schnell wie möglich mit dem Heilstrahler verheilt wird, damit man nicht zuviel Blut verliert. Auch das scheint eine Reaktion darauf zu sein, dass man nicht tun kann, was tun zu müssen, man das Gefühl hat. Dann wird die Lähmung ausgestellt und die längst geheilten Wunden tun immer noch weh - Phantomschmerzen, denn es fehlt ja etwas zur Ganzheit des Körpers. Die Jahre darauf, wie Leute mich anstarrten oder verspotteten, als wäre es meine Schuld, dass sie mir Teile meines Körpers geraubt haben.
"Und jetzt bin ich hier." endete ich.
Er stellte keine weitere Fragen, sah nur aus, als wäre ihm schlecht geworden. Er führte mich zum Umkleideraum vor dem Operationsraum, wie es seine Pflicht war und drückte mir kurz die Schulter. Ich lächelte ihm zum Abschied nur zu, denn auch mir fielen keine passenden Worte ein.

Der Mann kündigte noch an demselben Tag seine Stelle.

Ich aber zog mich aus, duschte mich wie vorgeschrieben und ging dann gehorsam in den Operationsraum. Die Ärzte erwarteten mich schon, schnallten mich auf der Operationsliege fest, stellten den Lähmstrahler an und begannen, indem sie die Bauchmuskulatur von den Rippen schnitten, mich umdrehten und die Wirbelsäule bis zum Hals von den Rippen abschnitten und so den gesamten Unterleib mitsamt allen inneren Organen außer der Leber und der Milz mit entfernten. Auch die Speiseröhre wurde oben am Kehlkopf abgeschnitten. Als nächstes wird das Herz herausgeschnitten und durch eine künstliche Pumpe ersetzt. Dann verschlossen sie die Wunde am Rücken mit dem Heilstrahler, so dass die Rippen am Rücken direkt aneinander festwachsen, ohne Wirbelsäule dazwischen. Dann wird die Öffnung im Zwerchfell verschlossen, Haut über die verbleibenden Organe gezogen, damit sie vor Luft geschützt sind. Dann gehen sie an den Kopf, ziehen die Kopfhaut mit den Haaren ab und schneiden einen Teil der Schädeldecke heraus. Das Loch wird nur mit Haut verschlossen. Zum Schluß entfernen sie die Nase. Sie schließen mich an ein kompliziertes Lebenserhaltungssystem an und rollen mich in einen Raum, wo es viele Menschen gibt, denen es nicht besser geht als mir. Dann stellen sie den Lähmstrahler aus.

Zuerst falle ich in einen tiefen, komaartigen Schlaf. Als ich aufwache, entdecke ich zu meiner Erleichterung, dass ich meinen Arm noch bewegen und auch noch sprechen kann. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob sie den Kehlkopf gleich mit und bis zu welchem Rückenwirbel sie die Wirbelsäule herausgenommen hatten.
"Hallo?" sprach ich eine vorübergehende Ärztin an.
Sie sah ziemlich überrascht aus. Offensichtlich sprach hier fast niemand mit ihr.
"Kannst du mir sagen, wie lange die Operation her ist?" fragte ich.
Sie schaute im Computer meines Lebenerhaltungssystems nach und antwortete:
"Drei Tage."
"Ist da schon eine neue Operation eingetragen?"
"Ja. In einer Woche."
"Was?"
"Alles."
Ich schwieg erst einmal einige Minuten. Sie ging weg. Dann, als sie wieder einmal vorbeikam fragte ich:
"Kannst du mir einen Computer leihen? Ich will meine Erfahrungen hier aufschreiben."
"Wozu?"
"Um sie ins Netz zu setzen."
"Und wer soll das machen?"
"Du kannst es einer Freundin mailen, die das für mich tut." antwortete ich.
Sie sah mich an, als hätte eine Schnecke oder ein ähnliches Tier ihr gerade einen gelehrten Vortrag gehalten, brachte mir aber am selben Tag noch einen kleinen Computer und fand eine Möglichkeit Bildschirm und Tastatur so zu befestigen, dass ich ohne große Anstrengungen schreiben konnte.

In den nächsten Tagen stellte ich fest, dass schreiben Schwerstarbeit sein kann - jedenfalls mit so einem geschwächten und zerstörten Körper, wie meiner es war. Aber es hielt mich Gott sei Dank auch davon ab, mir all die hunderttausend Foltermethoden ins Gedächtnis zu rufen, die ich in früheren Leben schon erlebt hatte. Es war eine erstaunlich wirkungsvolle Methode, dafür zu sorgen, dass ich zu meinen augenblicklichen Problemen, die ja schwierig genug waren, nicht noch schlimmere hinzuerfand, die sich ergeben könnten. Und außerdem war die Ärztin wirklich so nett, es der Psychologin zu schicken, die es ins Internet zu der Fassung meiner Geschichte setzte, die ich für die einfachen Leute geschrieben hatte. - Also die, wo der psychologischer Sermon fehlte.

 

 

FC23.

Tag des Todes

Der Psychologieprofessor betrat den Raum, in dem die operierten Entbehrlichen gelagert wurden, bis weitere Teile von ihnen angefordert wurden. Er betrachtete die vielen medizinischen Apparate und ging zielstrebig zu dem Bett mit der Nummer des Drachenreiters. Als er davor stehen blieb und den schrecklich verstümmelten Körper darin sah, fürchtete er, vergeblich gekommen zu sein. Das konnte niemand verkraftet haben, ohne innerlich daran zerbrochen zu sein.

Der Drachenreiter hatte nur noch einen Arm und keine Beine mehr. Eine Anfrage an den Computer des Lebenserhaltungssystems zeigte, dass ihm auch die meisten inneren Organe fehlten, sowie eine ganze Reihe Nervenstränge, einzelne Muskeln und Teile des Gesichts.

Dann jedoch öffnete der Drachenreiter das Auge und darin lag dieselbe Ruhe, wie bei der ersten Begegnung. Er musterte sekundenlang den Besucher und lächelte dann mit der einen noch gesunden Hälfte seines Mundes, als wäre ihm irgendein Witz eingefallen.
"Was führt dich hierher Professor? Mit deinem Besuch hätte ich wirklich nicht gerechnet." fragte er.
"Ich habe deine Texte im Netz gelesen. Sie sind gut - aber im Gegensatz zu dem, was du für mich geschrieben hast, nicht wissenschaftlich korrekt, sondern eine Geschichte für das einfache Volk. Wer hat dir einen Computer zur Verfügung gestellt, damit du das schreiben konntest und wer hat es ins Internet gesetzt?"
"Eine Ärztin mit der ich mich öfters unterhalten habe. Wie geht es den jungen Drachenreitern?" antwortete der Drachenreiter.
"Gut. Ich bin gerade damit beschäftigt, alles dafür vorzubereiten, dass sie bald mit ihren Drachen Flugschneisen zugewiesen bekommen. Die inoffizielle Zustimmung der meisten wichtigen Leute habe ich schon, so dass ich bald den offiziellen Antrag auf Flugerlaubnis stellen kann. Die Drachen meinen, bald wird auch das Ei schlüpfen. Deshalb habe ich inzwischen ein paar Mädchen gefunden, die sich meiner Ansicht nach als Reiter eignen würden. Was wirst du als nächstes schreiben?"
"Nichts, Professor. Ich habe gerade erfahren, dass ich in anderthalb Stunden das nächste mal operiert werde und dass ich diese Operation nicht überleben werde. Die Ärztin lädt gerade die letzten Änderungen hoch." antwortete der Drachenreiter.
"Aber... wie kannst du dabei so ruhig sein?"
"Im Grunde bin ich froh, dass es bald vorbei ist. Ich habe die letzten Monate soviel Leid und Schmerz erlebt, dass ich mir immer wieder den Tod herbeigesehnt habe. Und mit jedem Tag, den ich noch gelebt habe, konnte ich weniger tun. Die letzten Tage habe ich täglich nur noch wenige Minuten schreiben können."
"Ich werde mich um die Drachen kümmern." sagte der Professor.
"Danke."
Mit diesem Wort schlief der Drachenreiter ein. Das kurze Gespräch mußte ihn sehr erschöpft haben.

Der Professor dachte an die Worte, die die Psychologin immer wieder gesagt hatte:
"Ich begreife nicht, wie er ein solches Schicksal tragen kann, als wäre da nichts."
Langsam fragte er sich dasselbe. Wie schaffte es der Drachenreiter, so ruhig und gelassen über seinen Tod zu reden, der unmittelbar bevorstand - und der, wie er aus Erfahrung wissen mußte, eine fürchterliche Quälerei sein würde? Eine der grausamsten Foltern, die es gibt.

Im Operationsraum wurde ich wieder geweckt, um sicherzustellen, dass ich in meinem Körper war, dann erst stellten sie den Lähmstrahler an. Sie begannen, indem sie meine Hand aufschnitten, um dort ein paar bestimmte Knochen herauszuholen und sie einem anderen einzupflanzen. Danach holten sie einige Muskeln aus dem Arm und einzelne Nervenfasern. Ich fragte mich, wie das funktionieren konnte, da die Zellkerne ja nicht in den Nervenfasern liegen, doch es scheint, dass sie im Menschenreich dafür eine Lösung gefunden hatten, die bei den Drachen nicht bekannt war. Zum Schluß nahmen sie Haut und Knochen und gaben sie fort. Danach wurde der Arm am Ansatz zugeheilt, so dass ich durch seine Schlagadern kein Blut mehr verlieren konnte. Dann schnitten sie Milz und Leber heraus und gaben sie fort und trennten auch die Rippen auf, so dass sie die Lunge herausholen und zur Verpflanzung in einen anderen Körper fortgeben konnten. Dann waren auch dort Haut und Knochen dran - mehr war ja von meinem Oberkörper sowieso nicht übrig gewesen. Dann gingen sie an den Kopf, schnitten das übrige Ohr und Auge heraus und schließlich öffneten sie den Schädel, holten das Gehirn heraus und reichten es durch ein Fenster in einen anderen Raum. Ich fragte mich, was sie mit einem Gehirn ohne Seele wollten - denn ich konnte meinem Gehirn ja nicht in den Körper folgen, in den es eingepflanzt werden würden, genausowenig wie mein lebenserhaltendes Energiefeld, das manchmal auch als feinstofflicher Körper bezeichnet wurde. Sie stellen den Lähmstrahler mit dem eingebauten Fallenenergiefeld, das mich auf der Liege gefangenhielt immer noch nicht aus, ließen ihn noch weitere zehn Stunden in Betrieb, so dass ich, obwohl nichts von meinem Körper mehr auf der Liege war, sie dennoch nicht verlassen konnte - und zu allem Überfluß hatte ich auch noch Schmerzen - so als hätte ich einen ganzen, vollständigen Körper der nur aus brennendem Feuer bestand. Erst nach Tagen, die mir aber eher wie Jahre erschienen waren, stellen sie es aus. Noch weitere zehn Stunden war ich zu benommen durch den ständigen Schmerz, um fliehen zu können.

Zuerst war ich einige Stunden lang nur froh, endlich keine Schmerzen mehr haben zu müssen. Dann dachte ich an Daera, Daeraith, Katira und Katiraith und schaute nach ihnen. Sie waren nicht da. Die Psychologin war telepathisch nicht geübt genug, um mit Toten zu sprechen, also suchte ich die Drachen telepathisch und ich fand sie hintereinander hoch über der Stadt schwebend. Sie hatten ihre Reiter und zwei Fluggäste auf dem Rücken und bemerkten meine Anwesenheit sofort ich gab ihnen einen kurzen telepatischen Bericht der letzten Tage und auch sie informierten mich, was bei ihnen in der letzten Zeit geschehen war - und es sah gut aus. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir gelingen würde, dass die Drachen nicht nur am Leben bleiben, sondern auch noch fliegen durften. Jetzt fehlte nur noch ein Nebenverdienst für die Reiter, bei dem sie sich die immense Intelligenz ihrer Drachen zunutze machen konnten. Dafür würden sie vielleicht noch selber sorgen können.

Der Professor schaute nachdenklich auf seine jahrzehntelange Arbeit mit den Drachen und ihren Reitern zurück. Die Regierung war angetan davon, wie gut sich diese riesigen Wesen als Touristenattraktion für Sonntagsausflüge vermarkten ließen. Und die Drachenreiter hatten sich alle längst mit Hilfe irgendwelcher hochspezialisierter Computerarbeit freigekauft - wobei der Professor überzeugt war, dass die Drachen ihnen dabei halfen. Er hatte kurz nach dem Tod des Friedenshüter-Drachenreiters beschlossen, ihnen eine Datenschnittstelle für Computerarbeit ins Gehirn legen zu lassen, um so die Intelligenz der Drachen auf dem Umweg über ihre Reiter optimal ausnutzen zu können. Das hatte sich sehr bewährt. Wie gesagt, die Regierung war sehr zufrieden mit der Arbeit des Professors. Der Professor allerdings, jetzt wenn er über sich selbst nachdachte, fragte sich, warum es ihm so wichtig war zu wissen, dass dieser Friedenshüter seine Arbeit gutgeheißen hätte - viel wichtiger als die Zustimmung der Regierung oder das Geld, was er für seine Forschungsergebnisse und seine Erfolge bekam.

Er hatte sich nie für andere Menschen interessiert - und schon gar nicht für diese ach so idealistischen Friedenshüter - und jetzt tat er nicht nur, was ein Friedenshüter ihm gesagt hatte - ohne jeden Zwang - sondern er hatte angefangen zu wollen, dass es anderen Menschen gut geht. Mein Gott, wenn ihm das jemand vorher erzählt hätte, dann hätte er den ausgelacht!

  

 

Quelle: www.kersti.de

 

 

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Autorin: K. Nebelsiek

www.fallwelt.de/reptos/fremde/drachenleben.htm