(Aufsatz von Kersti
Nebelsiek)
Erpressung eines
Drachenbesitzers
Gehirnschiffe und
ihre Kapitäne
Friedenshüter /
Hüter des Lichts
Die Originale siehe unter: www.kersti.de
F5.
Ich kam als "Mensch
einer niederen Rasse" im Drachenreich zur Welt - das ist jetzt keine
moralische Bezeichnung von mir sondern einfach eine wörtliche Übersetzung einer
damaligen Bezeichnung. Ich hatte im Gegensatz zu normalen Menschen
bespielsweise eine echtes, lockiges, blondes Fell. - Ich selbst habe mich
überhaupt nicht als minderwertig empfunden und dieses Selbstbewußtsein hat mir
manchen Ärger mit Vorgesetzten eingebracht. Allerdings nicht mit allen. Es gibt
immer wieder auch Menschen, die es gerne sehen, wenn man ihnen offen und
ehrlich die Meinung sagt und selbstbewußt ist. Und es gibt andere, zumeist die
mit dem geringeren Selbstbewußtsein, die damit überhaupt nicht umgehen können.
Und bei diesen bringt es nicht einmal etwas, zu schweigen und zu gehorchen. Sie
können es nicht verknusen, wenn man nicht aus Angst sondern aus ruhiger
Überlegung heraus gehorcht.
Eines Tages wurde ich zum
Verkauf in ein großes Handelshaus verschickt. Von dem Käfig aus, in dem ich
untergebracht war, beobachtete ich aufmerksam das Treiben in der Halle und
versuchte die Menschen und Echsenwesen, die als Käufer kamen, nach ihrer
Körperhaltung und ihrem Gesichtsausdruck einzuschätzen. Ich hatte den
Verkaufsleiter schon zweimal damit geärgert, daß ich Käufer, die mir nicht
gefallen hatten, gleich beim ersten Kontakt so geärgert hatte, daß sie mich
nicht mehr haben wollten. - Lieber einmal eine richtige Tracht Prügel als
jahrelang täglich Schläge wegen nichts und wieder nichts. Und er kam jetzt zum
drittenmal mit jemandem an, der mir nicht gefiel. Ein Echsenwesen mit grün
glänzender Schuppenhaut, das mich geringschätzig musterte. Ich blieb scheinbar
völlig gelassen sitzen und tat als sehe ich ihn nicht. Der Verkaufsleiter
zeigte schweigend auf mich.
"Das da meinst Du?" fragte die Echse verächtlich und warf mir einen
Blick zu, als sei ich so etwas ekliges wie eine Schnecke oder schlimmeres.
Immer noch rührte ich mich nicht.
"Erweise Deinem zukünftigen Herrn die Ehre!" befahl mir der
Verkaufsleiter.
"Nein. Das werde ich erst tun, wenn Du mir jemanden bringst, der mir
gefällt." widersprach ich ruhig und hob endlich den Blick, um ihm in die
Augen zu schauen.
Die Echse lachte über diese Unverschämtheit. Es gefiel ihr. Scheiße. Dann drang
sie urplötzlich mit ihrer geistigen Energie in meinen Geist. Ich hatte sie
abgewehrt, bevor ich dazu kam, darüber nachzudenken, was ich da tat. Dafür
waren schon Menschen hingerichtet worden, daß sie es gewagt hatten, einen
solchen Versuch, den Geist zu lesen, abzuwehren. Ich erstarrte vor Schreck,
dann entspannte ich mich willentlich wieder. Jetzt war es sowieso zu spät.
Danach erst merkte ich, daß die Echse wieder nur lachte. Es gefiel ihr, daß ich
sie abgewehrt hatte. Da wußte ich, daß ich ein Problem hatte. Wenn es einen
Posten gab, zu dem man solche Fähigkeiten brauchte und den die Echsenwesen
nicht einem der Ihren zuschusterten, dann hatte ich ein echtes Problem. Eisern
hielt ich meine Gefühle unter Kontrolle. Es war zu spät. Sie kaufte mich.
"Was habt ihr mit mir
vor?" fragte ich die Echse, sobald wir drei Schritte weit gekommen waren.
Sie lachte häßlich:
"Einer von den kleinen Drachen will ein Schmusetierchen
haben. So wie ihr Menschen Hamster haltet."
"Und warum hat es dich dann gefreut, daß ich so unverschämt war?"
fragte ich.
"Die Drachen mögen das." antwortete die Echse und lachte wieder
hämisch.
Ich glaubte daß Drachen wären wie viele Echsen und Spaß daran hätten, den
Willen von Menschen zu brechen. In mir erwachte ein tiefer Zorn. Ich schwor
mir, daß ich mich nie verhalten würde, wie ein Schoßtier.
Als die Echse mich zu dem
Bergpaß führte, an dem die Drachen mich abholen wollten, war ich innerlich
angespannt, ließ mir aber nichts anmerken. Und dann kam der Drache.
Ich sah ihn an und mein
erster Gedanke war, daß er schön war. Wunderschön. Ich sah ihn an und konnte
mich nicht sattsehen. Dann wurde mir bewußt, daß er mich ebenso betrachtete.
Voller Liebe und Freude, das es so etwas Wunderbares wie mich gab. Sein Geist
stand mir weit offen. Nach und nach wurden mir mehr Einzelheiten bewußt.
Beispielsweise daß er noch jung war. Von der Persönlichkeitsentwicklung nicht
weiter als ein dreijähriges Kind. Und dann tat er, was auch ein Menschenkind in
seinem Alter getan hätte. Er nahm mich in die Faust. Ich spürte Rippen brechen,
Schmerz. Dann machte das Kind die Hand wieder auf und schrie entsetzt über das,
was es angerichtet hatte nach seiner Mama. Mir wurde schwarz vor Augen. Und ich
war überzeugt, daß niemand sich die Mühe machen würde, mich zu heilen.
Als ich wieder aufwachte lag
ich in einem Krankenbett und war an teure medizinische Maschinen angeschlossen,
wie sie normalerweise nur für die reichen und mächtigen unter den Menschen zur
Verfügung stehen. Und das waren nicht viele damals im Drachenreich.
Als ich das nächste mal
erwachte war eine Krankenschwester da. Auf meine Frage hin erklärte sie, daß
seit dem Unfall zehn Tage vergangen waren und daß der junge Drache so sehr
geheult hätte, daß ich ins Krankenhaus gebracht worden sei.
"Ja." sagte ich "Er ist noch ein richtiges kleines Kind."
Die Frau starrte mich an, als sei ich jetzt endgültig verrückt geworden.
"Mein Gott, das ist doch kein kleines Kind! Er ist zehn Meter groß. Auf
seiner Hand kann man bequem sitzen!"
"Ich weiß. Oder was meinst du, wo meine Verletzungen herstammen."
antwortete ich völlig gelassen.
"Aber er wird wiederkommen! Was tust du dann?" jetzt war sie wirklich
entsetzt.
"Mich mit Kindererziehung beschäftigen?" schlug ich vor.
Das war kein Scherz. Ich hatte mir die Scene mit dem Drachen immer wieder durch
den Sinn gehen lassen. Da war so viel Liebe gewesen, die Bereitschaft mich zu
achten, ja zu verehren aber ohne Unterwürfigkeit. Und das Kindliche. Von seiner
Persönlichkeit war dieser Drache noch ein Kind. Und ich war erwachsen. Und wenn
ich mit ihm umginge, wie ein Erwachsener mit einem Kind umgeht, dann würde er
mir folgen. - Aus Achtung, aus Liebe. Ich mußte mich nur selbstbewußt verhalten
wie ein Erwachsener.
In dem Augenblick kam der
Drache. Ich zwang die Angst wieder herunter, die in mir aufsteigen wollte und
beruhigte meinen Geist. Dann versuchte ich wieder mit dem Drachen Kontakt
aufzunehmen wie bei unserer ersten Begegnung. Er wirkte sehr niedergeschlagen
und bedrückt, bis er merkte, daß ich wach war. Dann begann er innerlich zu
jubeln und fragte hoffnungsvoll ob jetzt alles wieder gut sei.
"Nein." antwortete ich "Schau. Mir tut noch alles weh".
Ich ließ ihn über unseren telepatischen Kontakt mitfühlen, daß immer noch jeder
meiner Atemzüge durch einen stechenden Schmerz unterbrochen wurde, der anzeigte,
daß die Rippen noch lange nicht verheilt waren.
"Bist du mir böse?" fragte er und war völlig geknickt.
"Nein. Aber du darfst mich jetzt nicht anfassen, sonst tust du mir wieder
weh."
"Nie wieder?" Er schien fast zu heulen.
"Später schon. Aber du darfst die Hand nie wieder zumachen, wenn ich
draufklettere. Du muß sie immer schön offenlassen und warten bis ich mich
richtig hingesetzt habe und mich selbst festhalte, ehe du mich hochhebst."
erklärte ich "Aber jetzt bin ich noch zu krank dazu. Du willst mich doch
nicht totmachen, oder?"
"Aber dann bist du wieder lieb zu mir?"
"Ich bin auch jetzt schon wieder lieb zu dir. Aber ich habe Angst. Du hast
mir sehr wehgetan." erklärte ich.
Der Drache war so niedergeschlagen deshalb, daß ich ihn gerne gestreichelt hätte,
um ihn zu trösten. Ich wußte, er würde mir nie absichtlich wehtun - aber das
erste mal war ja auch keine Absicht gewesen. Kleine Kinder können schrecklich
ungeschickt sein. Wenn ich an die Zukunft dachte, gelang es mir nicht, wirklich
optimistisch zu sein.
Etwas später lernte ich die
Mutter des Drachen kennen. Sie war riesig. Etwa hundert Meter lang. Allein der
Daumen ihrer Hand war größer als ich. Ich nahm mit ihrem Geist Kontakt auf -
sie bemerkte mich und schaute geringschätzig auf mich herab. - So wie manche
Menschen kleine Tiere betrachten, die ihre Kinder halten. Für sie war ich
absolut bedeutungslos, nahezu schwachsinnig und ich wurde nur deshalb
begutachtet, weil ihr Kind an mir hing und man Tiere nun mal nicht mißhandelt.
Ich war wütend über diese geistige Haltung - was für sie aber absolut
bedeutungslos war. So als wäre eine winzige Maus auf einem Menschen wütend. Ich
konnte sie definitiv nicht leiden. Sie erspürte meinen Gesundheitszustand,
teilte mir mit, daß sie ihrem Kind bis auf weiteres den Kontakt zu mir verboten
hätte, außer sie wäre dabei. Und ich teilte ihr empört mit, daß ich auf ihren
Schutz und ihre Einmischung abslut keinen Wert lege. - Insbesondere da sie ja
sowieso nicht sicherstellen könne, daß es auf ihre Anweisungen hört. Sie war
wohl etwas verblüfft - zuckte aber nur geistig mit den Schultern.
Etwas später kam der Vater
des Drachen zu mir. Er war ein Drittel kleiner als die Mutter und machte auf
mich den Eindruck eines zurückhaltenden Menschen, der bei allen seinen Untergebenen
wissen will, daß es ihnen gut geht. Selbst wenn es ein Hamster sein sollte. Er
berührte von sich aus meinen Geist und entschuldigte sich, daß niemand bei
seinem Sohn gewesen sei, als er mich abgeholt hatte.
"Aber er ist heimlich losgeflogen, als es fast noch eine Stunde hin war
und wir haben ihn dann zuhause gesucht, weil er doch unbedingt mitwollte."
Ich lachte:
"Dann hat er sich benommen wie alle kleinen Kinder."
"Wie fühlst Du Dich?"
"Es geht." antwortete ich.
Und öffnete meinen Geist, damit er meine Schmerzen spüren konnte. Seine
Stimmung wurde dadurch wesentlich ernster.
"Meine Frau hat erzählt, daß du nicht ihren Schutz willst, wenn mein Sohn
zu dir kommt."
"Wenn er nur zu mir darf, wenn sie dabei ist, wird er irgendwann etwas
ganz Dummes tun, weil er die Geduld verliert. Ich hoffe, er hat aus dem was
passiert ist, genug gelernt, daß er auf mich hört." erklärte ich.
"Und wenn nicht?"
"Dann weiß ich nichts, was mich vor ihm schützen könnte. Er war heute
schon einmal heimlich bei mir." antwortete ich und ließ ihn meine
Erinnerungen an den Besuch nacherleben.
Danach spürte ich in seinem Geist Hochachtung. Er hat mich danach nie
herablassend behandelt - immer fast wie einen Gleichstehenden - auch wenn er
natürlich am Ende über mich entschied.
Die erste Zeit nachdem ich
wieder gesund geworden war, war ich vollauf mit der Erziehung des kleinen
Drachen beschäftigt. Ich lehrte ihn, achtungsvoll und höflich mit Menschen
umzugehen, erzählte hunderte von Geschichten. (Später erfuhr ich, daß Drachen
gar nicht fähig sind Geschichten zu erfinden, wie wir das tun.) Ich stellte zu
meiner Empörung fest, daß der junge Drache tatsächlich um ein vielfaches
intelligenter war, als ein Mensch es sein kann. Mein Stolz schlug daraufhin
Purzelbäume.
Ich nähte ihm einen Rucksack
- eigentlich ein Sicherheitsgeschirr zum Reiten, das ich ihm mit den
Packtaschen schmackhaft gemacht hatte - denn ich wollte meinen Drachen reiten.
Wozu sonst sind Drachen schließlich gut, wenn nicht, um mit ihnen durch die
Lüfte zu reiten? ;-) Da traf es sich ganz gut, daß er mich sowieso überallhin
mitnehmen und allen seinen Freunden zeigen wollte. :) Und dann gab es ja auch
noch Sachen, die ich sehen wollte und Leute die ich besuchen wollte, und dort
brachte mich der junge Drache dann auch immer brav hin.
Dann jedoch kam er in das
Drachenäquivalent einer Schule und ich durfte nicht mit. Also hatte ich
plötzlich lange langweilige Stunden, in denen ich in einem wie eine Puppenstube
eingrichteten Käfig bleiben mußte. - äh - Eigentlich hätte bleiben sollen. Es
gab dort einfach nichts Sinnvolles zu tun - also beschäftigte ich mich mit
ausbrechen. Und Menschen sind da viel schlimmer als jedes Tier - nicht nur daß
sie geschickte Hände haben - sie verstehen es auch noch, mit Werkzeugen umzugehen.
Und wenn sie keine Werkzeuge haben, können sie aus den verschiedensten
Materialien Werkzeuge herstellen. (Das Nähzeug war nicht weit weg...) Und wenn
keines der üblichen Werzeuge mit dem vorhandenen Material herzustellen geht,
fangen sie auch noch an, neue Werkzeuge zu erfinden... ;-) Und außerdem ist das
Größenverhältnis zwischen Drachen und Menschen so, daß sie einfach nicht sehr
gut darin sind, Menschen auf Werkzeuge zu durchsuchen. Die Drachenmutter war
den ganzen Tag damit beschäftigt mich wieder einzufangen. In ihrer Verzweiflung
sperrte sie mich in Töpfe und Schränke, die daraufhin
"rätselhafterweise" Löcher bekamen, durch die ein Mensch sie
verlassen kann. In der Zeit wurde ich dann auch kastriert.
Irgendwann schließlich kam
der Vater des jungen Drachen zu mir und fragte mich, was denn eigentlich mit
mir los sei.
"Ich langweile mich."
Ich ließ ihn ausführlich mitfühlen, wie es war, alleine in dieser blödsinnigen
Puppenstube von Käfig stundenlang eingesperrt zu sein. Er fragte mich, ob es
mir helfen würde, wenn ich eine Arbeit am Computer zugewiesen bekäme. Mir
erschien das als Lösung. Von da ab verdiente ich mir mit einer Arbeit am
Computer ein Taschengeld hinzu und pflegte e-mail-Kontakte übers Netz zu
verschiedenen Menschen. Und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich ja auch
von mir aus um Arbeit hätte bitten können und das hätte mir vermutlich die
Kastration erspart.
Danach kam mir ein anderer
Gedanke: Der Drachenmutter ging es in Wirklichkeit nicht anders als mir. Sie
hatte auch nichts Sinnvolles zu tun und nur deshalb hatte sie Zeit gehabt, sich
darüber zu ärgern, daß ich nicht da war, wo ich eigentlich hätte sein sollen.
Zumindest glaubte ich nicht, daß der Faden, aus dem ich eine Strickleiter
hergestellt hatte, so wertvoll gewesen war, daß sie mich allein deshalb
eingesperrt hatte. - Und ansonsten hatte ich nichts kaputtgemacht, bis sie mich
in Schränken und Töpfen einzusperren begann. Überhaupt mischte sie sich oft in
Dinge ein, die für sie schlicht bedeutungslos waren.
Also suchte ich nach einer
passenden Gelegenheit, redete dann mit dem Drachenvater darüber und fragte ihn,
ob er nicht auch für seine Frau eine passende Beschäftigung wüßte. Als er ihr
daraufhin die Aufgabe übertrug, sich um sämtliche Drachenfrauen des Planeten
politisch zu kümmern, kam ich zum ersten mal auf den Gedanken, ihn nach seiner
gesellschaftlichen Position zu fragen: Er war der König aller Drachen. - Dieser
neue Posten für die Drachenmutter hatte einen merklichen positiven Effekt. Sie
hörte auf, mich daraufhin zu belauern, ob ich wieder etwas Unerlaubtes täte,
stellte keine unnötigen Verbote mehr auf und ich erwischte sie tatsächlich zum
ersten mal von Zeit zu Zeit dabei, wie sie etwas Positives über mich dachte.
Einige Monate danach kam eine
fremde, ausgewachsene Drachenfrau zu mir und erzählte, daß sie für ihre Kinder,
sobald sie schlüpfen, ebenfalls Menschen haben wolle. Ob ich da Bedenken hätte.
Ich fragte sie, wie es käme, daß sie als Drache sich an einen Menschen um Rat
wandte. Darauf antwortete sie mißmutig, daß sie eigentlich den König gefragt
hätte, aber der hätte sie streng an mich weiterverwiesen, ich sei schließlich
der Minister für die Angelegenheiten der Menschen im Drachengebiet.
Das war das erste mal, daß
ich davon hörte. Mir fielen sogleich mehrere Sachen ein, zu denen ein solcher
Titel gut sein mochte - aber ich verdrängte den Gedanken sofort wieder, weil
die Drachin zweifellos mitbekommen würde, was ich dachte, weil wir gerade eine
telepatische Unterhaltung führten und ich darin noch nicht so gut war, daß ich
private Gedanken vollständig von den für sie gedachten Gedanken trennen konnte.
Ich dachte an meine erste
Begegnung mit meinem jungen Drachen und an das Gefühl, was ich da zuerst gehabt
hatte. Und an das Ende dieser Begegnung.
"Wie groß ist so ein frisch geschlüpfter Drache?" fragte ich.
"Ein Meter vom Kopf bis zur Schwanzspitze."
"Dann kann es funktionieren. Aber die Menschen sollten jung sein. Ihr
Drachen werdet wesentlich älter (ca. 1000 Jahre) als wir und die Kleinen
sollten möglichst alt sein, wenn ihr Mensch stirbt. Die Bindung ist sehr eng. -
und die Menschen sollten mindestens fünfzehn Jahre alt sein, damit sie für die
jungen Drachen wie Eltern für ihre Kinder empfinden können. Ich würde mehrerere
Menschen beim Schlüpfen zuschauen lassen, damit der junge Drache Auswahl
hat."
Mir ging es eher darum, daß ich vermutete, daß nicht jeder Mensch innerlich
bereit wäre, einen Drachen so zu lieben, wie ich es tat. - Und wenn genug
Menschen zur Auswahl standen, dann war sichergestellt, daß der
frischgeschlüpfte Drache sich denjenigen unter den Menschen aussuchen würde,
der bereit wäre, seine Liebe in voller Tiefe zu erwidern. Und nur so konnte
etwas Gutes daraus entstehen.
"Außerdem würde ich die Menschen gerne öfters besuchen. Als Mensch in einer
Drachenwohnung fühlt man sich so klein und machtlos. Da kann es leicht
passieren, daß man nicht um die Dinge bittet, die man eigentlich bräuchte und
daß man es nicht wagt, die erwachsenen Drachen auf Probleme anzusprechen, die
sie eigentlich bereitwillig aus dem Weg geschafft hätten. Sie werden zu mir
eher Vertrauen haben als zu einem Drachen." erklärte ich.
"Aber ich würde so einem Menschlein doch nichts tun."
"Ja. Aber du bist ganz schön groß. Das reicht, um viele Menschen ziemlich
einzuschüchtern. Du brauchst nur ein wenig unvorsichtig zu sein, um mich zu
töten." erklärte ich.
Und dachte an meine erste Begegnung mit meinem jungen Drachen. Diese Erinnerung
reichte, damit sie es einsah.
Am Abend redete ich mit dem
Drachenkönig darüber, daß ich ja, wenn ich Minister wäre, auch die Möglichkeit
bräuchte, mich um die Menschen zu kümmern, für deren Wohl ich verantwortlich
sei. Und deshalb bräuchte ich die Gelegenheit, sie zu besuchen. Ob ich nicht
auf Drachen dorthinreiten könne... Zuerst war er empört, daß ich Drachen als
bloße Reittiere mißbrauchen wollte, die zweiffellos besseres zu tun hätten.
"Ich dachte eigentlich an junge Drachen, die noch nicht in die Schule
gehen. Die würden sich sicherlich darum reißen, mich auch einmal tragen zu
dürfen. Ich muß sie halt nur fragen können." erklärte ich.
Dieser Bitte wurde stattgegeben. Ich erhielt so etwas wie ein Telefon, mit dem
ich bei Drachen anrufen konnte. - Und ich hatte damit die Möglichkeit das
gesamte so erreichbare Drachenland auf eigene Faust erkunden zu können. Denn
die jungen Drachen rissen sich wirklich darum, mich tragen zu dürfen.
Wenige Tage später wurde ich
mit in die nächste für Menschen erbaute Stadt genommen um die Menschen für die
jungen Drachen auszuwählen. Auf Befehl der Drachen wurden alle 15 und
sechzehnjährigen Menschen auf den Platz vor dem Drachenlandeplatz geführt und
mußten sich in einer Reihe aufstellen. Das waren eindeutig viel zu viele. Ich
ließ meinen Drachen dicht an der Reihe vorbeistürmen. - Nicht so dicht, daß es
wirklich gefährlich wäre, aber dicht genug, daß 95% dieser Kinder kopflos
davonrannten, trotz der Strafen, die ihnen angedroht worden waren, falls sie zu
fliehen versuchen würden.
Damit waren schon einmal die
Menschen aussortiert, die einfach zu ängstlich waren, um den Dickschädel zu
haben, den sie brauchen würden, um einen jungen Drachen zu erziehen. Dann
redete ich mit jedem der übrigen einzeln. - Das waren immerhin 200. Mitgenommen
wurden nur die, die nachdem ich ihnen erklärt hatte, worum es ging und was sie
damit erreichen konnten, es versuchen wollten und die gleichzeitig auch noch
meinem jungen Drachen gefielen. Von ihnen kehrte nur ein einziger zu den
Menschen zurück, weil alle, die bei der Gegenüberstellungen nicht von den
beiden frischgeschlüpften Drachen ausgewählt wurden, später Bindungen mit
andern jungen Drachen eingingen. So jung, wie meiner gewesen war, als ich ihn
kennengelernt hatte, aber sie hatten durch mich gelernt, vorsichtig mit
Menschen umzugehen.
Danach wollte jeder junge
Drache einen Menschen. Zuerst wurde ich jedesmal um Rat und Mithilfe gebeten,
wenn neue Menschen für junge Drachen ausgesucht werden sollten - und so lange
schien es auch zu funktionieren.
Dann aber begannen einige
Drachen ohne menschliche Helfer Menschen aus den menschlichen Enklaven zu
holen. Ich erfuhr es, weil ich einmal erst zu Hilfe geholt wurde, als ein Kind
tagelang nur noch hysterisch geschluchzt hatte. Ich brauchte Stunden um sie so
weit zu beruhigen, daß sie mir endlich ihre Geschichte erzählen konnte. Sie
hatte mit ihren Eltern ein Feld besucht als plötzlich ein Drache im Sturzflug
vom Himmel kam und sie entführte. Sie hatte Angst daß ihre Eltern tot sein
könnten. Ich bekam es ernsthaft mit der Angst, ich könnte da eine Lawine
ausgelöst haben, die zu einem hoffnungslosen, extrem blutigem Aufstand gegen
die Drachen führen würde.
Zuerst einmal flog ich mit
dem Mädchen zu der menschlichen Enklave, wo ihre Eltern lebten. (In
menschlichen Enklaven dürfen Drachen aus Sicherheitsgründen nur auf speziellen
Drachenlandeplätzen landen.) Landete dort und ging zum Regierungsgebäude. Dort
fragte ich, wo ich die Eltern des Mädchens finden könne und ließ mich
dorthinfahren. Es herrschte eine frostige Athmosphäre. Ich wurde zum Haus der
Eltern geführt, wurde aber erst einmal nicht eingelassen.
"Livia, ruf du deine Eltern." bat ich das Mädchen und sie gehorchte.
Als die Menschen die Stimme ihrer Tochter hörten kamen sie heraus und umarmten
sie. Und würdigten den Rest der Menschen keines Blickes. Als ich ihnen
zuschaute, wie sie unter Tränen ihre Tochter umarmten, wurde mir siedentheiß
klar, daß ich etwas ganz wichtiges übersehen hatte. Die Eltern der
Jugendlichen, die jetzt Drachen ritten. Ich selbst konnte mich an meine Eltern
nicht erinnern, weil ich schon als Kleinkind das erste mal verkauft worden war.
Als ich sie fragte, ob ich mit ihnen reden konnte, antworteten sie einfach
nicht. Wieder bat ich Livia, sie zu überreden und wieder tat sie es.
"Gibt es einen Ort, wo wir in Ruhe miteinander reden können?" fragte
ich.
"Nein." antwortete Livias Vater patzig.
"Ich bin der Minister für die Angelegenheiten der Menschen in Drachenland.
Ihr habt indem ihr mit mir redet die Möglichkeit, mitzuentscheiden, wie
Menschen und Drachen in Zukunft mitweinander umgehen werden. Und dafür, daß es
keinen anderen Eltern mehr so ergeht wie euch. Ich habe nur an die Jugendlichen
gedacht, die zu uns kamen und dafür gesorgt, daß es ihnen gut ging. Es ist
einfach so, daß ich mich an meine Eltern nicht mehr erinnern kann und daß ich
selber auch keine Kinder habe und keine bekommen kann. Ich habe schlicht
vergessen zu überlegen, was es für Eltern bedeuten könnte, wenn ihre Kinder zu
den Drachen gehen. Ich weiß, da habe ich einen schweren Fehler gemacht. Und ich
will jetzt von euch wissen, wie ich es besser machen könnte."
entschuldigte ich mich.
"Ach und wenn du Befehle erteilst, werden die Drachen springen, wie?"
"Ich lege meine Beschlüsse dem Drachenkönig vor, und wenn sie vernünftig
sind, wird er dafür sorgen, daß sie durchgeführt werden. Bisher hat er jeden
meiner derartigen Beschlüsse unterstützt." antwortete ich.
Ich war mir immer bewußt, wie primitiv meine Pläne im Vergleich zu den Plänen
von Drachen erschienen, und daß der Drachenkönig sich immer extrem komplizierte
Gedanken machte, in denen er jede Eventualität berücksichtigte, um
Schwachstellen an meinen Plänen zu finden. Dennoch hatte er die meisten meiner
Pläne unverändert gebilligt. Sie hatten also offensichtlich auch in seinen
Augen Hand und Fuß.
Ich redete also stundenlang
mit den beiden Eltern und einer Vertretung der örtlichen Regierung, bis ich mir
über deren Bedürfnisse und Sorgen einigermaßen klar zu sein meinte. Dann gab
ich ihnen meine E-Mail-Adresse und bat sie, mich zu unterrichten, wenn
irgendwelche Probleme auftauchen sollten, die ich eventuell lösen könnte.
Am nächsten Tag sprach ich
mit dem Drachenkönig einen ganzen Katalog Gesetzesänderungen durch, mit denen
ich sicherstellen wollte, daß durch die vielen Jugendlichen, die mit Drachen
Bindungen eingingen kein böses Blut entstand. Zum ersten sollte jeder Drache
verpflichtet sein, die Eltern seines menschlichen Partners bis zu dessen
achtzehnten Lebensjahr mindestens einmal im Monat zu besuchen. - Über die
Bindung zu einem Drachen kann man solche Besuche sehr leicht vergessen als
Mensch, dennoch war es wichtig, daß die Eltern wußten, daß es ihren Kindern gut
ging. Dann sollten die Eltern bei der Gegenüberstellung als Gäste anwesend sein
dürfen. Dann durften Menschen zu den Gegenüberstellungen nur dann mitgenommen
werden, wenn sie freiwillig zustimmten und bei der Auswahl mußte immer ein
Drachenreiter mit anwesend sein und zustimmen. Der Drachenkönig fügte noch zwei
weitere derartigen Regeln hinzu und akzeptierte alles, was ich forderte.
Na ja, jedenfalls hat sich
durch diese Geschichte das Drachenreich verändert. Ein Drache, der einmal eine
Bindung zu einem Menschen eingegangen ist, kann nie wieder Menschen als
bedeutungslos betrachten, sie verachten oder sie hassen. Und doch nahm es ein
schlechtes Ende.
F6.
Auf einem Rückflug von einem
Ausflug, bei dem unsere Fluggäste am Ziel blieben, um dort Urlaub zu machen,
landeten wir mitten in der Nacht neben einem großen Zirkus. Ich schnallte mich
los und stieg auf die Drachenhand die wartend neben mir schwebte. Sobald ich
sicher saß, setzte mich der Drache direkt vor der Wohnwagentür zu Boden. Ich
klopfte. Eine junge Frau öffnete und ich teilte ihr mit, daß ich den
Zirkusdirektor zu sprechen wünsche.
"Vater, hier will dich jemand sprechen." rief sie nach hinten und ließ
einen stämmigen, grauhaarigen Mann mit einem Stiernacken vorbei.
"Würden sie bitte aus dem Wagen treten und einmal dorthin schauen?"
forderte ich ihn höflich auf und zeigte auf Idith, meinen Drachen.
"Mein Gott, was ist denn das?" fragte er entgeistert als er die
fünfzig Meter hohe Gestalt sah.
"Das ist der ältere Bruder von ihrem Drachen. Und er ist sehr ungehalten
darüber, wie sie mit seiner Schwester umgehen." erklärte ich sanft.
"Aber der Drache enthält die bestmögliche Pflege. Wir würden doch nie so
ein wertvolles Tier mißhandeln!"
Die ehrliche Entrüstung zeigte, daß er wirklich nicht wußte, was er tat.
"Erith ist kein Tier. Sie ist euch vielfach an Intelligenz
überlegen." erklärte ich in einem tadelnden Tonfall und fuhr dann
freundlicher fort "Wißt ihr, warum sie so mager ist?".
"Sie frißt einfach nicht richtig - nicht so viel, wie ein so großes Tier
fressen müßte." meinte der Mann und diesmal klang seine Stimme wirklich
beunruhigt.
"Sie frißt so viel, wie sie fressen kann. Mehr kann ihr Verdauungssystem
nicht bewältigen. Was ihr wirklich fehlt, ist Sonne. Drachen haben einen
Farbstoff in der Haut, der eng mit dem Chlorphyll der Pflanzen verwandt ist und
beziehen ihren Energiebedarf nahezu ausschließlich aus Sonnenlicht. Deshalb
müssen sie täglich stundenlang in der Sonne liegen." erklärte ich.
"Das wußte ich nicht." sagte der Zirkusdirektor und seine Gefühle
teilten mir mit, daß er die Wahrheit sagte. Ich nickte und entdeckte das
Mädchen, das unsicher auf uns zukam.
"Ach da bist du ja, Nema. Kommt, laßt uns zu dem kleinen Drachen gehen.
Ihr habt doch den Schlüssel dabei?" sagte ich.
Der Zirkusdirektor nickte und sah verwirrt auf das Mädchen.
"Sie ist die Reiterin von Erith. Nema, bitte erzähle ihm doch, welche
Zirkusnummer ihr beiden euch ausgedacht habt."
Während Nema erzählte wurde der Gesichtsausdruck des Zirkusdirektors zuerst
ungläubig und dann wütend und er begann zu schimpfen, daß dieses Tier so etwas
nicht in zehn Jahren lernen würde.
"Eure Worte enthalten einen Gedankenfehler: Ein Drache ist kein Tier. Im
Gegenteil ist er intelligenter als jeder Mensch. Wir erwarten von euch also
nicht, daß ihr zehn Jahre wartet, bis sie endlich mit dem Einüben fertig sind -
der Drache weiß jetzt schon Bescheid und wird diese Nummer morgen nach dem Ende
des üblichen Programmes vorführen. Und ab jetzt wird Nema sich um ihn kümmern
und niemand sonst rührt den Drachen ohne ihre Erlaubnis an, füttert ihn, oder
erteilt ihm Befehle. Wir erwarten nichts Unmögliches von euch. Nichts daß euch
schaden würde - aber ab heute bekommt der Drache ausreichend Sonne, wird von
Nema betreut und führt morgen diese Nummer vor. Sonst kann ich leider nicht
dafür garantieren daß Eriths älterer Bruder das nächste mal noch so friedlich
ist, wie heute. Habe ich mich klar ausgedrückt?" schloß ich meine
Ausführung mit einer scharfen Frage ab.
Der Direktor schluckte, schaute ängstlich zu dem großen Drachen auf und nickte.
"Noch etwas: Die beiden Drachen stehen in ständiger Verbindung. Sollten
unsere Forderungen nicht erfüllte werden, werden wir davon sofort
erfahren."
Mit diesen Worten drehte ich
mich um, sprang federnd auf die Drachenhand, die im gleichen Augenblick neben
mir auftauchte und flog mit Idith davon, sobald ich mich fertig angeschnallt
hatte.
Ich saß an meinem Computer
und schrieb weiter an meier Lebensgeschichte. Idith lag auf dem breiten
Felsvorsprung auf der gegenüberliegenden Seite des Vulkansees und sonnte sich
ausgiebig.
Plötzlich stürmte unser Herr
herein. Ich grüßte ihn freundlich. Statt den Gruß zu erwidern brüllte er mich
an:
"Wo wart ihr gestern nacht?"
Aha. Der Zirkusdirektor hatte also gepetzt.
"Wir haben Idiths kleine Schwester besucht. Er hat sie überhaupt nicht an
die Sonne gelassen. Sie wäre beinahe verhungert." antwortete ich, ohne
eine Gefühlsregung zu zeigen.
Er machte mich zur Sau, hielt mir einen halbstündigen Vortrag darüber... Nein.
Das ganze hatte ihn einfach zutiefst erschreckt und er schimpfte sich seinen
Schreck darüber, daß ich so etwas getan hatte von der Seele. Ich hörte still zu
- aber ohne einen Millimeter zurückzuweichen.
"Weißt du überhaupt in was für Schwierigkeiten du mich damit
bringst?" fragte er am Ende vorwurfsvoll.
"Ich denke schon. Aber ich konnte nicht einfach zusehen, wie Idiths kleine
Schwester verhungert." antwortete ich.
Der Mann warf mir einen ungläubigen Blick zu. Diese Unnachgiebigkeit hatte er
von mir noch nicht kennengelernt. Noch nie hatte ich zu ihm etwas gesagt, was
unfreundlich oder auch nur unhöflich war. Ich hatte jede seiner Anweisungen
bisher zuverlässig ausgeführt. Vor allem, weil ich immer sehr zufrieden mit ihm
als Herrn gewesen war.
"Was hast du ihm gesagt?" fragte ich.
"Das es vollkommen unmöglich sei, daß du an dem Tag an der Stelle gewesen
sein könntest. Du würdest pausenlos überwacht."
Ich nickte. Und ich war sehr zufrieden damit. Damit hatte er dem Zirkusdirektor
gleichzeitig und ohne das zu wollen mitgeteilt, daß er - ob mein Herr davon
wußte oder nicht - zumindest keinen wirksamen Schutz gegen den Drachen zu
erwarten hatte.
"Es tut mir leid, daß ich dir einen solchen Ärger bereite. Aber ich gehe
davon aus, daß sich die gröbsten Wellen innerhalb der nächsten 14 Tage legen
werden. Im Endeffekt haben wir dem Mann nur gezeigt wie er seine Probleme mit
dem Drachen lösen kann. Und zumindest bis jetzt hat es funktioniert. Erith
sonnt sich grade und wartet auf ihren Auftritt." erklärte ich ihm.
"Du hast doch Kinder. Hättest du tatenlos zusehen können, wie eines von
ihnen verhungert und zu Tode gequält wird, ohne irgendetwas zu unternehmen, und
das bei einem Kind, das gerade in dem Alter ist, wo es zu krabbeln
beginnt?" fragte ich eindringlich.
Ich redete noch einige Stunden mit ihm, versuchte ihm klar zu machen, wie
verzweifelt ich gewesen war und warum ich gar nicht anders hatte reagieren
können. Und am Ende schien er es sogar zu verstehen.
Zwei Wochen später stand ich
wieder vor dem Wohnwagen. Idith war diesmal zuhausegeblieben, denn mein Herr
hatte es so befohlen. Ich klopfte an. Diesmal öffnete der Direktor selbst und
prallte bei meinem Anblick entsetzt zurück, dann fing er sich wieder und fuhr
mich an, was ich eigentlich von ihm wollte.
"Mich entschuldigen." antwortete ich.
Er versuchte seine unendliche Erleichterung zu verbergen. Hinter dieser
Erleichterung steckte aber flammender Zorn.
"Ich kann nicht ehrlichen Herzens behaupten, daß ich bedaure, getan zu
haben, was ich getan habe. Der kleine Drache wäre sonst verhungert. Aber es
wäre mir lieber gewesen, wenn ich ein weniger drastisches Mittel zur Verfügung
gehabt hätte, um sein Leben zu retten. Und - ich bin zufrieden, wie sich die
Situation entwickelt. Ich werde euch nicht wieder bedrohen." erklärte ich.
"Ich muß ehrlich zugeben, daß ich euch am liebsten erwürgt hätte."
Ich lachte:
"Das kann ich mir vorstellen. Aber ich habe euch vorher genug Briefe
geschrieben und ihr habt nicht auf meine Ratschläge gehört. Und Nema hat euch
auch mehrfach gesagt, wo die Probleme liegen und ihr habt ihr nur das Wort
verboten. Ich war einfach mit meinem Latein am Ende. Ich bitte euch darum,
meine Briefe in Zukunft wenigstens zu lesen. Mein Drache steht im ständigen
telepathischen Kontakt mit eurem. Es könnte wichtig sein."
"Das werde ich tun."
Dahinter steckte noch immer Groll. - Nein Haß. Ich hatte mir einen Feind fürs
Leben gemacht. Das wußte ich jetzt. Er gehörte zu den Menschen, die es niemals
verzeihen können, wenn man sie erpreßt. Doch er würde es nicht an dem jungen
Drachen auslassen.
"Und dieser Mistkerl von deinem Herrn hat dich auch noch gedeckt!"
sagte er.
"Nein. Ich bin überzeugt, er hat im ersten Moment wirklich nicht geglaubt,
daß ich das getan haben könnte. Ich war ihm bis zu dem Tag noch nicht einmal in
Kleinigkeiten ungehorsam. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt, wie nach dem
Augenblick, als ich ihm gesagt habe, daß ich tatsächlich hier war. Und ich
glaube, er wird mich nie wieder alleine fliegen lassen." erklärte ich.
"Wenn er dir eine Lüge geglaubt hätte, warum hast du ihm dann die Wahrheit
gesagt?"
"Weil ich nie lüge."
Zum Abschluß übergab ich ihm
noch das Schreiben meines Herrn. Ich beobachtete ihm beim lesen. Er wirkte
besänftigt, als er fertig war. Als Entschuldigung dafür, daß er nicht auf mich
aufgepaßt hatte, bot mein Herr ihm an, sämtliche Schulden zu übernehmen, die
der Zirkus im Augenblick hatte. Der zweite Teil war eher eine Entschuldigung an
mich. Er meldete sein Interesse an, Nema und ihren jungen Drachen zu kaufen,
sobald sie zu groß für den Zirkus seien. Mein Herr machte sich vorwürfe, daß er
sich nicht rechtzeitig um die Probleme des Drachen gekümmert hatte. Er hätte
ihn einfach kaufen können, bevor ich dorthingegangen war, weil ein Drache, der
offensichtlich am verhungern war und sich weigerte, etwas zu tun für einen
Zirkus nicht von Wert wäre. Jetzt, wo ich die Probleme auf meine Art gelöst
hatte, war es anders. Das Angebot würde sicherstellen, daß der junge Drache nie
wieder in eine so schlimme Situation kam. Ein Drache war teuer - ebenso wie das
Schulden begleichen. Aber es viel in den Rahmen, den mein reicher Herr aus der
Portokasse begleichen konnte.
"Du kannst deinem Herrn bestellen, daß ich seine Entschuldigung
annehme." sagte der Zirkusdirektor schroff zu mir.
"Und meine?" fragte ich.
"Nicht." antwortete er.
Ich nickte. Es war in Ordnung so. Wenn er eine Möglichkeit finden sollte,
seinen Ärger an mir persönlich auszulassen, so würde ich damit fertigwerden.
Aber es sollte niemand anders darunter leiden müssen.
F10.
Drachen
sind sehr gutmütig. Die meiste Zeit des Tages liegen sie in der Sonne und
genießen ihre Wärme, aus denen das Chlorophyll in ihrem Blut Energie gewinnt.
Sie leben zum überwiegenden Teil von Sonnenlicht. Der Rest ihrer Ernährung ist
vegetarisch. Drachen mögenkein Fleisch und sie vertragen es nicht einmal. Und
die Vorstellung daß man Tiere oder gar Menschen töten könnte um sie zu essen,
ist ihrer Natur gänzlich fremd.
Ein Drache, wenn er schlüpft, sucht einen Menschen. Er sucht einen Menschen und
nur einen Menschen und wenn er keinen Mensch findet ist er unglücklich. Findet
er aber einen Menschen ist er absolut seelig. Der Mensch mag aussehen, wie er
will, der Drache findet ihn schön. Ganz gleich wie sein Charakter ist, der
Drache findet ihn liebenswert. Jeder Drachenreiter, den ich schon kannte, bevor
er seinen Drachen bekam, hat sich nach der Gegenüberstellung zum Positiven
entwickelt. Und was Angst vor Drachen angeht: Wenn man weiß wie Drachen denken
- und das weiß jeder Drachenreiter - dann weiß man auch, daß sie niemals
absichtlich einen Menschen verletzen würden, es sei denn sie kämpfen um ihr eigenes
Leben. Und das ist bei ihrer Größe ein echtes Glück. Selbst die Kriegsflotten
des Drachenreiches wurden immer von Angehörigen anderer Rassen gebildet.
Obgleich sie ein Innenskellet
haben, sind Drachen näher mit Insekten als mit Reptilien verwandt, denen sie
äußerlich vage ähnlich sehen, weil die sehr dicke Drachenhaut den typischen
Insektenkörperbau überdeckt.
Drachenhaut ist leichter als
Luft und besteht aus Chitinblasen, die mit Gas gefüllt sind. Die Drachenhaut
ist an der dicksten Stelle bei erwachsenen Drachen bis zu fünfzehn Meter dick
und der Hauptgrund, warum sie trotz ihrer enormen Größe flugfähig sind.
Es gibt zwei getrennte
Blutkreisläufe - einer mit grünem, einer mit rotem Blut. Das tragende Gerüst
der Arme, Flügel und Beine besteht weitgehend aus Muskeln, die durch
gasgefüllte Chitinblasenkonstruktionen im Innern versteift werden, die die
Funktion von Knochen übernehmen. Diese Knochen sind wesenlich leichter als Holz
und nur wenig schwerer als Luft, da das in ihnen enthaltene Gas leichter ist
als Luft. Das eigentliche Gehirn des Drachen findet sich im Bauchmark, gut
geschützt unter der Bauchhaut während das Gehirn nur das Sehzentrum des
Nervensystems enthält. Ein Drache, dem man den Kopf abschlägt ist also nur
blind aber nicht tot. Geruch wird über die gesamte Hautoberfläche des Drachen
wahrgenommen, Geräusche über einige Teile des Systems, was bei Insekten zum
Atmen dient, während Drachen nur bis zum Schlüpfen damit atmen, in der ersten
Zeit Kindheit fehlenden Sauerstoff über die Hautadern aufnehmen, die zu der
Zeit noch mit rotem Blut gefüllt sind. Daher sind junge Drachen rot. Danach
trennen sich allmählich beide Adersysteme und die Hautadern werden von
Blaualgen besiedelt, die bewirken, daß die Farbe der Drachen zuerst braun und
nachdem aus den äußeren Adern die roten Blutkörperchen völlig verschwunden sind
grasgrün aussehen. Danach enthält die Haut der Drachen mit jedem Jahr mehr Gas,
so daß ein voll ausgewachsener Drache schließlich golden und im Alter silbern
schimmert.
Drachen wurden vor
Jahrmillionen in einer menschlichen Kultur mit einer sehr biologisch
ausgerichteten Wissenschaft erschaffen. Sie sind das Produkt gentechnischer
Manipulationen und waren ursprünglich als eine Art großer Biocomputer gedacht.
Um sicherzustellen, daß sie durch ihre Herrn - die Menschen - beherrschbar
blieben, wurde ihnen ein Instinkt eingepflanzt, der dafür sorgte, daß sie
ähnlich wie ein Entenküken kurz nach der Geburt auf seine Mutter kurz nach der
Geburt auf einen Menschen geprägt wurden, der beim Schlüpfen anwesend war. Der
Instinkt ist so spezialisiert, daß nur Menschen dem Drachen als Reiter
akzeptabel erscheinen.
Drachen mögen es, wenn man im
Befehlston mit ihnen spricht. Und wenn der Befehl vernünftig ist und nicht unzumutbar,
führen sie ihn auch aus. Nicht aus Unterwerfung heraus, nicht aus Angst,
sondern mit einem Lachen und weil sie Spaß daran haben, ihrem Menschen einen
Gefallen zu tun. Drachen, die Reiter haben, sind viel ausgeglichener und
zufriedener als diejenigen, die keine Reiter haben. Denn ohne einen Reiter hat
ein Drache Zeitlebens das Gefühl, daß ihm etwas ganz Wesentliches vorenthalten
wurde.
Solange sie einen Reiter
haben, sich sonnen, fliegen dürfen und ihre Intelligenz gebraucht wird, werden
sie glücklich sein. Es sei denn natürlich, ständig würden Drachen zu Tode
gefoltert. Drachen sind nicht wirklich für Freiheit geschaffen.
Drachen sind wie alle mir
bekannten intelligenten Rassen durch Gentechnik entstanden. Zu der Zeit, wo ich
sie kennenlernte hatten sie eine eigene raumfahrende Kultur. Sie lebten in der
Milchstraße, in der es damals nahezu keine Menschen gab, und hatten hundert
Planeten besiedelt.
Dann kamen die Menschen von
außerhalb der Milchstraße und versuchten die anderen intelligenten Rassen
wieder zu versklaven, wie sie auch ursprünglich durch Gentechnik erzeugte
Sklaven der Menschheit gewesen waren. Zuerst landeten sie im Bereich der
Drachen - und die Drachen bekamen damit den ersten schweren Schlag ab.
Nach hundert Jahren Krieg war
das Sternenreich der Drachen nahezu zerschlagen und die meisten Drachen
ermordet - nur wenige ganz junge wurden versklavt. Nur noch ein Planet war von
Drachen besiedelt - aber die anderen intelligenten Rassen hatten ein Bündnis
mit den Drachen eingegangen und begannen nun langsam aber stetig die Menschen
wieder zurückzuschlagen.
Die Drachen, die ich kenne
sind zwar sensibel - ich habe mich mit meinen Drachen immer nur telepathisch
unterhalten. (Sie können aber durchaus auch sprechen.) - Aber innerlich waren
sie normalerweise so stabil, daß sie mit der Anwesenheit von Menschen keine
psychischen Probleme hatten.
F11.
In jenem Leben war ich
Kapitänin eine Gehirnschiffes des Drachenreiches.
Vollkommen unerwartet war bei
dem Planeten, an dem ich mit meinem Schiff als Wache stationiert war, eine
ganze Flotte von Gehirnkriegsschiffen aufgetaucht und angegriffen. Menschen
hatten bei der Evakuierung die geringste Priorität genossen, was aber allgemein
so akzeptiert wurde, da bekannt war, daß menschliche Gefangene als einzige im
Menschenreich einigermaßen human behandelt wurden. Alle anderen wurden
schlimmer behandelt als jedes Tier.
Allerdings waren diese
Prioritäten sowieso nahezu bedeutungslos gewesen. Die Raumschiffe hatten gerade
genug Zeit gehabt, um diejenigen einladen zu können, die zuerst ankamen und sie
sind gestartet, sobald sie so voll waren, wie die Lebenserhaltungssysteme es
erlaubten. - Und dennoch hatte die Zeit für einige nicht gereicht - und daß die
meisten entkommen konnten, lag nur daran, daß mein Schiff - das einzige
Kriegsschiff im System - einen absolut wahnwitzigen Angriff gegen eine mehr als
zehnfache Übermacht flog. Dabei wurde dann auch mein Schiff zerstört und ich
verlor damit einen Freund, mit dem ich jahrelang jeden Gedanken geteilt habe.
Nach den Gesetzen des Drachenreiches hätte ich danach als entehrt gegolten,
ohne die geringste Chance jemals die immensen Schulden abzubezahlen, die ein
Gehirnschiff hat, da die Baukosten des Schiffsrumpfes ihm zur Last gelegt
werden.
Da ich jedoch von Angehörigen
des Menschenreiches gefangengenommen wurde, warteten erst einmal monatelange
Foltern auf mich, mit denen sie Geheiminformationen über das Drachenreich aus
mir herausquetschen wollten.
Danach wurde ich zu Männern
geführt, die mir erzählten, daß ich ja eigentlich den Tod verdient hätte, aber
sie würden mir noch eine Chance geben.
"So, so eine Chance. Worin soll die denn bestehen?" fragte ich
ironisch zurück.
Ich rechnete nicht im Traum damit, daß es etwas sein könnte, auf das ich mich
guten Gewissens einlassen könnte.
"Wir haben einen Drachen gefangen. Wenn du ihn
zähmst, lassen wir dich am Leben."
"Drachen sind keine Tiere." korrigierte ich geistesabwesend
"zähmen dürfte wohl kaum das richtige Wort sein. Habt ihr es schon mit
anderen Leuten versucht?"
"Ja. Zehn Leute. Aber sie haben versagt."
Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein häßliches Grinsen.
"Was ist mit ihnen geschehen?" erkundigte ich mich.
"Der Drache hat sie gefressen."
"Himmel! Was habt ihr denn vorher mit dem Drachen gemacht?" fragte
ich entsetzt.
Drachen sind Vegetarier - doch selbst die pflanzliche Nahrung ist nur zum
Wachstum nötig. Sie ernähren sich überwiegend von Sonnenlicht, das sie über die
Haut aufnehmen. Drachen mögen kein Fleisch und sie vertragen es nicht einmal.
Der Drache mußte dem Wahnsinn nahe sein.
"Und - wie soll das eurer Meinung nach laufen, mit dem Drachen
zähmen?" fragte ich weiter.
"Oh - am Rande des Drachenkäfigs ist ein kleiner geschützter Käfig für
Dich. Die Gitter zum Drachengehege sind so breit daß du jederzeit hinausgehen
und dich vom Drachen fressen lassen kannst, wenn du möchtest. Jeden Tag wird
dein geschützter Raum etwas schmaler und so nach zwei bis drei Wochen ist er so
schmal, daß der Drache reingreifen und dich fressen kann."
Ich nickte. Wenn sie ihn nicht vollständig in den Wahnsinn getrieben hatten,
hatte ich vielleicht eine Chance. Immerhin hatte ich mein Leben riskiert, um
Drachen eine Fluchtchance zu bieten. Und er mochte Verwandte unter den
Entkommenen haben. Abgesehen davon war ich mir immer noch nicht sicher, ob ich
überhaupt leben wollte.
Aber einen Drachen reiten...
Das klang, als könnte es etwas sein, für das es sich zu leben lohnte - wenn er
sich darauf einließ natürlich nur. Es gab im Drachenreich einige Drachenreiter.
Rein nach den Gesetzen der Drachen galten sie kaum mehr als ein Schoßhündchen,
das sich ein Mensch zuhause hält. Aber ganz offensichtlich war die Beziehung
der jungen Drachen zu ihren Reitern so eng und liebevoll, daß die Gesetze zur
reinen Makulatur wurden. Alle Drachenreiter, die ich kannte, wirkten entspannt
und selbstsicher im Umgang mit ihren Drachen und wenn man sie fragte, wie es
sei, einen Drachen zu haben, erschien ein dermaßen träumerischer und
liebevoller Ausdruck in ihrem Gesicht, daß niemand bezweifeln konnte, daß weder
der Drache seinen Menschen noch umgekehrt jemals im Stich lassen würde. Ja, das
lohnte den Versuch. Abgesehen davon natürlich, daß sie mir sowieso keine
bessere Wahl lassen würden.
"Wo ist der Drache?" fragte ich.
"Oh er hat es sogar noch eilig, sich fressen zu lassen." spöttelte
der Mann.
"Nein. Ich ziehe nur die Gesellschaft eines Drachen der Aussicht vor, mit
dir noch länger dieselbe Luft atmen zu müssen." widersprach ich lächelnd.
Der Mann sah mich wie vom Donner gerührt an. Dann gab er den Wachen einen Wink
und ich wurde abgeführt.
"Hast du denn keine Angst?" fragte einer der Wächter mitfühlend.
"Ehrlich gesagt bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich leben will,
nachdem mein Schiff tot ist." antwortete ich.
Der Mann sah mich überrascht an:
"Aber du hast Doch nie versucht, Selbstmord zu begehen."
"Das hätte ich auch nur getan, wenn ich mir sicher gewesen wäre. Der Tod
läßt sich so schlecht rückgängig machen. Abgesehen davon war mir dieser Mann
einfach nur unangenehm." erklärte ich.
Eine Tür wurde aufgeschlossen und ich ging in den Unterstand im Drachenkäfig.
Ich schaute kurz zum Drachen rüber - er lag lauernd vor dem Gitter und schaute
zu mir hinein, wie eine Katze auf Mäusejagd. Aber den Eindruck, verrückt zu
sein, machte er auf mich nicht. Beruhigend. - Ich legte mich erst einmal
schlafen.
F12.
Für Gehirnschiffe nahm man
einen erwachsenen Menschen (teilweise völlig gesunde, aber gerne wurden auch
Menschen nach ernsthaften Verletzungen genommen, weil die nachher weniger Groll
hegten.) und löste praktisch den gesamten Körper auf hat, so daß nur das
Nervensystem übrigbleibt, das dann durch eine Nährlösung am Leben erhalten und
mit der Schiffselektronik verbunden wird. Da fast immer Menschen mit Familie
gewählt wurden, war normalerweise sichergestellt, daß sie ihre Pflicht
erfüllten, um ihre Familie zu ernähren. 2/3 der Männer starben bei den
Operationen. (Am Anfang waren es mehr. Von den ersten 20 hat keiner überlebt.)
Die Verfahrensweise des
Menschenreiches war etwas anders: Auch da wurden Erwachsene genommen, die aber
extra zu diesem Zweck so erzogen wurden, daß sie nie eine positive Beziehung zu
ihrem Körper aufbauen konnten und alle Kontakte nur über den Computer pflegen
konnten. Dann bekamen sie, sobald sie erwachsen waren, einen Vertrag vorgelegt,
in dem sie der Operation zustimmten, einfach weil sie sich ein freies Leben in
der Gesellschaft nicht vorstellen konnten, weil sie nicht wußten, was daran
schön gewesen wäre. Bei den Operationen wurden nach und nach sämtliche
Sinnesorgane zerstört und nur die am Kopf austretenden Nerven mit der
Schiffselektronik verbunden. Anfangs hatte man das mit Betäubung versucht, doch
das hatte keiner überlebt. Danach hat man dann die Betäubung weggelassen, es
war dann eine ziemliche Folter, die aber von den Betroffenen weitaus besser
verkraftet wurde als nur das langsame Verlorengehen sämtlicher Sinne. Auch so
starben noch vier fünftel der jungen Männer, die zu Schiffen gemacht werden
sollten.
Für die meisten Schiffe. ist
es ein sehr großes Problem, daß ein erheblicher Teil der Menschen nicht fähig
ist, den Menschen im Schiff gefühlsmäßig als Menschen zu sehen. Deshalb ist die
Aufgabe eines Kapitäns eines solchen Gehirnschiffes eigentlich zweierlei:
Dem Schiff ein Freund sein -
das ist die weitaus wichtigste Funktion, so wichtig, daß wenn irgendjemand den
Kapitän eines solchen Schiffes anrührt, die anderen Schiffe sofort den gesamten
Raumhafen lahmlegen.
Als Kontaktperson zu anderen
Menschen.
Bedienungsmannschaften
braucht ein Gehirnschiff nicht, wohl aber Reparaturmannschaften,
Verlademannschaften und Raumpflegepersonal. Mannschaften von Raumschiffen
bestehen in jeder Kultur, die nennenswerte Mengen an Menschen hat, weit
überwiegend aus Menschen, da Menschen als einzige intelligente Rasse so
anpassungsfähig sind, daß sie sich auch im Raum wirklich wohlfühlen können. Es
ist übrigends auch vollkommen unmöglich aus einem Angehörigen einer anderen
Rasse als der menschlichen ein Gehirnschiff zu machen.
Für die nächste Generation
der Gehirnschiffe im Menschenreich wurden Neugeborene - oft Mißgeburten - von
klein auf mit Elektronik verbunden, und erhielten als Kleinkinder das erste
eigene Schiff meist ein Beiboot, so daß sie sich von Klein auf als Schiffe
fühlten. Dies waren die ersten Gehirnschiffe die sich in ihrer (Schiffs-) Haut
wirklich wohlfühlten und sich psychisch gesund entwickelten.
F13.
Als ich wieder erwachte, lag
der Drache immer noch da und beobachtete mich. Er war auf seltsame fremdartige
Weise schön, so wie eine Libelle schön ist. Farbig schillernde Flügel
Facettenaugen aus Millionen Einzelaugen zusammengesetzt - und eine gefährliche
tödliche Drohung. Er war fünfzig Meter lang und damit etwa halbwüchsig.
Ich setzte mich hin und
erwiderte seinen Blick. Ich wandte mich nach innen und suchte nach Ruhe und
Frieden. Dann wandte ich mich dem Drachen zu und versuchte, seine Stimmung zu
erspüren. Er spürte mich sofort und warf mich mit einer Aufwallung an Wut und
Bitterkeit aus seinem Geist, dann schlug er nach meinem Energiefeld und
versuchte es zu zerschlagen. Da ich in dem inneren Frieden blieb, keine
Gegenwehr leistete, verpuffte sein Angriff wirkungslos. Das verleitete ihn zu
einem noch heftigeren geistigen Wutausbruch, der Stunden anhielt - oder
zumindest schien es mir so. Eisern hielt ich mein Energiefeld unter Kontrolle,
und wartete einfach nur ab, bis er sich ausgetobt hatte. Dann begann er zu
weinen. Aber er ließ mich nicht an sich heran.
Zwei Wochen ging das so. Nach
und nach rückte Die Außenwand meines Unterstands immer näher an die
Gitterstäbe, bis ich nur noch knapp außerhalb seiner Reichweite war. Und dann,
eines Tages, spürte ich, wie er abends, als er wieder einmal bitterlich weinte,
doch meine tröstende Energie annahm. Ich saß immer noch ruhig in meinem
Unterstand. Schließlich beruhigte er sich wieder, sah mich schief an und sagte:
"Paß auf. Bald fresse ich dich."
"Das hast du mir gestern abend schon gesagt und jeden Tag, seitdem ich
hierher gebracht wurde. Und wenn du es dann immer noch willst, werde ich in
zwei bis drei Tagen absolut nichts mehr dagegen tun können." antwortete
ich "Nur verstehe ich nicht, was Du davon hast - ich meine außer
Bauchschmerzen."
"Du hast es verdient. Jeder Mensch hat es verdient." meinte er in
einem bitteren Tonfall.
"Warum meinst du, daß jeder Mensch es verdient hat?"
"Du hättest sehen sollen, was sie getan haben, dann würdest du keine so
dummen Fragen stellen."
"Ach Kleiner, ich bin doch auch nur eine Gefangene. Ich bin einer von den
Menschen, bei denen es niemanden von ihnen interessiert, ob du mich frißt oder
nicht. Die schicken nicht ihre Freunde hier herein, sondern ihre Feinde."
und ich erinnerte mich an den Kampf um den Rückzug der zivilen Schiffe zu
decken. Und dann an die Foltern. Und wieder dachte ich daran, daß mir niemand
hatte verraten wollen, was aus meinen Leuten geworden ist. Und der Drache
folgte meinen Erinnerungen und verstand.
"Aber das Schiff ist ohne uns weggeflogen. Direkt vor unserer Nase."
beschwerte er sich.
"Welcher Raumhafen?" fragte ich.
"Arianna."
"Das Schiff ist als vorletztes gestartet. Das letzte ist nur zwei Sekunden
später gestartet und die Schiffe des Menschenreiches haben es abgeschossen und
alle, die darin waren, sind tot. Selbst wenn noch Platz drin gewesen wäre, wäre
es zu spät gewesen, mein Freund. Wir waren einfach zu wenige. Zu wenige um den
Rückzug zu decken und zu wenige um alle Drachen wegzubringen." antwortete
ich.
Zwei Drittel der Drachen hatten auf dem Planeten bleiben müssen.
Dann zeigte mir der junge
Drache seine Erinnerungen an seine Eltern und seine kleine Schwester. Seine
Eltern, die als erwachsene Drachen für zu gefährlich und unzähmbar gehalten
wurden, wurden bei lebendigem Leibe gehäutet und der Drachenjunge mußte
zuschauen. Seine kleine Schwester war fast noch ein Nestling, nur anderthalb
Meter lang. Ihr hatte man die Zähne gezogen und die Krallen herausoperiert und
sie an einen Zirkus verkauft, der sie mittels Schmerzsender zu
Zirkusvorstellungen abrichtete. Ich konnte mir an fünf Fingern abzählen, daß
sie durch dieses Leben sterben würde, bevor sie ausgewachsen war. - Vermutlich
würde sie auch nicht mehr wachsen.
Es tat mir in der Seele weh,
das im Geiste des jungen Drachen miterleben zu müssen. Und da unter Drachen
Geschwister im Geiste immer verbunden sind, wird er es bis zum Ende mitfühlen
und miterleben.
"Darf ich jetzt
rauskommen?" fragte ich.
"Ja!" antwortete der Drache, doch es schwang so etwas wie Gier, wie
Zorn mit, das mich warnte.
"Nein. Nicht so. Ich will wissen, ob du mich am Leben läßt. Ich kann dir
vermutlich nicht wirklich helfen. Ich habe keine Macht in diesem Land. Aber ich
kann dir versprechen, daß ich immer zu dir halten werde." antwortete ich
ruhig, ohne Zorn.
Der Drache sah mich nur schweigend und nachdenklich an. Ich erwiderte ruhig
seinen Blick und wartete ab. Diesmal schlief ich im Sitzen ein.
Und als ich am nächsten Morgen
erwachte, hatte ich ein Gefühl, als würde ich in wärmenden, leuchtenden,
liebenden Sonnenstrahlen liegen. Dabei lag mein Schlafplatz im Schatten. Ich
blickte auf und sah in Drachenaugen. Und diesmal schien mir seine Schönheit
unendlich. Leuchtend wie von einem Wesen aus einer besseren Welt aber auch
rätselhaft, einem Menschen nicht voll verständlich und ich spürte, daß er mich
ebenso ansah. Meinen kleinen, schlanken Körper, der nie richtig zur Frau
erblüht war, weil vorher - ich war sieben Jahre alt gewesen damals - auf Befehl
meines damaligen Herrn die Geschlechtsorgane herausoperiert worden waren. Das
farblos blonde Haar, die leicht ins grünliche spielenden grauen Augen. Meine
Augen zwar, die ich lange schon seit Jahren kannte, aber er entdeckte eine Schönheit
darin, die ich nie hatte sehen können.
Ich fragte mich, wie viel von
der Verachtung und den Mißhandlungen, die ich als Kind erlebt hatte, ich
unbewußt und ohne darüber nachzudenken übernommen haben mochte. Denn wenn ich
meinen Körper durch die Drachenauchgen betrachtete, wurde mir bewußt, daß ich
auf meine Weise ebenfalls schön war. - Nicht nach den üblichen Standarts - aber
auf die Weise, die meinem Körper angemessen war.
F14.
"Hüter des Lichts"
und "Friedenshüter" sind zwei Übersetzungen desselben Begriffes.
Beide Übersetzungen geben das Originalwort nicht ganz richtig wieder. Mit Licht
ist das innere Licht gemeint. Licht, Frieden, Liebe oder auch Wahrhaftigkeit
oder das Göttliche sind alles gleichwertige Übersetzungen für das, was ich hier
zuerst "Licht" genannt habe.
Hüter des Lichts sind Wesen,
die in Kriesengebieten als Einheimische zu Welt kommen, sich dort in die
Probleme einleben und dann Lösungen dafür finden, denn man kann nur Probleme
lösen, die man kennt.
Es gibt Zentralen (bestimmte
Planeten), in denen solche Hüter ausgebildet und auf ihren ersten Auftrag
vorbereitet werden. 90% entscheiden allerdings nach ihrem ersten Auftrag, daß
ihnen die Arbeit eines Hüters ein zu hartes Brot ist.
Ich selber wurde vor sehr
langer Zeit in einer solchen Zentrale ausgebildet und habe später auch dort
gelehrt. Doch meine Zentrale ist inzwischen von den Höchsten zerstört worden.
Die Geschichte dazu findet
sich hier: "Der
Drachenkrieg" (xF\FF001.HTM).
Quelle: www.kersti.de
Autorin: K. Nebelsiek
www.fallwelt.de/reptos/fremde/lebendrachen.htm