DREI VERSUCHE,

DIE MENSCHEN ZU VERTILGEN

(Bericht des Atra Hasis)

 

Im ersten  Teil der Schrift des Atra Hasis (ein König und ein sehr weiser Mann jener Zeit) wird berichtet, wie die Menschen von den Göttern gemacht wurden. Im zweiten Teil folgt der Bericht darüber, wie man die Menschen wieder los wird. Um diesen zweiten Teil geht es nun. Leider ist dieser Bericht nicht ganz vollständig. Dennoch enthält er wesentliche Aussagen, die mit denen aus dem biblischen Sintflutbericht übereinstimmen, aber diesen auch in wesentlichen Details ergänzen.

 

1. Versuch: eine Seuche  1

2. Versuch: eine Hungersnot 1

Warnung vor einer Flut 3

Anspannung vor der Flut 4

Die Flut 4

 

1. Versuch: eine Seuche

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Es waren noch keine 1200 Jahre vergangen,

da wurde das (bewohnte) Land immer größer,

die Menschen immer zahlreicher.

Das Land (der Menschen) brüllte wie ein Stier,

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und durch ihren Lärm fühlte sich der Gott belästigt. Enlil hörte ihr Geschrei

und sprach zu den großen Göttern:

»Das Geschrei der Menschen ist mir lästig.

Durch ihren Lärm finde ich keinen Schlaf

360 Laßt eine Seuche entstehen, (die sie zum Schweigen bringt)!«

Der erste Anlauf um die Menschen zu dezimieren, bestand also darin, eine Seuche ihr Werk tun zu lassen. Ob bewußt Krankheitserreger in Umlauf gebracht wurden oder ob eine bereits entstehende Seuche nicht im Keim erstickt werden sollte, sagt der Bericht nicht.

Atra-hasis, König und der Klügste aller Menschen — allweise bedeutet sein Name —, erfährt von der Bedrohung. Er bespricht sich mit seinem Gott Enki / Ea und erhält von ihm den Rat, für Namatar, den Gott des Schicksals und des Todes, einen Tempel zu errichten und ihm einen intensiven Kult zu weihen. So geschieht es auch, und dadurch werden die Götter wieder mit den Menschen versöhnt. Aber nicht für lange:

2. Versuch: eine Hungersnot

II Kol. 1

Zwölfhundert Jahre waren (abermals) vergangen,

da wurde das (bewohnte) Land größer und die Menschen zahlreicher.

Das Land (der Menschen) brüllte wie ein Stier.

Der Gott fühlte sieh durch ihren Lärm belästigt.

5

Enlil hörte ihren Lärm

und sprach zu den großen Göttern:

»Groß ist der Lärm der Menschen.

Durch ihr Geschrei finde ich keinen Schlaf

Schneidet den Menschen alle Nahrung ab,

10

daß es ihnen für ihren Hunger an Pflanzen fehlt. Adad (Wettergott) soll seinen Regen zurückhalten,

und unten soll das Grundwasser

nicht ans der Tiefe aufsteigen.

Wind soll wehen

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und die Erde versengen.

Die Wolken sollen sich sammeln,

aber keinen Tropfen Regen spenden.

Die Felder sollen ihren Ertrag verringern,

Nisaba (Göttin der Ernte) soll ihre Brust verschließen.

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Es soll keine Freude mehr unter ihnen sein. «

 

Ganz wie beim ersten Mal rät Atra-Hasis den Menschen auch dieses Mal wieder, die Verehrung der eigenen Götter aufzugeben, um nur noch dem Gott zu dienen, der der Urheber des ganzen Unglücks ist, Adad, dem Wettergott. Seinen Zorn gilt es zu besänftigen, und zwar ohne daß Enlil es merkt. Aber der erfährt am Ende doch davon und bewirkt nun eine gefährliche Dürre.

 

Kol. IV

Oben fiel kein Regen mehr vom Himmel, unten stieg das Grundwasser

nicht mehr ans der Tiefe.

Der Schoß der Erde gebar nicht mehr.
5

Die Pflanzen drangen nicht mehr aus der Erde. Man sah keinen Menschen mehr (bei der Arbeit). Die dunklen Felder wurden weiß.

Die große Ebene war bedeckt mit Salz.

Im ersten Jahr aßen sie Quecken.

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Im zweiten Jahr überfiel sie die Krätze. Das dritte Jahr kam.

(und) ihre Gesichter waren durch Hunger entstellt. Ihre Gesichter waren wie verkrustet.

Sie lebten dahin am Rande des Todes.

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Sie waren grün im Gesicht.

Gebeugt schlichen sie durch die Straßen.

Ihre breiten Schultern waren schmal geworden,

kurz ihre langen Beine.

Die Befehle, die erteilt wurden, (blieben unausgeführt).

 

Der zweite Versuch, die Menschen zu dezimieren bestand also in einer weitreichenden Hungersnot, welche ihre Ursache in großer Trockenheit hatte.

Ob nun die Trockenheit tatsächlich von den herrschenden Göttern ausgelöst wurde oder ob sie bewußt verhinderten, der Hunger leidenden Menschheit Nahrungsreserven aus anderen Regionen zu erschließen, bleibt offen.

Inzwischen sind dem Bericht zufolge schon 2400 Jahre vergangen. (Der biblische Bericht räumt der ganzen Zeitspanne bis hin zur Sintflut nur 1656 Jahre ein.) Wegen fehlender Fragmente gibt es keinen Hinweis über den Zeitverlauf bis zum dritten Vernichtungsversuch.

 

Hier bricht die Kolumne ab. Nach der jüngeren, der assyrischen Version dauerte die Hungersnot sechs Jahre. Aber auch diesmal wieder wurden die Menschen durch Atra-Hasis gerettet. Sie breiteten sich von neuem über die Erde aus, und die enervierten Götter sahen sich gezwungen, eine neue Katastrophe gegen sie heraufzubeschwören, die Sintflut. Sie hätte allen den Untergang gebracht, wäre Atra-Hasis nicht durch Enki von dem neuen Götterbeschluß unterrichtet worden. Um sich nicht zu verraten und die ganze Aktion vor den Göttern geheimzuhalten, greift er zu versteckten Methoden der Mitteilung und informiert Atra-Hasis zuerst durch einen Traum, dann durch ein Gespräch, das er als Wassergott mit der Wand seiner Schilfhütte führt. Der Wind ist es, der seine Worte fortträgt und sie zu Atra-Hasis bringt, wo das vom Wind bewegte Schilf sie ihm übermittelt.

 

Warnung vor einer Flut

III Kol. 1

Atra-Hasis tat seinen Mund auf und redete seinen Herrn an:

»Sag' mir die Bedeutung des Traumes

damit ich sehe, wo er hinführt!«

15

Enki tat seinen Mund auf

und redete seinen Diener an:

»Du sagst: >Was soll ich suchen?<

Gib acht auf die Botschaft, die ich dir sagen will!

20

Wand, höre mir zu!

Schilfwand, achte auf alle meine Worte!

Zerstöre dein Haus, baue ein Boot!

Gib deinen Besitz auf?

Rette dein Leben!

25

Das Boot, das du baust,
soll gleich groß sein (nach allen drei Richtungen).

29

Überdache es wie der Apsu, (die Wasserflut unter der Erde)
so daß die Sonne nicht hineinscheinen kann.

Es soll oben und unten ein Deck haben.

Das Takelwerk soll stark,

das Pech dick sein und dem Boot Festigkeit geben. Ich will hier auf dich niedergehen lassen

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eine Menge von Vögeln, eine Fülle von Fischen. « Er öffnete die Wasseruhr und füllte sie.

Er kündigte ihm den Beginn der Flut für die siebte Nacht an.

Atra-Hasis nahm die Anweisung entgegen.

Er versammelte seinen Ältestenrat am Stadttor.

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Atra-hasis tat seinen Mund auf

und redete die Ältesten an:

»Mein Gott ist mit eurem Gott nicht einer Meinung. Enki und Enlil sind böse aufeinander.

Sie haben mich von zu Hause (?) vertrieben.

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Da ich Enki verehre,

hat er mir von der Sache erzählt.

Ich kann nicht länger in eurer Mitte leben.

Ich kann meinen Fuß nicht auf die Erde Enlils setzen. Bei den Göttern

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Dies ist es, was er mir gesagt hat. «

 

Atra-Hasis versucht, mit diesem Vorwand den Verdacht der Ältesten zu zerstreuen, damit niemand an seinem Bootsbau Anstoß nimmt und man ihn ungehindert ziehen läßt. Als die Vorbereitungen beendet und auch bereits die wilden und zahmen Tiere an Bord sind, läßt Atra-Hasis zuletzt seine Frau einsteigen.

 

Anspannung vor der Flut

Kol. II 

Er brachte seine Frau an Bord.

Sie aßen.

Sie tranken.

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Er aber stieg (unruhig ein und aus),

er konnte sich nicht setzen, nicht niederhocken.

Sein Herz war zerrissen, und er erbrach Galle.

Das Wetter änderte sich.

Adad brüllte in den Wolken.

50

Sobald er Adads Stimme hörte,

wurde ihm Pech gebracht, die Türe abzudichten. Nachdem er die Türe verriegelt hatte,

brüllte Adad in den Wolken.

Die Winde wurden wüst, als er sich erhob.

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Er kappte das Ankertau und gab dem Boot freie Fahrt.

 

Die Flut 

Kol. III

Die Flut brach los.

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Ihre Gewalt kam über die Menschen wie ein Schlachtgetümmel.

Einer konnte den anderen nicht sehen.

Niemand war mehr erkennbar in dem Verderben.

15

Die Flut brüllte wie ein Stier.

Wie ein wiehernder Wildesel heulte der Wind.

Die Finsternis war schwarz, keine Sonne zu sehen.

 

Die Flut dauert nur sieben Tage und sieben Nächte, und in dieser Zeit beginnt die Stimmung der Götter bereits umzuschlagen. Mami und Enki beklagen den Untergang ihrer Schützlinge, und alle Götter finden es lästig, ohne die Versorgung durch die Menschen auskommen zu müssen. Enlil wird wütend, als er entdeckt, daß auch sein dritter Anschlag mißlungen ist. Enki wird angeklagt und rechtfertigt sich gegen die Vorwürfe. Aber wie es den Göttern am Ende gelingt, Enlil dazu zu bewegen, die Menschen hinfort am Leben zu lassen, ist leider nicht erhalten.

 

 

Resümee:

 

Der Bericht des Atra Hasis erwähnt drei Versuche, die Menschen zu dezimieren, bzw. sie auszulöschen. Dieser Hinweis fehlt in der Bibel. Auch die Bibel stellt heraus, daß "Gott" es leid ist, die Menschen gemacht zu haben und deren Vernichtung wünscht. Doch im biblischen Bericht wird nur von "Gott" geredet, obgleich im Geschehen zwei Götter als Hauptakteure die Verantwortung tragen. Der eine Gott ist Enlil, der sich die Vernichtung des Menschengeschlechts wünscht. Der andere Gott ist es sein Halbbruder Enki (EA). Dieser unternimmt jeweils geeignete Schritte um einige Menschen vor der Ausrottung zu bewahren.

Die Detailgenauigkeit des Flutberichts im Atra Hasis steht dem biblischen Sintflutbericht (an Hinweisen und Einzelheiten) um nichts nach.

Doch auch beim Bericht des Atra Hasis muß erwähnt werden, daß er nur das enthält, was die    einstige Zensur der Götter zuließ.

 

 


Autor: B. Freytag

www.fallwelt.de/themen/sintflut/atrahasi.htm