Ein Text von Kersti Nebelsiek
V270 Fehler bei Erinnerungen an frühere Leben: Weltbilder; Beispiel Atlantis
Das
Gesellschaftssystem von Atlantis
F15. Die "Götter" von Atlantis
Erinnerungen an
Leben in Atlantis
F7. "Sie könnten einen genetischen Defekt finden"
F16. Wir haben einem neuen Menschen eine Sichtscheibe ins Herz gepflanzt 13
Nun - stimmt nicht ganz - ich kann
auf Anhieb drei Autoren nennen die mit Atlantis
dasselbe Land meinen wie ich. Marion
Zimmer-Bradley in dem Fantasy-Roman
"Das Licht von Atlantis", Antaris in ihrer
Internetseite - Und meiner Beobachtung nach, muß es sich wohl bei Platons
Atlantis um "mein" Atlantis gehandelt haben, denn es handelte sich um
diejenige Technische Kultur, die unserer direkt vorausgeht und es gibt enge
geschichtliche Verbindungen (vgl.: Klaus
Aschenbrenner: Atlantis in den Azoren) dazu, die zeigen, daß keine technische Kultur zwischen damals und heute
gelegen hat. Spanuths "Atlantis" mit Helgoland als Mitte würde
ich auf Anhieb als einen Überrest von Atlantis betrachten und die
Eroberungszüge als Folge des durch den Untergang von Atlantis entstandenen
Bevölkerungsdrucks. - Das wäre aber noch mal zu überprüfen.
All die anderen
"Atlantis"- Kulturen hatten vermutlich eigentlich einen anderen
Namen. Und wurden nur deshalb "Atlantis" genannt, weil sie eine
unbekannte sehr hohe Kultur
hatten.
Tatsächlich gab es auf der Erde
eine ganze Reihe derartige Kulturen vor unserer - und noch viel mehr
existierten außerhalb unserer Erde auf anderen Planeten. Deshalb muß man immer
die Beschreibungen dieser Kulturen durchlesen, um herauszufinden, um welche der
vielen es sich handeln könnte, statt sich die Namen anzuschauen. Und manchmal
reicht das nicht, um Verwechslungen auszuschließen oder aber um zu erkennen,
daß zwei Leute dieselbe Kultur aus einem unterschiedlichen Blickwinkel
beschreiben.
Es ist also so, daß viele Menschen
bei jeder ungewöhnlichen Kultur die gleichzeitig hochtechnisch und spirituell
ist, an den Namen Atlantis denken. Und ihn ohne es zu überprüfen dann als Name
für das Land ihrer Erinnerungen übernehmen.
Hinzu kommen noch Kulturen auf Parallelwelten
dieser Erde, die dadurch entstanden sind, daß bei einer wichtigen Entscheidung
beide Möglichkeiten gewählt und parallel ausgelebt wurden.
Bei den "Göttern" von Atlantis handelt es sich nicht in dem
Sinne, um Götter, wie man dieses Wort heutzutage allgemein verwendet.
Tatsächlich handelt es sich einfach um eine Menschenrasse, die etwas größer und
hellhäutiger war, als die von den Atlantern als "niedere Rasse"
betrachteten Menschenrasse. Daß sie sich als Götter bezeichneten und behandeln
ließen, spiegelt nur die Arroganz der meisten von ihnen wieder.
Dennoch stammen einige
umgangssprachliche Ausdrücke bei uns in Deutschland aus der atlantischen Zeit.
Beispielsweise wenn man von einem gutaussehenden Menschen sagt, daß er aussehe
wie ein junger Gott, dann ist mit "junger Gott" ein Atlanter gemeint.
- Und es mag durchaus sein daß der betreffende unter den Atlantern tatsächlich
nicht aufgefallen wäre, wenn es sich um einen Nordeuropäer handelt. Das ist
auch der Grund, warum ich in diesem Fall das Wort "Götter" benutze.
Die "Menschen" - die
Sklavenrasse von Atlantis - waren dagegen klein, dunkelhäutig, zierlich und
haben welliges, schwarzes Haar. Die Atlanter hielten sich für intelligenter als
Menschen. Was in der Form nicht unbedingt stimmt - denn ihre Intelligenz beruht
auf der Telepathie und spielte
sich nicht im Gehirn ab. Wenn die zur Telepathie nötigen Gehirnzentren bei
einem "Gott" zerstört sind, ist er dümmer als ein heutiger Mensch.
Solange ein Atlanter aber auf Telepathie zurückgreifen kann, ist er intelligent
und zum Denken in Gedankenkristallen
fähig.
Kurz vor dem Untergang von Atlantis
waren die "Götter" zu 90% Mischlinge und unter den Menschen gab es
ebensoviele Mischlinge mit einem ebenso hohen Anteil an "Göttlichem"
Blut. Einen geringen Anteil an "göttlichem" Blut hatte nahezu jeder.
Da es jedoch insgesamt mehr als zehn mal so viele Menschen wie Götter gab,
machten die Mischlinge mit hohem Anteil an göttlichem Blut unter den Menschen
nur etwa 10% aus. Von den Göttern aber waren die meisten nicht mehr zu
Telepathie fähig.
Es hieß in Atlantis Götter hätten
uns Menschen durch Gentechnik künstlich erschaffen. Sicher ist, daß sie auf
irgendeiner Rasse aufgebaut haben, die vorher schon existiert hatte. Ich bin
mir aber nicht sicher, ob sie eine bestehende Rasse klüger, dümmer oder nur
gefügiger gemacht haben.
Ich kann mich daran erinnern, daß
ich bei einem derartigen Genexperiment vor der Zeit von Atlantis mit der
Betreuung der dadurch entstandenen Menschen betraut war und daß ich entsetzt
war, wie herzlos sie behandelt wurden. Ich habe damals die Empfehlung
ausgesprochen, daß Menschenkinder nicht von der Mutter getrennt werden sollten,
bevor sie zehn Jahre alt sind, weil sie sonst so großen Schaden an der Seele
nehmen, daß sie für Arbeit nicht zu gebrauchen sind. - Meine wirklichen Gründe
waren menschlicher - aber mit dem Argument hatte ich Erfolg. Das Gesetz blieb
bis zum Untergang von Atlantis in Kraft.
Ich stehe auf einem Sklavenmarkt. Ein Fuß ist angekettet. Ich soll
verkauft werden. Wie immer in solchen Situationen (also in allen Leben, wo ich
mich an einen solchen Verkauf
erinnere) stehe ich ruhig da und betrachte die Käufer aufmerksam, schaue, ob
sich da ein nettes Gesicht findet.
Ja. Da ist eine Frau, die mir
gefällt. Sie hat eine klare, lichte Aura. Ich warte, daß sie aufschaut. Doch
zuerst schaut mich ihr Begleiter an. Es ist etwas boshaft berechnendes in
seinem Blick. Ich wünschte, er hätte mich nicht bemerkt. Ich weiß, als ich
meine Aufmerksamkeit auf die beiden gerichtet habe, habe ich einen Fehler
gemacht. Er hat es gespürt und jetzt ist es zu spät. Ich richte mich stolz auf.
Die beiden kommen auf mich zu und
die Frau spricht mich an:
"Hast du Angst vor Magie?"
"Nein." antworte ich.
"Er ist schön." sagt sie träumerisch zu ihrem Mann.
"Öffne deinen Schurz, daß ich sehen kann, ob du auch gesund bist."
befiehlt er mir.
Das schlechte Gefühl verdichtet
sich. Die beiden sind zusammen, das zeigt ihre Aura. Wenn er will daß ich etwas
sexuelles mit seiner Frau mache, dann ist es so gefährlich, daß er nicht wagt,
das selbst zu machen. Ich lasse diese Gedanken nicht an die Oberfläche meines
Bewußtseins dringen, denn er gehört der Priesterkaste an und könnte es merken.
Wieder sehe ich dieses Berechnende in seinem Blick. Ich mache meinen Kopf leer
und sehe ihn fragend an.
"Mach deinen Schurz auf, habe ich gesagt!" wiederholt er barsch.
Ich gehorche schulterzuckend diesem ungewöhnlichen Befehl und halte eisern
meine Unruhe unter Kontrolle.
"Gut, den nehmen wir, Nimua. Seine Aura ist klar genug." sagt er zu
seiner Frau.
Er hatte meine Unruhe nicht bemerkt.
Ich sehe zu, wie sie mit dem
Sklavenhändler verhandeln und schließlich bezahlen. Dann legen sie eine Kette
wie eine Hundeleine um meinen Hals und führen mich zu ihrem Heim. Der Mann
spielt seinen ganzen Charme gegen mich aus. Ich höre ihm schweigend zu, während
er mir erzählt wie toll er mich fände und wie schön es bei ihm wäre. Ich glaube
ihm nicht.
Sie schließen mich in einem Zimmer
ein, das viel zu vornehm eingerichtet ist... Nicht daß ich etwas gegen vornehm
eingerichtete Zimmer hätte, aber das sah mir zu sehr nach Trost für den zu
Opfernden aus. Es war einfach nichts, was einem Sklaven angemessen wäre, selbst
dann nicht, wenn eine der Mächtigen sich einen Sklaven als Liebhaber gewählt
hätte. Zuerst einmal bat ich um Wasser zu trinken. - Denn das hatten die beiden
offensichtlich über ihren sonstigen Plänen völlig vergessen.
Ich legte mich aufs Bett,
entspannte mich und dachte nach. Die Frau hatte mir das Stichwort Magie
genannt, dann war es offensichtlich gefährlich - auch für die Frau, sie hatte
er auch so berechnend, besitzergreifend aber auch - kalt - gemustert. Daß ihr
das nicht aufgefallen war. Sie war hellsichtig. Und dann hatte es etwas mit
Sexualität zu tun. Ja. Dazu fiel mir etwas ein. Ein Ritual - jemand hatte es
einmal ausgeführt ohne ausreichende Ausbildung und war nachher völlig verkohlt
gewesen. Ich hatte damals die Leichen gesehen. Es war verboten, das außerhalb
eines Tempels zu machen. Nur würde ich nichts dagegen unternehmen können, es
sei denn, ich könnte die Frau überzeugen. Aber wenn sie nicht einmal die kalten
berechnenden Blicke des Mannes bemerkte...
Bald darauf kam ein Mann mit einer
Malzeit, die eines Königs würdig gewesen wäre. Ich grüßte ihn und fragte, was
auf mich zukäme. Er deutete schweigend auf eine kaum sichtbare Narbe an seinem
Hals. Ich kannte diese Art von Narben.
"Du bist also stumm." stellte ich fest "Dann werde ich die Frage
noch einmal genauer stellen: Die beiden haben etwas Verbotenes mit mir vor,
nicht wahr?"
Er nickte.
"Und es ist gefährlich."
Er nickte wieder.
Ich nannte den Namen des Rituals: "Karlingualinga"
Er nickte.
Einen Augenblick stand ich nur stumm und unbeweglich da, dann sagte ich:
"Danke. Jetzt weiß ich wenigstens woran ich bin."
Er legte mir tröstend die Hand auf die Schulter. Ganz offensichtlich wünschte
er, mir helfen zu können. Ich lächelte ihm zu.
"Ich komme schon damit zurecht."
Er sah mich zweifelnd an.
Ich grinste spitzbübisch und meinte:
"Es wird mir ja gar nichts anderes übrigbleiben."
Er nickte und sah sehr niedergeschlagen aus.
Sobald ich wieder alleine war,
durchsuchte ich mein Zimmer auf nützliche Gegenstände. Da es sehr viel
eigentlich unnützen Klimperkram enthielt, fand sich bald etwas, das dazu
geeignet war, das Schloß zu knacken, ohne auffällige Spuren zu hinterlassen.
Zuerst wartete ich, bis ich meinen Tagesrhythmus heraushatte. Mehrmals am Tag
wurde ich zu einer magischen Ausbildung in einen kleinen Saal gebracht. Mir
machte es Spaß, obwohl ich wohlweislich nicht zeigte, wieviel davon ich längst
beherrschte und auch nicht verriet, wieviel ich übte und dazulernte. Dann
öffnete ich in den Zeiten, in denen ich ungestört blieb, regelmäßig das Schloß
des Zimmers und erkundete unauffällig die Umgebung meines Zimmers. Ich kam
nicht allzuweit. Es lagen drei Zimmer an demselben Flur. Eines stand leer, war
abgeschlossen und enthielt Folterwerkzeuge. In einem schlief Nimua. Das dritte
war meines. Dann gab es am Ende des Ganges einen achteckigen oben vergitterten
Innenhof, der Türen zu einem Zimmer mit einem Doppelbett und zu dem kleinen
Saal, an den eine Kammer mit magischen Werkzeugen angrenzte besaß. Ich
entwendete eine Seherkugel. An dem Ende des Flurs, das nach draußen führte, war
eine verschlossene Tür, hinter der ein Wachposten postiert war. Alle Fenster
waren vergittert. Zwar sahen die Gitter aus, als dienten sie nur zur Zier, so
schön und kunstvoll waren sie geschmiedet. - Aber sie waren an jeder Stelle so
solide und aus so gutem Stahl, daß ich in den Räumen (besonders die
Folterkammer habe ich daraufhin durchsucht) kein Werkzeug gefunden habe, mit
denen ich ein Loch hätte hineinsägen können.
Schließlich schlenderte ich zu der
Tür mit dem Wachposten und fragte den Mann, ob ich nicht einmal kurz
hinauskommen und mich zu ihm in die Sonne setzen dürfte.
"Wer hat Dir erlaubt, hierherzukommen?" fragte der Posten.
"Darf ich das denn nicht?" fragte ich zurück.
"Du solltest eigentlich wissen, daß Du in Deinem Zimmer bleiben sollst,
bis du gerufen wirst."
"Der Herr hat es mir aber nicht gesagt." antwortete ich.
Natürlich hatte er es mir nicht gesagt. Er hatte mich ja eingeschlossen und war
überzeugt, ich könnte das Zimmer gar nicht verlassen.
Am nächsten Tag führte der Stumme
mich in die Folterkammer. Dort wartete der Herr auf mich. Ich sah mich
aufmerksam um, als hätte ich es noch nicht gesehen. Das Zimmer war einfacher
eingerichtet als meines, aber immer noch vornehm - und es enthielt
Folterwerkzeuge. Ich sah ihn an und fragte:
"Womit kann ich dienen?"
Zu Leuten, die ich für Verbrecher halte, bin ich immer extrem höflich. Das ist
meine Art, Abneigung zu zeigen.
"Schau Dich um. Ist das Zimmer nicht wunderbar eingerichtet?"
"Ich finde die Einrichtung geschmacklos." antwortete ich mit einem
ironischen Lächeln.
Er holte eines der Folterwerkzeuge - es wurde üblicherweise verwendet, um
Fingerknochen zu brechen - und begann mir umständlich die Funktionsweise zu erklären.
Ich hatte mehrfach gesehen wie mein Vater derartige Geräte verwendet hatte. Ich
wartete schweigend und ohne mein Lächeln zu unterbrechen, bis er fertig war,
dann sagte ich:
"Mir ist die Funktionsweise dieser Geräte bekannt."
"Aus eigener Erfahrung?" fragte er liebenswürdig.
"Nein. Ich war neugierig. Ich habe nur zugeschaut." antwortete ich
ebenso freundlich.
"Ich liebe es, diese Spielzeuge zu benutzen." sagte er und sah mich
erwartungsvoll an.
"Ich weiß. Das paßt zu Eurem Charakter." antwortete ich. Ich lächelte
immer noch. "Wenn ich das benutze, wirst Du bald aufhören zu
grinsen." drohte er.
"Ich weiß. Das ist eine körperliche Reaktion. Aber ich werde nicht
aufhören, Euch zu verachten." antwortete ich. Diesmal ernst.
"Du bist unverschämt."
"Das macht nichts. Ich habe nichts mehr zu verlieren." antwortete ich
- wieder lächelnd.
Er sagte nichts mehr, sah mich nur schweigend an. Er starrte mir ins Gesicht
und versuchte mich durch die konzentrierte Energie seines Blickes
niederzustarren. Ich öffnete mich und erwiderte vollkommen entspannt seinen
Blick. Ich gab ihm keinen Widerstand, den er zu brechen versuchen hätte können.
Nach fast zehn Minuten gab er es schließlich auf und befahl: "Du wirst
meiner Frau gehorchen. Aufs Wort. Sonst landest Du hier. Und Du schweigst
darüber, daß wir uns gesprochen haben." "Ich werde ihr gehorchen. Sie
ist der anständige Mensch von euch beiden." antwortete ich.
Er preßte verärgert die Lippen zusammen und winkte dem Stummen, mich
fortzubringen.
Am nächsten Tag führte der Stumme
mich zu der Frau wie immer. Ich freute mich, sie zu sehen und lächelte ihr
strahlend zu.
"Setz dich und entspann dich. Du bist unter deinesgleichen." sagte
sie herzlich.
Mein Gott, ich mochte diese Frau! Ich mochte sie wirklich. Ich gehorchte und
fragte, wo ihr Mann sei.
"Er ist auf einer Fahrt den Fluß Naiad hinunter und wird erst in ein paar
Wochen wiederkommen. Wer hat dir gesagt, daß es mein Mann ist?" fragte sie
argwöhnisch.
Das heißt sie würde auf seinen Befehl hin das Ritual durchführen, und wenn
herauskam, daß es schiefgelaufen war, dann würde er behaupten, nichts davon
gewußt zu haben.
"Ihr seid zusammen. Das sieht man an der Aura." antwortete ich.
"Wir sind nicht verheiratet." sagte sie.
Es war noch schlimmer, als ich vermutet hatte.
"Was fällt dir ein, so schlecht über ihn zu denken?"
"Er nutzt euch aus, Herrin. Das sehe ich an seiner Aura." antwortete
ich.
"Du bist doch nur eifersüchtig." gab sie ärgerlich zurück.
"Ich habe keinen Grund zur Eifersucht. Ich kenne euch erst zwei Tage und
nicht einmal richtig. Aber ich habe Grund zur Sorge, denn ihr wollt
Karlinguarlinda mit mir machen."
"Du bist klug." die Antwort rutschte ihr heraus.
Sie starrte mich an. Minutenlang
und schweigend. Dann begann sie plötzlich ganz hastig zu erklären, daß das alles
ganz ungefährlich sei. Ich ließ sie schweigend und ruhig ausreden.
"Nimua, dieses Ritual ist nur dann völlig ungefährlich, wenn die
Priesterin die vollständige Tempelausbildung hat." sagte ich ernst.
"Ich habe alles gelernt. Mein Freund hat es mir beigebracht."
"Ich brauche dich nur anzusehen, um zu wissen, daß du nicht ausreichend
Selbstbeherrschung gelernt hast. Ich habe meine Gedanken besser unter Kontrolle
als du." widersprach ich streng.
"Du mußt Vertrauen haben. Ich weiß, daß ich es kann."
Ich seufzte und senkte den Kopf. Sie war zu jung, zu unerfahren und viel zu
sehr von sich überzeugt. Genauso wie die meisten Kinder, mit denen mein Vater
experimentiert hatte.
"Nimua. Ich bin ein Sklave. Wenn du darauf bestehst, das tun zu wollen,
dann kann ich dich nicht daran hindern und ich werde auch nicht so verrückt
sein, es noch gefährlicher zu machen, indem ich im falschen Augenblick dagegen
ankämpfe. Aber ich bin überzeugt, daß du einen Fehler machst. Ich bin sicher,
daß es ganz gefährlich schiefgehen wird. Und ich werde es immer wieder sagen,
so oft du bereit bist, mir zuzuhören."
"Ich kann dich stumm machen." drohte sie.
"Mein Gott ist sie jung." dachte ich. "Selbstverständlich kannst
du das. Aber du kannst meine Gedanken lesen. Deshalb wäre das völlig sinnlos."
Sie schämte sich ihrer Worte, entschuldigte sich und sagte, daß sie so etwas
nie tun würde. Ich glaubte ihr das. Und sie schickte mich weg. Ich hatte keinen
Augenblick geglaubt, daß sie mich absichtlich verletzen könnte oder so etwas
tun, wie mich meiner Stimme berauben. Nein. Das war nicht ihre Art. Sie war nur
viel zu unausgeglichen - sowohl für die Macht, die sie über andere Menschen
hatte, als auch für das, was sie vorhatte.
Als Abends der Diener mit dem Essen
kam, sagte ich:
"Oh - das reicht ja für zwei! Möchtest du Dich nicht zu mir setzen und
mitessen?"
Er schaute mich überrascht an. Ich grinste:
"In Wirklichkeit habe ich einen ganz egoistischen Grund. Ich brauche
jemanden, der mir zuhört und mir hilft, meine Gedanken zu ordnen. Und ich wüßte
sonst niemanden, den ich bitten könnte."
Er kam zögernd zu mir. Ich grinste ihn an.
"Setz dich. Ich bin ein Sklave. Wenn ich mich an diesen Tisch setzen und
speisen kann, wie ein König, kannst du es auch."
Er lächelte und gehorchte. Stumme haben immer das Problem, daß nur wenige fähig
sind, in ihnen die Menschen zu erkennen, die sie sind. Die meisten Menschen
sind nicht fähig den Charakter eines Anderen wahrzunehmen, wenn dieser ihnen
nicht antworten kann. Ich achtete während des Essens darauf, daß er tatsächlich
das aß, wo er sehnsüchtig hinschaute.
Erst danach begann ich zu reden.
"Weißt Du, der Herr erinnert mich an meinen Vater." Der Sklave sah
mich an, überrascht, daß ich so einen Menschen mit meinem Vater verglich. Ich
lächelte. Er wußte halt nicht, was ich für einen Vater hatte.
"Mein Vater war ein mächtiger Mann. Wenn er sich bewußt war, daß ich sein
Sohn war, hat es ihn zumindest nicht interessiert. Und ich habe sorgfältig
darauf geachtet, daß er meine Fähigkeiten nicht entdeckt und daß er sich auch
weiterhin nicht für mich interessiert. Er hat magische Experimente gemacht. Und
diejenigen, die er für diese Experimente verwendete, haben immer schrecklich
gelitten, und bald waren sie tot. Es ist mir gelungen, meine Fähigkeiten
geheimzuhalten und er hat mich schließlich verkauft. Glücklicherweise. Und
jetzt bin ich bei genauso einem Narren gelandet. Und bald werde ich tot
sein."
Der Stumme bestätigte diese Aussage mit einem ernsten Nicken.
"Mein Vater hat auch einmal zwei seiner Sklaven die Karlinguarlinda
probieren lassen. Ich habe nachher die Leichen gesehen. Sie waren völlig
verkohlt. Ich bin besser ausgebildet. Ich werde nicht sofort daran sterben -
aber gut genug, um es zu überleben, wenn die Priesterin einen Fehler macht, bin
ich nicht. Und sie wird einen Fehler machen. Sie ist nicht selbstbeherrscht
genug, um während des Geschlechtsaktes die Energien bewußt zu kontrollieren. Es
wird eine wochenlange Quälerei sein, bis ich tot bin." sagte ich.
Der Stumme sah mich zutiefst nachdenklich an.
"Du fragst Dich, woher ich das alles weiß?"
Er nickte.
"Ich habe meinen Vater und die Ausbildung der jungen Leute, die er für
seine Versuche mißbrauchte, heimlich beobachtet. Ich weiß wovon ich rede. Und
er hatte auch einen stummen Sklaven, ein anständiger Mann, mit derselben
Aufgabe wie Du. Er war mein Freund. Wenn er so traurig aussah, wußte ich, daß
wieder einer der Leute ermordet worden war, die er jeden Tag bedient hatte,
während sie für magische Experimente ausgebildet wurden." erklärte ich.
Wieder ruhte sein nachdenklicher Blick auf mir. Ich erspürte, in welche
Richtung seine Gedanken gingen und erklärte dann:
"Er konnte meine Fragen nur beantworten, indem er mir zeigte, was ihm
Kummer bereitete. Deshalb habe ich sie alle gesehen, wenn sie tot waren. Und
nachts habe ich oft an ihren Betten Wache gehalten, wenn sie verletzt waren.
Der Herr hat sich nicht dafür interessiert, aber es auch nicht verboten. Und
der Stumme - Ich habe nie seinen richtigen Namen erfahren, er konnte es mir ja
nicht sagen und er mochte es nicht, Geo genannt zu werden, wie mein Vater ihn
immer rief. - Er wollte diese naiven Kinder nicht alleine lassen, wenn sie so
litten. Und er konnte ja nicht alles allein machen."
Er nickte und ich spürte, daß er sehr traurig war. Er dachte an jemand, den ich
nicht kannte. - Wahrscheinlich eines der Opfer der magischen Versuche hier. Ich
hatte auch genug naive Kinder in Erinnerung, die meinem Vater blindlings
vertraut hatten. Und dann hatten sie so unmenschlich leiden müssen. Und Nimua
würde es ebenso ergehen, obwohl sie besser ausgebildet war, als die Opfer der
Versuche meines Vaters. Vermutlich würde sie den Versuch überleben. Aber ich
glaubte nicht, daß sie glücklich damit wäre. Sie würde sich die Schuld an allem
geben.
Jeden Tag ließ sie mich mehrfach
rufen und übte mit mir magische Praktiken. Anfangs war sie jedesmal überrascht,
wenn ich eine ihrer Anweisungen korrigierte und eine hieb- und stichfeste
Begründung dafür gab. Schließlich fragte sie nach und ich erzählte ihr von
meinem Vater.
"Und jetzt glaubst du, daß mein Herr genauso ist, wie?"
"Ja. Der Stumme hat es mir bestätigt. Ich habe ihn gefragt."
"Aber er kann doch nicht sprechen."
"Ich habe ihm Geschichten erzählt und Fragen gestellt, die man mit ja oder
nein beantworten kann, und ich habe die Richtung seiner Gedanken gespürt. Er
macht dieselbe Art von Experimenten, aber er bildet etwas besser aus als mein
Vater. Nur reicht es nicht. Ich weiß, wie Menschen mit einer Tempelausbildung
sind. Wie stark, ruhig und selbstbeherrscht. Sie hätten Dich dort sicher gerne
ausgebildet. Du bist die Art von Mensch, die sie im Tempel wollen."
erklärte ich.
"Das glaube ich nicht. Ich bin doch nur ein Sklavenkind." sagte sie.
"Das ist nicht wichtig. Dich hätten sie gewollt. Es mag höchstens sein,
daß sie dich nicht hätten bekommen können - aus politischen Gründen. Aber Leute
wie meinen Vater oder deinen Herrn wollen sie nicht. Leider hat der Tempel
nicht genug Macht im Land. Dort stimmt noch, was hier draußen schief läuft.
Aber das wird nicht mehr lange so sein." erklärte ich.
"Warum bist du dir so sicher?" fragte sie.
"Ich kannte eine Tempelpriesterin. Sie war eine Tochter meines Vaters mit
seiner richtigen Frau. - Mit Sklavinnen hatte er viele Kinder und die meisten
hat er bei den Versuchen umgebracht, doch diese Tochter wurde in den Tempel
aufgenommen. Eines Tages kam sie wieder zu Besuch nach Hause. Ich habe mich in
ihr Zimmer geschlichen und viel mit mir geredet. Sie hat mir einiges
beigebracht und schließlich habe ich sie gefragt, ob sie erreichen könnte, daß man
mich auch in den Tempel aufnimmt."
"Und. Was ist passiert?"
"Sie hat mich für den Tempel gefordert und mein Vater hat mich an
demselben Tag verkauft."
"Das war sicher schlimm für dich?"
"Nein. Mein größtes Problem war für mich damit gelöst. Ich war aus den
Fängen meines Vaters heraus. Und ich kam zu einem Bauern. Ich war glücklich
dort, denn er war wie ein Freund zu mir. Ich habe geheiratet und zwei Kinder
bekommen. Aber der Hof war zu klein um zwei Familien zu ernähren. Die letzte
Ernte war nicht so gut, wie die beiden davor und er hatte Schulden. Und da er
nicht wollte, daß er selbst durch den Steuereintreiber in die Sklaverei
verkauft würde, hat er mich verkauft."
"Warum bist du nicht geflohen?"
"Ich habe Kinder, die noch zu jung für eine solche Flucht sind. Wenn er
für mich kein Geld bekommen hätte, hätte er sie verkaufen müssen, um die
Schulden zu bezahlen. So weiß ich, daß es ihnen gut geht." erklärte ich.
Jetzt wo wir alleine waren, zeigte ich ihr was ich konnte. Ich versuchte ihr so
viel von dem, was ich im Laufe meines Lebens über Magie gelernt hatte zu
vermitteln wie möglich. Doch jedesmal, wenn sie mich fragte, sagte ich ihr:
"Nein, es wird nicht reichen."
Wir schliefen mehrfach miteinander, erzählten und von unserem bisherigen Leben
und ich lernte sie lieben. Sie schickte mich aber immer ziemlich schnell weg,
wenn ich wieder mit meinen Warnungen begann. Es schien ihr wichtig zu sein, daß
sie mich überzeugen konnte. Aber das würde ihr niemals gelingen. Sie war im
Unrecht. Das wußte ich.
"Morgen ist es so weit."
"Du machst einen Fehler. Du wirst sterben. Wir beiden werden sterben, wenn
du dieses Ritual machst." sagte ich wieder.
"Geh. Und morgen ist das Ritual."
"Nimua. Ich möchte nur, daß du eines weißt. Ganz gleich was morgen
geschieht. Ich werde dir verzeihen. Und ich werde dich immer lieben, ganz
gleich, wie es ausgeht." sagte ich ernst.
Es würde schief gehen. Ich sah es jeden Tag voraus. Jeden Tag sah ich das
Feuer, das mich verbrennen würde. Doch ich konnte dem nicht entfliehen. Und ich
wollte ihr einen Trost mitgeben, etwas, woran sie sich in den kommenden
Selbstvorwürfen würde festhalten können. Denn sie würde überleben und
hingerichtet werden. Und im Grunde ihres Herzens war sie ein guter Mensch.
Ich wurde von dem Stummen zum
Ritual geführt. Ich war schön geschmückt, mit Kleidern wie sie sonst nur die
Priester trugen und trat ihr frisch gebadet entgegen. Ich hatte meine
Wahrnehmung vollständig auf die Gegenwart zentriert, denn es würde schwer genug
sein, die Erfahrungen in Echtzeit durchzustehen. Da mußte ich nicht noch
dreimal vorneweg erleben. Ihre Energie war stärker, beherrschter also sonst und
unmenschlich - nicht im negativen Sinne aber eben nicht mehr wie ein Mensch
sondern viel älter, viel stärker, anders. Bodenlos unendlich. Ich sah sie an,
kniete nieder und küßte ihre Vagina. Sie segnete mich und die Energie floß
stark und kontrolliert, wie es sein sollte. Die reinste Seeligkeit. Sie
entkleidete mich, führte mich zu ihrem Bett, liebkoste mich. Ich erschauerte
unter der starken kontrollierten Energie. Nach und nach entfachte sie meine
sexuelle Erregung, ließ sie Wogen der Leidenschaft immer höher schlagen. Dann
küßte sie mich auf den Mund und es explodierte.
"Ich habe doch recht gehabt!" war mein erster Gedanke, seltsam klar.
Dann spürte ich wie sie mich in seltsam tierischen Bewegungen nahm, wie das
Feuer durch meine Energiebahnen raste und sie versengte, verbrannte. Ich spürte
wie mein Körper sich verkrampfte und fürchterliche Schmerzen litt, nahm aber
selber Abstand. Und die Schmerzen wurden so heftig, daß sie mich in den Körper
zurückzwangen, mein ganzes Denken beherrschten. Ich versuchte meine nutzlose
Panik unter Kontrolle zu bekommen. - Es gab absolut nichts, was ich noch hätte
tun können. Weder für mich, noch für sie.
Ich mußte Wochen durchstehen, in
denen mein Körper in Krämpfen wand. Nachts konnte ich vor Schmerzen nicht
schlafen. Der Stumme hielt jede Nacht an meinem Bett Wache, streichelte meine
Haare, versuchte vergeblich eine bequeme Stellung für meinen verkrampften Körper
zu finden. Er versuchte mir etwas zu Trinken einzuflößen, doch vergeblich. Das
Nervensystem war so verbrannt, daß der Schluckreflex nicht mehr funktionierte.
Er lagerte mich mit dem Kopf nach unten, damit ich nicht an meiner eigenen
Zunge erstickte. Statt dessen lief dann Salzsäure aus dem Magen durch die
Speiseröhre und zerfraß die Schleimhaut meines Mundes. Nicht, daß es einen
wesentlichen Unterschied gemacht hätte. Mein ganzer Körper war ein einziger
Schmerz. Jeder Krampf begann mit etwas, das sich ähnlich anfühlte wie ein
Stromschlag, nur viel schmerzhafter. Dann zuckte das entsprechende Körperteil
zusammen und die Muskeln verkrampften sich schmerzhaft.
Nimua hatte das Ritual äußerlich
unverletzt überstanden - aber nur äußerlich. Die Energie hatte die höheren
Nervenzentren ihres Körpers ausgebrannt und zerstört, so daß ihr die höheren
Sinne nicht mehr zugänglich waren, die sie seit ihrer Kindheit gehabt hatte.
Sie fühlte sich wie tot. Und sie würde nie ein Kind bekommen können, denn auch
ihre sexuellen Nervenzentren waren ausgebrannt und gerade noch lebendig genug,
um für sie eine Quelle ständiger Schmerzen zu sein. Und sie hat lange von
Schuldgefühlen gequält an meinem Bett gesessen und wünschte sich, mir irgendwie
helfen zu können. Natürlich vergebens. Nicht einmal der Tempel besaß noch das
Wissen, solche Nervenverletzungen zu heilen. Sie war nur ein unwissendes Kind
gewesen, das nicht gewußt hatte, was man mit ihr spielte - und doch gab sie
sich die Schuld an allem.
Da ergriff der Stumme - der als einziger
hinaus ins Freie konnte die Initiative und ging in den Tempel. Dort konnten sie
seine Gedanken lesen und kamen auf seine Bitte zu uns ins Haus. Nimua erzählte
ihnen rückhaltlos alles, ohne sich selbst irgendwie zu schonen. Dann kam ein
Mann zu mir und ich nahm mit seinen Gedanken Verbindung auf - er war
überrascht, daß ich das in dem Zustand konnte, doch ich klärte ihn darüber auf,
daß Telepathie nicht immer körpergebunden ist. Die wahrhaft alten Seelen
beherrschen sie unabhängig von körperlichen Gegebenheiten. Dann übertrug ich
ihm meine vollständigen Erinnerungen sowohl an meinen Vater als auch an meine
Erlebnisse mit dem Herrn dieses Hauses.
Nachher war ihm schlecht. Er ging
hinaus und kotzte in den Nachttopf. Und ich spürte sein verzweifeltes Gefühl
der Hilflosigkeit, den Wunsch, irgend etwas tun zu können, um verhindern zu
können was hier geschah. Und daß es nicht möglich war. Daß der Tempel machtlos
war gegen die Mächtigen in der Politik, die zu Mördern am eigenen Volk geworden
waren.
Nach und nach zerstörten die
Fehlfunktionen, die die falschen Befehle des zerstörten Nervensystems
hervorriefen meinen Körper und nach drei Monaten starb ich endlich, ohne in der
gesamten Zeit auch nur einmal zu einer gezielten Bewegung fähig gewesen zu
sein. Ich war heilfroh, endlich tot zu sein und den zerstörten Körper verlassen
zu können, von dem ich monatelang nichts als Schmerz gespürt hatte.
Der Herr hat den Stummen zu Tode foltern lassen. Auch Nimua wurde zu Tode
gefoltert, was ihr wahrscheinlich mehr Schmerzen erspart hat, als es ihr
zufügte. Als sie starben, wartete ich auf sie und tröstete sie. Der Tempel aber
wurde zerstört - und diejenigen, die nicht rechtzeitig fliehen konnten wurden
ebenfalls zu Tode gefoltert, denn sie waren nicht bereit, ihre Geheimnisse an
die Mächtigen der Politik zu verraten.
Von da ab ging es mit Atlantis stetig bergab.
Für einen Menschen hatte ich einen großen privaten Bereich. Eine kleine Kammer
mit einem Bett und sogar einem Bücherregal. Sie grenzte direkt an das
Arbeitzimmer des Gottes an, dessen persönlicher Diener ich war. Ich betrachtete
meinen Herrn und Gott als Freund. Er hat sich immer, so weit ihm das möglich
war, für mich eingesetzt.
Vielleicht sollte ich zuerst
erklären, was Götter sind. Sie unterscheiden sich kaum von uns Menschen. Ihre
Haut ist hell, ihr Haar glatt und blond, sie sind hochgewachsen und es gibt
viele Mischlingskinder. Sie halten sich für intelligenter als Menschen, was ich
nicht glaube. Meine Mutter gehörte der niedrigsten Menschenrasse an, klein,
dunkel, ohne jeden Einschlag göttlichen Blutes. Dennoch war sie die gebildetste
Frau, die ich kenne. Außerdem halten sich die Götter viel auf ihre Fähigkeiten
im Gedankenlesen zugute. Man nennt das die Gaben der Götter und die meisten
Menschen sind dessen nicht fähig. Ich besitze die Gaben der Götter. Ich kann
mich verständlich machen, obwohl ich stumm bin. Die Tochter der Köchin, ein
Menschenkind niedriger Rasse, lernte Gedanken
lesen, um mich verstehen zu können. Die Götter haben uns Menschen durch
Gentechnik künstlich erschaffen.
An jenem Tage hatte ich einige
Bücher durchgesehen, die von der Universitätsbibliothek neu bestellt worden
waren. Das wichtigste las ich sofort durch und nahm es dann mit zu meinem
Herrn, da der sich sicherlich auch dafür interessieren würde. Als ich ins
Arbeitszimmer kam, spürte ich, daß etwas nicht stimmte. Kaver ein anderer Gott
stand neben ihm.
"Torion, du hast Sorgen?" dachte ich ihm zu.
Mein Herr sah mich an.
"Heute ist meine medizinische Untersuchung." antwortete er und war
zutiefst beunruhigt.
Ich wunderte mich. Normalerweise haben nur Menschen Grund zur Angst vor
Untersuchungen. Man kann nie wissen, ob die Götter eine Operation planen.
Beispielsweise könnten sie die Nerven durchtrennen, die zum Sprechen nötig
sind.
"Medizinische Untersuchungen finden regelmäßig jedes halbe Jahr
statt." stellte ich fest.
"Man könnte wegen gestern einen genetischen Mangel entdecken."
erklärte Torion.
Er hatte sich am Vortag mit dem Leiter der Universität angelegt, um einen
Menschenversuch zu verhindern. Ich fragte mich, ob Torion eine Erbkrankheit
hatte, die bisher vertuscht worden war, oder ob er fürchtete, daß das Ärzteteam
eine erfinden würde. Ich hielt beides für denkbar. Die Ärzte waren wie Torion
auch Professoren der Universität, in der wir lebten. Ich hätte nicht gedacht,
daß sie so weit gehen würden, einen der ihren aus Willkür zum Menschen zu
degradieren. Wenn sie das taten, gab es allerdings keine Möglichkeit, dagegen
anzugehen. Es gibt keinen schlimmeren Platz für Menschen als die Universität.
Torion verbarg seine Angst hinter Stolz.
"Karion, gleich kommen einige
Studenten, denen ich versprochen habe, daß ich ihnen Bücher fürs Studium
raussuchen würde. Kannst du dich darum kümmern?" wechselte er das Thema.
Ich nickte. Dann verließ er mit dem anderen Gott den Raum.
Ich blieb zurück und hatte Angst.
Ich war überzeugt, daß die Götter mich zu Tode foltern würden.
Selbstverständlich im Dienste der Wissenschaft. Ich machte Torion keine
Vorwürfe. An seiner Stelle hätte ich genauso gehandelt. Unter den Professoren
war Torion der einzige, mit dem ich auskommen konnte. Die Ausgänge der
Universität sind so scharf bewacht, daß ein Entkommen nahezu unmöglich ist.
Zumal es in diesem Land keine freien Menschen gab und ich nicht das Wissen
hatte, um in der Wildnis allein zu überleben. Eine hoffnungslose Situation.
Es klopfte. Ich öffnete. Eine
Studentin stand vor der Tür. Ich kannte sie als eine der Anständigen.
"Kannst du mir zeigen, wo dein Herr ist?" fragte sie.
"Er hat mich gebeten, für dich die Bücher herauszusuchen, da er nicht dazu
gekommen ist. Laß uns in die Bibliothek gehen. Was brauchst du?"
Die Studentin sah mich überrascht an. Sie hatte wohl nicht gewußt, daß ich die
Gaben der Götter habe. Torion hält das nicht geheim. Aber Götter legen, was
dieses Thema angeht, bei Menschen oft eine bemerkenswerte Blindheit an den Tag.
Meine Stummheit dagegen war allgemein bekannt.
"Woran erkennst du das richtige Buch?" fragte sie staunend.
Offensichtlich glaubte sie, daß ich nicht lesen könne.
"Ganz einfach, ich lese den Buchrücken durch." antwortete ich
sarkastisch.
Schnell schrieb ich einen Zettel für die anderen Studenten, daß sie wegen der
Bücher in die Bibliothek kommen sollten und ging los.
"Ich brauche ein Lehrbuch über
Anatomie."
Ich suchte es der Studentin heraus. Das beste mir bekannte Anatomiebuch stammte
von einem Gott, der aus Prinzip nur Leichen von Menschen seziert hat, die eines
natürlichen Todes gestorben waren. Ich erzählte das jedem, der bereit war, mir
zuzuhören und hoffte, daß es einen Teil dazu beitragen mochte, daß die
Menschenversuche irgendwann abgeschafft würden. Meiner Ansicht nach war der
einzige Erfolg dieser grausamen Praktiken, daß den Medizinstudenten jeder Rest
an Menschlichkeit ausgetrieben wurde, die sie sich in ihrer Kindheit noch
bewahrt haben mochten. Ich verwickelte die Studentin in eine Diskussion über
den Unsinn von Menschenversuchen. Sie war mir sympathisch.
Wir wurden durch einen Studenten
unterbrochen, der den Strafer benutzte, um mich auf ihn aufmerksam zu machen,
wie andere Leute einen antippen oder ansprechen. Das ist ein kleines,
elektronisches Gerät, das jedes Menschenkind unterm Schulterblatt eingepflanzt
bekommt, wenn es zehn Jahre alt ist. Wenn ein Strafer durch jene ebenfalls sehr
kleinen Sender erregt wird, die Götter in ihren Fingern eingepflanzt bekommen,
sobald sie mit einundzwanzig auf die Universität kommen, schickt er eine Welle
unerträglicher Schmerzen durch den Körper. Wenn ich an diesen Strafer auch nur
denke, werde ich wütend! Wie kommen die Götter dazu, Menschen, die sich auch
ohne jeden Zwang bemühen würden, ihre Arbeit anständig zu erledigen, so ein
Ding einzupflanzen? Ich sprach in aller Ruhe den Satz zuende und tat als hätte
ich nichts bemerkt, bis er mich heftig anstieß und mir sagte, daß er mit mir
reden wolle. Na also! Er kann auch sprechen.
"Womit kann ich dir
dienen?" fragte ich höflich.
"Gib mir die Bücher, die dein Herr für mich herausgesucht hat."
befahl er wütend, vermutlich weil ich keine Angst vor ihm hatte.
"Sag mir, was du brauchst. Mein Herr hat mich gebeten, die Bücher selbst
herauszusuchen." antwortete ich ruhig.
"Wie bitte? Ich soll mir von einem Menschen Bücher empfehlen lassen?"
fuhr er auf.
"Selbstverständlich. Da ich genug Ahnung habe, um meinem Herrn, der
Professor ist, Bücher empfehlen zu können, kann ich auch einem Studenten das
richtige Lehrbuch auswählen." antwortete ich.
Ich lächelte über den unangebrachten Hochmut des jungen Gottes.
"Um Bücher empfehlen zu können, muß man sie nicht nur kennen, man muß sie
auch verstehen." belehrte der junge Gott mich herablassend.
"Sehr richtig. Deshalb betraut man mit dieser Aufgabe auch keine Studenten.
Was für Bücher wolltest du noch einmal?" konterte ich.
"Über die Grundlagen der Operationstechnik. Und wehe das Buch ist nicht
gut. Dann wirst du etwas erleben." antwortete der Bursche.
Ich suchte ihm ein gutes Buch heraus.
"Wahrscheinlich wird er mich später bestrafen, weil er sich ärgert, daß
ich ihm eine gute Empfehlung gegeben habe." dachte ich mir.
Ich wandte mich an einen zweiten
Studenten, der still daneben gestanden hatte, fragte ihn, was er brauchte und
gab es ihm. Er betrachtete mich so erstaunt, als wäre auch ihm jetzt erst
klargeworden, daß ich die Gaben der Götter habe.
Torion war zur Essenszeit noch
nicht zurück. Eine Routineuntersuchung dauert nicht so lange. In sorgenvolle
Gedanken versunken, ging ich zur Kantine und versuchte den Studenten nicht in
die Quere zu kommen. Die Köchin sagte ratlos:
"Dein Gott hat nicht gesagt, was du essen willst. Was soll ich dir denn
geben?"
Ich lächelte und nickte ihr grüßend zu. Ich hatte keinen Nerv, es jetzt mit
Zeichensprache zu versuchen. Also nahm ich mit ihrer Tochter Verbindung auf.
"Violla - kannst du mal in die Kantine kommen und deiner Mutter sagen, daß
sie mir das Menu 2 geben soll?"
Sie sprang auf, stürmte aus der Küche zu mir hinaus und sprang in meine
ausgebreiteten Arme. Lachend schwang ich das kleine Mädchen herum. Wann immer
ich Zeit dazu hatte, habe ich mich um sie gekümmert. Ich habe ihr die
Gedankensprache beigebracht, lesen und schreiben. Auch mein Herr hat sich, wohl
eher mir zuliebe, ein wenig um sie gekümmert. Beim Essen unterhielt ich mich
liebevoll mit dem kleinen Mädchen. Eine kurze Zeit, in der ich meine Ängste vor
der Zukunft vergaß.
Als ich schließlich in das Zimmer meines Herrn zurückkehrte, wurde ich
dort von zwei Studenten erwartet.
"Komm mit." befahlen sie mir.
"Was habt ihr mit mir vor?" fragte ich.
Mir gingen jetzt schon mehrere Möglichkeiten durch den Kopf - eine schlimmer
als die andere. Keine Wahrheit konnte so schlimm sein wie die Ausgeburten
meiner lebhaften Fantasie.
"Nur eine Untersuchung." antwortete der Student.
"Du weißt, daß das nicht stimmt. Was habt ihr mit mir vor?" fragte
ich wieder.
"Ich kann dich auch zwingen." drohte der Student, ohne auf meine
drängende Frage einzugehen.
Er hatte recht. Was sie auch
vorhatten, ich konnte nichts dagegen unternehmen. Und er war nicht einmal
bereit mir die Wahrheit zu sagen. Ich senkte den Kopf und folgte ihm in den
Operationsraum. Gehorsam zog ich mich aus, legte mich auf die Liege und ließ
zu, daß sie mich dort anschnallten. Jemand schaltete den Betäubungsstrahler ein
und ich verlor das Bewußtsein.<P< zusammen.
"Nichts wie weg hier!" dachte ich unwillkürlich und die Riemen
schnitten in meine Arme und Beine ein.
Dann unterdrückte ich diesen unsinnigen Impuls und kämpfte mit meiner
Willenskraft gegen den Schmerz an, drängte ihn aus dem Zentrum meiner
Aufmerksamkeit. Ich hätte nie gedacht, daß ein Mensch solche Schmerzen haben
kann. Sie kamen aus der Gegend meines Herzens. Die Götter hatten das Herz
freigelegt und mir dort eine Glasscheibe in den Brustkorb eingesetzt, so daß
man es bei der Arbeit beobachten konnte. Bei jedem Atemzug und bei jedem
Herzschlag scheuerte diese Scheibe an den Rippen und zog schmerzhaft an
Rippenfell und Herzbeutel, die beide reichlich mit Nerven versorgt sind.
Gewaltsam entspannte ich mich und sah mich um. Ich lag immer noch angeschnallt
auf der Operationsliege. Um mich herum standen Ärzte und Studenten und sahen
mich an. Nach und nach verließen sie den Raum.
Nur einer blieb zurück. Forschend
sah er mich an und stellte den Gedankenabschirmer aus, als er meinen
beherrschten Gesichtsausdruck sah.
"Du kannst mich ruhig losschnallen. Ich mache keine Dummheiten." dachte ich ihm zu.
Zögernd löste er die Riemen. Ich setzte mich vorsichtig hin. Vor Schmerzen
wurde es mir schwarz vor Augen. Als ich mich wieder gefangen hatte, meinte der
Student: "Du bist ungewöhnlich tapfer.
Die meisten Menschen brauchen mehr als einen Tag, bis sie sich nach der
Operation wieder beruhigen."
"Das wundert mich nicht. Weißt du, was das für Schmerzen sind?"
fragte ich bitter und zornig.
"Nein. Die meisten Menschen im Anatomiesaal tragen doch einen
Abschirmer." entgegnete er besänftigend.
"Willst du es wissen?" fragte ich herausfordernd.
Ich wollte ihn dazu bringen, daß er sich telepathisch in meine Schmerzen
einfühlte, damit er lernte, Menschen besser zu verstehen.
"Nein. Ihr Menschen seid nun einmal dazu da, der höheren Rasse zu
dienen." entgegnete er bestimmt.
Es hat keinen Sinn jemanden eine solche Erfahrung aufzuzwingen. Doch dem
zweiten mußte ich widersprechen:
"Aber nicht so! Ein Holofilm würde denselben Zweck erfüllen. Er könnte bei
irgendeiner sowieso notwendigen Operation unter Betäubung gedreht werden. Statt
dessen foltert ihr für diesen Zweck alle zwei Wochen einen Menschen zu
Tode."
"Was kann ich schon daran ändern?" fragte der junge Gott mich ratlos.
"Jetzt wahrscheinlich nichts. Vielleicht bekommst du als Erwachsener eine
Gelegenheit dazu. Wenn du diesen Vorschlag öfters anderen machst - er bedeutet
auch eine Kostenersparnis - wird er vielleicht aufgegriffen", erklärte ich
und fragte,
"Weißt du vielleicht, was mit
Torion geschehen ist?"
"Er wurde degradiert. Er hatte eine Erbkrankheit. Sie haben ihn als
Bibliothekar eingeteilt."
"Kannst du mich in die Bibliothek begleiten? Ich möchte mit ihm
reden." bat ich. "Schaffst du das überhaupt?" fragte er mich.
"Es wird anstrengend." antwortete ich.
Er spürte, daß mir der kurze Weg wie eine kaum zu bewältigende Aufgabe vorkam -
und meine Entschlossenheit dennoch auf eigenen Füßen dort anzukommen. Ich zog
mich wieder an.
"Also gut." sagte er,
öffnete die Tür.
Das Aufstehen beantwortete mein Körper mit einer solchen Welle von Schmerzen,
daß ich beinahe umgefallen wäre. Erst nach einigen Sekunden wagte ich
loszugehen. Schon nach wenigen Schritten zwangen mich die Schmerzen, erneut
innezuhalten. Mein ganzer Körper überzog sich mit einer dünnen Schweißschicht.
Ich lehnte mich keuchend an den Türrahmen. Der Student drehte sich besorgt um.
"Es geht schon." dachte ich ihm zu und ging diesmal langsamer, damit
Herz und Lunge nicht so heftig arbeiten mußten.
Im Schneckentempo bewegte ich mich fort, meine Wahrnehmung verengte sich auf
den nächsten Schritt, auf die Kacheln des Ganges. Ich sah sie mir so sorgfältig
an, als hinge mein Leben davon ab, daß ich am nächsten Morgen ihr Aussehen
beschreiben kann. Sie lenkten mich von den Schmerzen ab. So überraschte es mich
vollkommen, als Torion mich begrüßte. Ich stand einige Sekunden fassungslos da,
aus meiner innigen Betrachtung über Fliesen gerissen, zurück in eine
schmerzerfüllte Welt. Ich starrte ihn einfach nur an, bis es mir endlich
gelungen war, mich wieder in der Realität zurechtzufinden.
"Karion, du siehst schlecht aus. Wie ist es dir ergangen?" fragte
Torion mich besorgt.
Wortlos knöpfte ich mein Hemd auf. Torion reagierte entsetzt und bekam ein
schlechtes Gewissen.
"Indem ich dich hier herholte, wollte ich dich schützen." sagte er
niedergeschlagen.
"Ich weiß. Ich hatte von Anfang an solche Befürchtungen." antwortete
ich, sandte ihm mit den Worten Trost.
"Warum hast du nichts gesagt? Ich wollte dich doch nicht zwingen!"
fragte er fassungslos.
"Für's Dableiben hätte ich andere Befürchtungen gehabt." antwortete
ich.
"Aber sie bringen dich um!" protestierte er.
"Ja. Ganz langsam und qualvoll. Und sie haben schon damit angefangen.
"Weißt du, Torion. Manche Dinge sind Schicksal. Sie werden einem angetan
und man hat kein Mittel in der Hand, sich dagegen zu wehren. Man muß sich damit
abfinden - zwangsläufig - und versuchen, so gut wie möglich damit
fertigzuwerden. Alles andere würde Kräfte kosten, die man nicht übrig hat, wenn
man in seinem Leben irgendetwas Gutes erreichen will. Torion, an deiner Stelle
hätte ich genauso gehandelt." dachte ich sanft.
"Auch wenn es das Leben deines Freundes kostet?" fragte er zurück und
seine Seele war voll Schmerz.
"Torion, das ist nicht deine Verantwortung. Du kannst andere Götter nicht
zwingen, hier besser mit Menschen umgehen. Du kannst nicht mehr tun, als mit
ihnen zu reden und selber vorbildlich zu handeln."
"Welche Krankheit haben sie
bei dir diagnostiziert?" fragte ich neugierig.
Torion nannte einen Namen in der Sprache der Götter vom hohen Himmel, die über
die normalen Götter herrschen, der übersetzt hieß: "den Menschen zu nahe
kommend"
"Sie waren also so zuvorkommend, für dich eigens eine neue Erbkrankheit zu
erfinden!" kommentierte ich schmunzelnd.
Torion lachte endlich.
"Ein genialer Schachzug. Niemand wird zugeben, daß er diese Krankheit
nicht kennt. Niemand wird wagen, den Ratschluß unserer besten Fachleute in
Frage zu stellen. Eine Diagnose einer echten Krankheit mit bekannten Symptomen,
hätte man dagegen hieb- und stichfest widerlegen können. Nur wir beiden sind
selbstbewußt genug, uns absolut sicher zu sein, daß es diese Krankheit nicht
gibt." Ich lachte.
"Daß du noch lachen kannst!" meinte Torion ungläubig.
"Wenn ich das nicht könnte, wäre ich längst an Verzweiflung
gestorben." entgegnete ich.
Torion überdachte mein bisheriges Leben und mußte dem zustimmen.
Der Rückweg und die darauffolgende
Nacht waren in einen Nebel von Schmerzen getaucht.
Am nächsten Morgen mußte ich in die
Halle der Anatomie. Ich bestand darauf, auf eigenen Füßen dorthin zugehen.
Etwas anderes hätte ich mit meinem Gefühl für meine Menschenwürde nicht
vereinbaren können.
Beim Betreten des Anatomiesaales
begrüßte ich jeden der Menschen mit einem Lächeln und Nicken, die ebenfalls
eine Sichtscheibe im Körper trugen, damit die jungen, göttlichen Studenten
unsere inneren Organe bei der Arbeit beobachten und zeichnen konnten. Das hatte
ich mir zum Grundsatz gemacht, seit ich dieses Gruselkabinett der Wissenschaft
vor Jahren das erste mal betreten hatte. Andere Götter und Menschen zogen es
vor, diesen Menschen nicht in die schmerzverzerrten Gesichter zu schauen. Sie
hätten es wohl nicht ertragen, sich in deren schreckliche Situation zu
versetzen: ein Leben als Schautafeln, voller Schmerzen und ohne die
Möglichkeit, sich anderen mitzueilen. Sie alle waren bei der Operation ihrer
Stimme beraubt worden, damit sie nicht vor Schmerzen schreien oder wimmern
konnten. Ihr Energiefeld war durch einen Gedankenabschirmer von der Umwelt
abgeschnitten. Selbst wenn sie die Gedankensprache beherrschten, hätte sie
niemand hören können.
Gehorsam stieg ich auf einen der Zeichentische und ließ zu, daß sie mich
dort mit den in meine Knochen eingelassenen Schrauben festschraubten. Da ich
sehr beherrscht war, ließ der Student, der mich hierher begleitet hatte, den Gedankenabschirmer
aus.
Es wäre die Hölle gewesen, nur an
meine Schmerzen und meine düstere Zukunft zu denken. Also sah ich mich um,
suchte nach Ablenkung. Eine Studentin kam auf mich zu, setzte sich vor meinen
Tisch und begann mein Herz zu zeichnen. Ich beobachtete sie bei der Arbeit.
Nach einer Weile dachte ich ihr zu:
"Bist du dir sicher, daß du das richtig gezeichnet hast? Bei allen
anatomischen Zeichnungen, die ich bisher gesehen haben laufen die Adern
so:" ich überlagerte ihre Zeichnung in ihrem Geist durch
Gedankenübertragung mit dem Bild, was ich für richtig hielt.
Sie sah mich an, als hätte plötzlich eine Schnecke zu sprechen begonnen. Ich
ließ ihr Zeit sich wieder zu fassen. Statt einer echten Antwort, fing sie laut
an, über die besserwisserischen Menschen zu schimpfen, die keine Ahnung hätten.
"Geh hin und vergleiche deine Zeichnung mit den Anatomiebüchern der
Bibliothek. Du wirst sehen, daß ich Recht habe." Ich nannte ihr einige
Stellen in verschiedenen Büchern.
"Aber du trägst ja gar keinen Gedankenabschirmer!"
"So ist es."
"Woher weißt du das denn alles?"
"Ich habe jahrelang Medizinprofessoren Ratschläge erteilt, welche der neu
erschienenen Bücher empfehlenswert sind. Da lernt man solche Dinge."
"Aber Menschen sind doch
dumm..." meinte sie ungläubig.
"Ja. Ungefähr so dumm wie die Götter,
die so hochmütig auf sie herabsehen." konterte ich.
"Was fällt dir eigentlich ein!"
Sie schäumte vor Wut. Das Mädchen konnte kaum fassen, daß ich es wagte, so
etwas auch nur zu denken.
"Weißt du, irgendwann kommt der Punkt, wo sich die Rücksicht auf die
Regeln der Höflichkeit nicht mehr lohnt. Viel schlimmer kann es für mich ja
nicht mehr kommen, oder?"
Sie sah mich wieder eine Weile sprachlos an. Ich erwiderte ruhig und offen
ihren Blick.
"Ja, du hast recht, es sei denn..." sie brach ab.
Ich ergänzte ihren Gedanken ruhig:
"Es sei denn in den Versuchlaboren. Die sind mir sowieso sicher. Alle
Menschen hier, kommen nach spätestens zwei Wochen in die Versuchslabore, wenn
die Sichtscheibe undurchsichtig geworden ist."
Sie nickte und fragte:
"Woher weißt du das?"
"Es gibt in der Bibliothek einige Bücher, in denen man das lesen
kann."
"Wie kannst du mit diesem Wissen weiterleben?"
"Für mich ist nicht so
wichtig, was andere tun, selbst wenn sie es mir antun. Solange ich selber
anständig bleibe, und etwas tue, was ich für sinnvoll halte, ist für mich das
Leben wert, gelebt zu werden."
"Du meinst es reicht dir, wenn wir dir eine sinnvolle Aufgabe geben?"
"Nein. Das wäre eine Sklavenmentalität. Meine Aufgaben wähle ich mir
selbst. Jetzt arbeite ich beispielsweise daran, euch Studenten bewußt zu
machen, wie grausam, unnötig und verbrecherisch das ist, was hier im
Anatomiesaal mit Menschen gemacht wird. Das ich hier für dich als Zeichenobjekt
zur Verfügung stehe, ist in meinen Augen lediglich ein Unrecht, gegen das ich
mich nicht wehren kann." erklärte ich.
Das stellte ihr Weltbild vollends auf den Kopf.
"Wenn du Fragen zum Lehrstoff
hast, kannst du mich in dem Zimmer besuchen, wo ich gefangen bin. Ich helfe dir
gerne weiter." lud ich sie ein.
Sie ging weiter zu einem anderen Menschen. Sie mußte noch einiges zeichnen an
diesem Tag. Bis zum Ende der Anatomiestunde hatte ich noch zwei weitere junge
Götter zu mir eingeladen. Die drei kamen am nächsten Morgen tatsächlich und
löcherten mich mit Fragen zu ihrem Studium. Am Tag darauf waren es schon zehn.
Mein Unterricht hatte ihnen so gut gefallen, daß sie ihre Freunde mitbrachten.
Zwei Wochen später war diese Schar
auf zwanzig Studenten angewachsen. Ich ging mit ihnen in die Bibliothek und bat
Torion, uns einige Bücher herauszusuchen. Als er mit vollen Armen zurückkehrte,
fragte er:
"Sag mal Karion, wie schaffst du es, daß die normalen Regeln für dich nie
zu gelten scheinen? Du bewegst dich frei in der gesamten Bibliothek, hast immer
einen Schwarm Studenten um dich und selbst die Sichtscheibe in deinem Herzen
ist noch klar."
"Ich weiß nicht. Ich lebe einfach." antwortete ich.
"Das ist unser Tutor. Wir können ihn doch nicht wie einem normalen
Menschen behandeln." sagte einer der Studenten.
"Bevor ich degradiert wurde, war ich Professor. Doch hat keiner meiner
Tutanten mich nachher noch einmal als Tutor bezeichnet." entgegnete
Torion.
"Nichts gegen dich, Torion. Du warst ein guter Professor und anständiger
als die meisten, doch Karion ist anders. Er läßt sich durch nichts
unterkriegen, nie entmutigen. Er ist nicht nur klug, er ist brillant und dabei
gar nicht so hochmütig, wie die anderen Professoren. Er würde niemanden etwas
Böses tun. Doch er hat den Mut sich mit jedem anzulegen." erklärte einer
der Studenten.
"Ihr habt recht. Vor Jahren wurde beschlossen, die Bedarfsplanung in
einigen Landwirtschaftsbetrieben Menschen zu überlassen. Ich dachte mir, daß
das nicht funktionieren kann, da sie dort auf einen Posten gesetzt wurden, wo
sie Göttern Befehle erteilen mußten, aber nicht die Macht in die Hand bekamen,
sie auch durchzusetzen. In vier der fünf Betriebe funktionierte es tatsächlich
nicht. Im fünften war Karion. Er hat den gesamten Betrieb nach seinen
Vorstellungen umstrukturiert, so daß dort heute noch wesentlich mehr geleistet
wird als in jedem anderen Betrieb des Landes. Ich weiß nicht, wie er es
geschafft hat, sich durchzusetzen, doch zu Strafe wurde er schließlich seiner
Stimme beraubt." erzählte Torion.
Es ist ein seltsames Gefühl, so gelobt zu werden. Ich hatte einfach nur getan,
was ich für notwendig hielt. Hätte ich zusehen sollen, wie ein Gott Menschen foltert,
statt sie ihre Arbeit tun zu lassen? Der Mann mußte auf einen Posten, wo er
keine Macht über Menschen hat. Meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dauerte
allerdings eine Weile. Einigen Göttern schien meine bloße Existenz Grund genug
zu sein, mich so lange mit dem Strafer zu quälen, bis ich nicht mehr aufstehen
konnte. Andere haben mich dagegen von Anfang an behandelt wie einen der ihren.
Wäre ich unfähig gewesen, unter diesen unmöglichen Umständen die Aufgabe der
Bedarfsplanung zu erfüllen, hätte ich es zweifellos leichter gehabt. Die
Götter, die die Oberaufsicht über die Landwirtschaft unseres Landes hatten,
konnten mir nicht verzeihen, daß ich es nach und nach jeden einzelnen Gott des
Betriebes, an dem ich arbeitete, dazu brachte, daß er meine Anweisungen
zuverlässig ausführte, da sie sinnvoll waren. Selbst mein direkter Vorgesetzter
hat sich am Ende meist an meine Ratschläge gehalten.
Und dann haben sie mich zur Strafe
meiner Stimme beraubt. Sie haben ausdrücklich gesagt, daß sie mich genau dafür
bestraften, daß ich erfolgreich meine Aufgabe erfüllt hatte. Und ich habe ihnen
gesagt, was ich von diesem Unfug hielt. Geholfen hat mir das selbstverständlich
nicht. Ich empfand das wie ein Todesurteil. Damals brachte meine Freundin auch
meinen Sohn zur Welt. Ich habe ihn nur einmal gesehen. Ich hoffe, es geht ihm
gut. Mein damaliger Vorgesetzter, der keine Möglichkeit gehabt hatte, mich vor
dem Urteil, das über mich gesprochen wurde, zu schützen, hat mir versprochen,
sich um das Kind zu kümmern.
Zu meinem Erstaunen war meine
Glasscheibe nach zwei Wochen noch so klar wie am ersten Tag. Erst nach einem
halben Jahr begann sie langsam trübe zu werden.
"Karion, wir haben einem neuen Menschen eine Sichtscheibe ins Herz
eingesetzt, jetzt befürchten wir, daß sie vor Angst stirbt."
Götter! Ich sah den Arzt an. Offensichtlich hatte er keinen Gedanken daran
verschwendet, daß er mir gerade mein Todesurteil mitteilte. Er hatte nur daran
gedacht, daß es mir auch bei den vorhergehenden Menschen gelungen war, sie zu
beruhigen. Eine mörderische Wut erwachte in mir. Ich beherrschte mich und
folgte ihm schweigend und resigniert. Ich hätte mich um jedes leidende Wesen
gekümmert.
Der Arzt öffnete die Tür des
Operationssaales und ließ mich eintreten. Auf den Operationstisch gefesselt,
mit schmerzverzerrtem Gesicht und vor Entsetzen aufgerissenen Augen lag eine
hübsche, junge Frau. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Die Ärzte hatte die
entsprechenden Nerven durchtrennt. Manche Götter sagen, daß diese Schreie zu
unästhetisch seien. Sie hätten ja Mitleid, aber es sei nötig - wegen der
Wissenschaft und für den Fortschritt der Medizin. Welch eine
Menschenverachtung!
Ich hob den Kopf und sah die Götter
- einen Arzt und mehrere Stundenten - an, die das verbrochen hatten.
"Macht das ihr rauskommt!" dachte ich und legte meinen ganzen Zorn in
die machtvoll ausgestrahlten Gedanken.
Die Götter fuhren erschrocken und erstaunt zurück. Ich ließ mich sonst nie
genug gehen, um anderen meine Wut an den Kopf zu werfen. Bei einigen spürte ich
Mitleid. Seltsamerweise verließen sie alle gehorsam den Raum und schlossen die
Tür hinter sich ab. Ich hatte fest damit gerechnet, daß irgend jemand mich mit
dem Strafer quälen würde. Normalerweise fand sich immer jemand, der sich dazu
nicht zu schade war. Zumal ich diesmal wirklich unverschämt war.
Ich atmete tief durch, entspannte
mich und öffnete meinen Geist weit. Dann entfernte ich das Gerät von der Stirn
der Frau, das ihre Ausstrahlung abschirmte. Eine Welle ihrer Panik und
Schmerzen schlug über mir zusammen. Eisern zwang ich mich zur Ruhe, ließ
Schmerzen, Panik und Zorn ohne Gegenwehr in mich hinein. Ich umhüllte ihren
Geist mit meiner Ruhe, fühlte, wie sie sich zitternd entspannte und an meiner
inneren Stärke anlehnte. Ihr Energiefeld war jetzt so eng mit meinem
verschmolzen, daß selbst ein Mensch meine Gedanken würde hören können. Sanft
löste ich ihre Fesseln und fragte in ihre Gedanken hinein:
"Kannst du es ertragen?"
Mein Mitgefühl konnte sie spüren. Sie sah mich mit großen Augen an und dachte:
"Es tut so weh."
"Ich weiß." dachte ich und zeigte ihr daß ich ebenfalls ein solches
Fenster in der Brust hatte.
Tatsächlich spürte ich auch ihre Schmerzen in vollem Ausmaß. Aber das konnte
sie sich bestimmt nicht vorstellen. Von meinen Schmerzen schirmte ich sie
dagegen ab. Sie hatten, seit ich vor einem halben Jahr aus der Narkose nach der
Operation erwacht war, kaum nachgelassen.
"Ich dachte, du bist ein
Gott" wunderte sie sich.
"Mein Vater hätte mich nur anzuerkennen brauchen. Er steht hoch
genug." antwortete ich sachlich.
Ich hatte als Kind nicht einmal gewußt, daß mein Herr mein Vater war.
Vermutlich hätte ich mir als Gott eben so viele Probleme eingehandelt wie als
Mensch. Die junge Frau lehnte sich an mich. Tränen flossen ihre Wangen
herunter. Sie weinte, doch kein Ton war zu hören.
"Aber du bleibst doch bei mir?" fragte sie flehend.
"Nein." antwortete ich voller Mitleid.
Bei dem Gedanken an meine Zukunft kam mir das Grauen. Ich verdrängte es so gut
wie möglich, um sie nicht auch noch damit zu belasten. Ihre eigenen Probleme
waren beinahe mehr, als sie ertragen konnte.
Ich fragte ernst:
"Willst du wissen, was auf dich zukommt?"
Sie spürte, daß ich ihr die volle, grauenhafte Wahrheit sagen würde und
überlegte, schließlich antwortete sie:
"Ja."
Ich begann zu erklären:
"Die Sichtscheibe dient dazu, daß Studenten dein Herz bei der Arbeit
beobachten können. Ein Film würde denselben Zweck genausogut erfüllen. So eine
Scheibe wird innerhalb weniger Wochen undurchsichtig. Danach wirst du durch
einen anderen ersetzt und in die Versuchslabore geschickt, wo Menschen durch
unsinnige Versuche langsam zu Tode gequält werden. Zumindest wären alle
Versuche, deren Berichte ich gelesen hatte, durch eine einfache Frage genauso
geklärt gewesen. Es wird für dich schlimmer werden, nicht besser und die
Schmerzen lassen nicht wesentlich nach."
"Bist du dir sicher, daß die Versuche wirklich unsinnig sind?" fragte
die junge Frau ungläubig.
"Ja und ich habe mehr Ahnung vom Fach, als die meisten Professoren, die
ich kenne." antwortete ich ernst.
Die junge Frau wunderte sich. Wie die meisten Menschen, hätte sie es nie
gewagt, die Überlegenheit der Götter in Frage zu stellen. Ich weiß nicht, warum
ich anders war. Ich hatte eine so tief verwurzelte Selbstachtung, daß auch ein
ganzes Leben voll Erniedrigung sie nicht hatte ankratzen können. Ich hatte
immer das Gefühl gehabt irgendwie stärker oder älter als die meisten Götter und
Menschen zu sein. Und ich hatte mir dieses Gefühl nie erklären können. Sanft
hielt ich die junge Frau in den Armen, die sich immer noch an meiner Schulter
ausheulte.
"Karion?" leise öffnete sich die Tür und Fjaera
schaute zaghaft herein.
Ich liebte Fjaera. Sie hatte geweint. Um mich, nehme ich an. Sie war die
dunkelhäutigste der Studentinnen und hatte ebensoviel menschliches Blut wie
ich. Doch die Göttin, die ihre Mutter war, hat sie anerkannt. Sie war mir
zuerst aufgefallen, weil sie zu einer Freundin gesagt hatte, daß sie immer
daran denken müsse, wie leicht sie an meiner Stelle hätte landen können.
"Bist du fertig?" fragte sie.
"Nein." antwortete ich schroff und wütend.
Sie war verletzt durch meine harte Reaktion, blieb jedoch ruhig und dachte mir
zu:
"Ich soll dir ausrichten, daß in einer halben Stunde die Anatomie beginnt.
Sara wird durch die Operation noch zu schwach sein. Deshalb mußt du noch einmal
kommen."
Ich nickte. Eine Gnadenfrist. Mir wurde bewußt, daß ich unfair war. Ich nahm
mich zusammen und dachte:
"Tut mir leid, Fjaera. Ich habe dir Unrecht getan. Du trägst keine Schuld
an meinem Schicksal."
"Bist du dir sicher?" fragte sie bitter.
Ich fragte mich überrascht, was dahinterstehen mochte.
"Nein", antwortete ich sanft, "Ich weiß nicht, ob man als Göttin
heranwachsen kann, ohne Schuld auf sich zu laden."
Fjaera zog ihren Geist von mir zurück. Ich spürte ihr quälend schlechtes
Gewissen.
"Ich..." Fjaera schluckte, setzte zwei mal an, bevor sie endlich
herausbrachte, was sie sagen wollte: "Ich war an der Operation beteiligt,
wo wir dir das Sichtfenster eingesetzt hatten. Ich ertrage es nicht, zu sehen,
was ich da angerichtet habe."
Götter! Ich sammelte mich und dachte dann:
"Fjaera. Was immer auch deine Gründe waren, es ist dir verziehen. Ich kann
nicht sagen, ob ich an deiner Stelle vielleicht dasselbe getan hätte. In der
Hoffnung, daß ich einmal Macht haben würde, etwas an dieser Gesellschaft zu
verändern. Bewahre dein gutes Herz, Fjaera. Es werden viele Menschen davon
abhängig sein."
Fjaera weinte leise. Mir wurde bewußt, daß ich nicht mit Fjaera tauschen würde.
Ich war in meinem Leben nie in die Verlegenheit gekommen, eine solche Schuld
auf mich zu laden. Und ich wußte, daß ein schlechtes Gewissen mich mehr quälen
konnte, als alles, was jemand anders mit mir tun konnte.
"Fjaera, ich glaube, wir
müssen los."
Vorsichtig ließ ich die Frau auf den Operationstisch gleiten, die an meiner
Schulter eingeschlafen war. Fjaera holte einige Decken und deckte sie
sorgfältig zu.
"Jemand sollte für sie da sein, wenn sie erwacht." sagte ich.
"Ich werde mich darum kümmern." versprach Fjaera und schloß die Tür
ab.
Dann sagte sie leise zu mir:
"Du kümmerst dich immer nur um andere."
Ich dachte darüber nach erkannte:
"Manchmal ist das einfacher, als sich den eigenen Problemen zu
stellen."
"Hast du Angst?" fragte sie, erstaunt als hätte sie geglaubt, ich
wäre dieses Gefühls nicht fähig.
"Ja." antwortete ich.
"Oh Karion." sagte sie voller Kummer, legte den Arm um mich und
schmiegte sich an mich.
Ich genoß ihre tröstliche Wärme und wich so den Gedanken an die Zukunft aus.
Vielleicht war sie auch in mich verliebt. Wie dem auch sein mochte, es würde
nichts daraus werden. Sie hatte keine Möglichkeit mich zu schützen.
An meinem Tisch angekommen
verabschiedete ich mich mit einer Umarmung von Fjaera. Andere Studenten
spotteten darüber, aber sie kümmerte sich nicht darum. Ich setzte mich auf
meinen Platz vor dem Zeichentisch und ließ es zu, daß die Saalbediensteten mich
dort mit den fest in meinen Knochen eingelassenen Schrauben an das Gestell
schraubten. Sie behandelten uns wie Schautafeln. Ich sah mich um. Die anderen
Menschen sahen so von Schmerzen benebelt aus wie immer.
Nahe der Tür standen meine
Studenten. Studenten suchen sich einen Professor als Tutor, an den sie sich mit
ihren Fragen wenden. Diese Studenten wandten sich an mich. Sie sahen aus, als
hielten sie gerade eine Krisensitzung ab. Das Thema konnte ich mir denken. Ich
griff mit meinen Gedanken hinüber und fragte:
"Was steht ihr so an der Tür herum? Wollt ihr nicht herüberkommen?"
Sie schauten zu mir. Einer fragte:
"Karion, weißt du..." er brach ab, mit dem Gefühl schon zu viel
verraten zu haben.
"Heute kam ein Arzt zu mir und meinte, ich solle mich um eine Frau
kümmern, der sie ein Fenster am Herzen eingesetzt hatten. Das meintest du doch,
oder?"
Ich begleitete die Worte mit mildem Spott. Ich wollte nicht bemitleidet werden.
"Hat er das wirklich so
gesagt, ohne einen Gedanken an dich?"
Meine Studenten waren bestürzt. Sie hatten gelernt. Vor drei Monaten wäre ihnen
nicht aufgefallen, welche Gedankenlosigkeit dieser Ausspruch beinhaltete.
Nicht, wenn ich es in dieser spöttischen, stolzen Art gedacht hätte. Ich
lächelte zufrieden. Sie lernten langsam, über Gefühle auch nachzudenken und
andere zu verstehen. Sie entdeckten ihre Menschlichkeit.
Sie waren zu mir gekommen, weil
sich herumsprach, daß ich mehr über Medizin weiß als manche Professoren, gut
erklären kann und die Bücherei in und auswendig kenne. Doch sie hatten auch das
gelernt, was ich ihnen hatte beibringen wollen. Menschlichkeit. Ein Gefühl für
Recht und Unrecht, dafür, daß Menschen mehr sind als nur Gebrauchsgegenstände,
die man beliebig benutzen oder wegwerfen kann.
"Karion, wir müssen etwas
tun!"
Die Gedankenstimme des Jungen war drängend. Ich war gar nicht erfreut, an die
Zukunft erinnert zu werden. Außerdem hatte er Unrecht.
"Was können wir tun?" fragte ich sanft.
"Ich weiß nicht." antwortete der junge Gott.
Er hatte noch nie erlebt, was es bedeutet, ausgeliefert zu sein, nichts tun zu
können. Jetzt bekam er langsam eine Ahnung davon.
"Ich weiß auch nichts." sagte ich.
"Aber sie bringen dich um!" protestierte er.
"Ja, sie bringen mich um. Ganz langsam und qualvoll. Und sie haben schon
damit begonnen." bestätigte ich.
Der Junge spürte hinter meiner oberflächlichen Ruhe das Grauen.
"Du mußt fliehen!" forderte er.
"Wie? Und wohin? Mit einer Glasscheibe in der Brust, wo sich das Fleisch
entzündet, wenn sie nicht täglich mit Desinfektionmittel eingeschmiert wird.
Mit einem Herzen, das bei jedem Schlag wehtut. Meinst du, ich kann damit
rennen?" fragte ich.
"Nein. Aber irgend etwas müssen wir doch tun..." sagte er.
"Meinst du? Ich konnte in meinem Leben sehr oft nichts tun."
widersprach ich.
Der Junge weinte. Wortlos schickte ich ihm Wärme und Liebe hinüber.
"Treffen wir uns heute Abend
wieder in der Bibliothek?" fragte ich meine Studenten.
Ich wollte mich von ihnen noch einmal verabschieden können. Sie nickten
bedrückt. Sie hatten das Gedankengespräch mitgehört. Ich wußte daß sie, wie ich
auch, über Auswege grübeln würden. Wahrscheinlich erfolglos. Mit gesenktem Kopf
verließen sie den Anatomiesaal.
Ich begann mich sehr schnell zu
langweilen. Ich brauchte dringend eine Ablenkung von meinen Schmerzen. Ich
betrachtete die junge Göttin, die vor mir saß, um mein Herz zu malen. Sie
musterte gedankenverloren mein Gesicht. Ich sah ihr in die Augen, bis ihr
bewußt wurde, daß ich sie sah. Dann dachte ich ihr "Hallo" zu. Sie
war überrascht. Ich lächelte ihr zu.
"Warst du das?" fragte sie verwirrt.
"Ja" antwortete ich.
"Aber du bist doch ein Mensch!" wunderte sie sich.
"Ja und?" fragte ich.
"Aber Menschen können doch nicht ..." setzte sie verwirrt an.
"Bist du sicher? Ich unterhalte mich oft mit der kleinen, dunkelhäutigen
Tochter der Köchin." entgegnete ich spöttisch.
Die junge Göttin wurde
nachdenklich, betrachtete schweigend mein Gesicht und kehrte zu dem
Gedankengang zurück, der sie vorher beschäftigt hatte. Zaghaft fragte sie:
"Was ist es eigentlich für ein Gefühl, so eine Glasscheibe im Brustkorb zu
haben?"
"Schmerzen, grauenhafte Schmerzen. Willst du es genau wissen?"
Die Göttin sah mich mit großen Augen an. Sie hatte begriffen, was ich mit
dieser Gegenfrage meinte und dachte ernsthaft darüber nach.
"Ja." antwortete sie.
Ich nickte ernst, nahm sanft Verbindung
mit ihr auf, schirmte sie aber noch von den Schmerzen ab.
"Wer bist du?" fragte sie voll Ehrfurcht, als sie meine große, innere
Stärke spürte. "Ich heiße Karion." verstand ich die Frage bewußt
falsch.
Das Staunen war immer da, wenn ich einen Gott mein Inneres sehen ließ. Ich weiß
nicht, warum ich innerlich so viel stärker war als die meisten Götter. Aber
diese Ehrfurcht erschien mir falsch, krankhaft. Die Göttin spürte, warum ich
sie mißverstehen wollte.
"Bist du bereit?" fragte ich.
"Ja." antwortete sie.
Ich ließ sie meine Schmerzen spüren. Sie keuchte und brach die Verbindung zu
mir so abrupt ab, daß mir für einen Moment schwarz vor Augen wurde. Sie
brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fassen. Dann nahm sie vorsichtig
wieder Kontakt auf, erspürte meine Schmerzen.
"Das ist ja schrecklich."
dachte sie mir zu, als sie den Kontakt langsam wieder löste. Ich stimmte ihr zu
und erklärte:
"Verhältnismäßig habe ich es noch am besten getroffen. Da drüben der Frau
haben sie den gesamten vorderen Brustkorb durch ein Guckfenster ersetzt. Sie
hat große Angst zu ersticken. Kein Wunder. Ihre Arme kann sie nicht nach vorne
bewegen. Dazu fehlen ihr die Muskeln. Bei einem anderen sind die Gedärme zu
sehen. Ob er aufrecht stehen kann, weiß ich nicht. Möglicherweise bietet die
Glasscheibe genug Stütze."
"Aber das sind doch nur Menschen. Sie spüren das nicht so wie wir."
widersprach die Göttin verunsichert.
"So? Ich weiß das besser. Menschen können ihr Energiefeld nicht so gezielt
einsetzen wie wir. Deshalb macht ihr Geist einen so schwachen Eindruck. Das
täuscht. Wenn du wirklich wissen willst, wie Menschen denken oder fühlen, gibt
es nur eine Möglichkeit. Du mußt dein Energiefeld mit ihrem verbinden. Frag sie
vorher laut um Erlaubnis. Und nimm für deine ersten Experimente keinen der
Menschen in diesem Saal. Du würdest die Schmerzen nicht verkraften."
Die junge Göttin wunderte sich über die selbstverständliche Autorität, mit der
ich ihr Ratschläge erteilte. So vieles an mir paßte nicht zu dem Bild, das sie
sich von Menschen gemacht hatte. Sie würde diese Nacht wahrscheinlich noch
lange darüber nachdenken. Ich mochte sie.
"Heute Abend treffe ich mich
mit meinen Tutanten noch einmal zum Abschied in der Bibliothek. Wenn du willst,
kannst du auch kommen." lud ich sie ein.
Die Vorstellung, daß ich Tutanten haben könnte wie ein Professor, erschien der
Göttin so erstaunlich, daß sie vollkommen vergaß, mir zu antworten. Ich war
überzeugt, daß sie kommen würde, und sei es nur aus Neugier. Sie zeigte gute,
menschliche Ansätze. Während einige andere Studenten mein Herz malten
beobachtete ich sie weiterhin.
Nach der Anatomiestunde brachte ein
Student mich in meinen Schlafraum. Kurz darauf kam Fjaera. Ich sagte ihr, daß
ich sie liebe. Sie brach in Tränen aus. Schweigend wiegte ich sie in meinen
Armen, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
"Ich liebe dich auch. Ich habe dich von Anfang an geliebt."
antwortete sie.
"Und wir wußten von Anfang an, daß nichts daraus würde werden
können." ergänzte ich ernst.
Sie nickte und strich mir übers Haar.
"Und trotzdem liebe ich dich. Und ich bin froh, dich kennengelernt zu
haben."
Ich nickte.
Mehr als ein sanftes Streicheln
hätte ich körperlich nicht verkraftet. Doch das reichte mir, denn ich spürte,
welche Liebe dahinter stand. Und ich war auch zu erschöpft von den Schmerzen
der letzten Monate, zu mehr fehlte mir einfach der innere Antrieb. Ich hatte
fast ein halbes Jahr mit dieser Sichtscheibe im Körper gelebt, obwohl jeder
andere Mensch nach zwei Wochen schon in die Versuchslabore kam.
Wir hatten nur ein paar Stunden für uns, ehe die anderen Studenten
kamen, um mich abzuholen. Auch das kleine Menschenmädchen Violla war bei ihnen.
Ich lächelte ihr zu.
"Du Karion, warum hast du denn ganz weiße Haare bekommen? Bist du
plötzlich alt geworden?" fragte sie neugierig.
"Mir tut seit einem halben Jahr alles so schrecklich weh. Davon bekommt
man weiße Haare, selbst wenn man eigentlich noch jung ist." erklärte ich.
"Du, stimmt es, daß du in die Versuchslabore kommst?"
"Ja."
"Machen sie dich da wieder gesund?"
"Nein. Da machen sie mich tot und tun mir vorher noch mehr weh."
beantwortete ich ihre Frage.
Sie sah mich mit großen Augen an. Sanft berührte ich sie an der Schulter und
lächelte ihr zu. Ich wollte kein Mitleid. Von niemandem.
In meinem üblichen Schneckentempo
bewegte ich mich mit den Studenten zur Bibliothek. Sie hätten mich auch in
einem der Rollstuhl dorthin geschoben. Aber dazu war ich zu stolz. Es herrschte
bedrückte Stille. Erst als ich dort angekommen war, hatte ich die Konzentration
übrig, um mit ihnen zu reden:
"Was ist mit euch los? Ich dachte ich komme in die Versuchslabore und
nicht ihr." spöttelte ich.
Ich wollte den letzten Abend nicht in trübsinnigem Schweigen verbringen. Und
tatsächlich gelang es mir, die Stimmung aufzulockern, so daß wir die meiste
Zeit wie in all den Wochen zuvor zusammen diskutierten und lachten.
Auch Torion war da und wurde
selbstverständlich als einer von uns akzeptiert. Irgendwann - es war schon spät
- sah er mich an und dachte mit offenem Energiefeld:
"Karion ist alt geworden."
"Nein. Nicht alt. Ich sehe nur so aus." widersprach ich.
"Du bist dreißig, oder?" fragte er.
"Ja. Und das ist selbst für einen Menschen noch jung." antwortete
ich.
Ich beobachtete in seinem Geist, wie er seinen Blick auf mir ruhen ließ, wie er
mein inzwischen weiß gewordenes Haar, die schroffen Falten in meiner Haut
betrachtete und darüber nachdachte, wie sehr ich gelitten haben mußte, um
innerhalb eines halben Jahres so auszusehen.
Ich war beinahe glücklich, an jenem
Abend.
Es war schon morgen als der Gott schließlich kam. Es war Kemon - einer
von den Anständigen.
"Es ist so weit. Komm." befahl er mir.
Ich versuchte aufzustehen, aber wo vorher mein Wille gewesen war, brach
plötzlich alles zusammen. Ich konnte einfach nicht. Ich wußte nur zu gut, wo
die nächsten Schritte mich hinführen würden. Und doch konnte ich dem nicht
entkommen. Wenn ich nicht gehorchte, würden sie mich mit dem Strafer foltern,
bis ich mich nicht mehr rühren konnte und mich dann dorthin tragen.
Ich hatte meinen Stolz. Wenn ich
schon zu Tode gefoltert werden würde, dann wollte ich zumindest auf eigenen
Füßen dorthin gehen. Ich raffte meine Entschlossenheit zusammen und in dem
Augenblick, als ich den ersten Schritt machen wollte, brach wieder alles in mir
zusammen. Ich konnte einfach nicht. Die Vorstellung, noch mehr ertragen zu
müssen, war zu schrecklich für mich. Auch beim dritten und vierten Versuch
brach meine Konzentration wieder zusammen, bevor ich auch nur den ersten
Schritt getan hatte.
"Karion. Komm. Du hast doch
überhaupt keine Chance. Komm. Sonst muß ich dich auch noch foltern."
In den Worten klang Mitgefühl mit. Und irgendwie gaben sie mir den Anstoß, den
ich brauchte, um aufstehen zu können.
Mit gesenktem Kopf folgte ich ihm
zu den Versuchslaboren. An der Pforte zu den Laboren mußte ich meinen Arm in
den Zeichner stecken. Er las die Daten aus dem in mein Handgelenk
eingepflanzten Computerchip aus und tätowierte sie auf den Arm. So konnte jeder
auf den ersten Blick erkennen, daß ich den Laboren zugeteilt war.
Keman führte mich zuerst zu der
Kantine der Labore. Dort blieb er stehen und sah mich an.
"Wenn ich dir jetzt einen Cappuccino spendiere, wirst du es
annehmen?" fragte er zaghaft.
Ich sah ihn zuerst erstaunt an und betrachtete sein Energiefeld prüfend. Dann
nickte ich. Solche Getränke waren normalerweise nicht für Menschen. Nur Götter
bekamen Geld und konnten sich dafür solche Dinge in der Kantine bestellen. Ich
aber hatte seit ich von meiner Mutter weg verkauft worden war immer Freunde
unter den Göttern gehabt, die mir dergleichen spendiert hatten. Ich nahm es an,
weil ich spürte, daß er etwas auf dem Herzen hatte, nicht weil ich es gerne
mochte.
"Weißt du, ich bewundere
dich." dachte er mir zu.
Ich sah ihn fragend an. Mir war durchaus bewußt, daß ich innerlich stärker war,
als die meisten Menschen und Götter. - Aber für mich war das immer eine
Selbstverständlichkeit meines Lebens gewesen. - Das war schließlich schon um
ein vielfaches länger so, als ich in jenem Leben alt wurde. Und mich selbst
bewundern wäre mir ziemlich abwegig erschienen.
"Ja. Du bist beinahe dein ganzes Leben lang gefoltert worden - und dennoch
habe ich von dir nur Gutes gehört und gesehen. Und du bist zu jedem
freundlich."
"Aber nur wenn ich nicht gerade die Geduld verliere." kommentierte
ich.
Es hatte mich erschreckt, wie sehr meine inneren Reserven im letzten halben
Jahr zusammengeschmolzen waren, wie reizbar ich geworden war.
"Woher hast du nur die Kraft genommen, diese Studenten zu
unterrichten?"
"Ich wollte, daß sie ihre Einstellung zu Menschen ändern." antwortete
ich.
"Ja. Früher habe ich auch geglaubt, ich könnte etwas ändern." meinte
er.
"Siehst du, und ich habe etwas geändert. Ich weiß nicht wie lange es
vorhält - aber die besseren Wirtschaftsergebnisse des Betriebes, wo ich einmal
die Bedarfsplanung gemacht habe, sind darauf zurückzuführen, daß Menschen dort
heute besser behandelt werden als damals, als ich frisch dort hin kam. Was
meine Studenten als Erwachsene anders machen werden, als sie es sonst getan
hätten, muß sich noch zeigen." sagte ich.
"Woher weißt du, das es immer noch so ist?" fragte er.
"Schau dir die offiziellen Berichte an." sagte ich.
Ich unterdrückte den Gedanken an die Briefe meiner Frau, die bis vor einem
halben Jahr von meinem ehemaligen Chef an Torion weitergeleitet wurden, der sie
mir zu lesen gab. Beide hätten dafür erheblichen Ärger bekommen können.
"Weißt du, im Grunde bin ich ganz froh, kein Gott zu sein. Ich weiß worin
die Abschlußprüfung der Universität besteht." In meinem Geist erschien ein
vages Bild eines Gottes - mein geliebter Herr in jenem damaligen Leben - der
mich zu Tode foltern mußte. Sonst wären wir beiden zu Tode gefoltert worden -
ich als Strafe und er, weil er es nicht wert gewesen wäre, die Universität
verlassen zu dürfen. Mit dem Strafer - das heißt, es dauerte Tage. "Ich
hätte mit solch einer Schuld nicht leben wollen." erklärte ich.
Er wartete, bis ich ausgetrunken hatte und sagte dann:
"Es tut mir leid, aber ich muß dich jetzt zur Operation bringen."
sagte er.
Ich kann es nicht leiden, wenn jemand sich für Verbrechen entschuldigt, die zu
ändern er nicht bereit ist - entweder weil er es nicht ändern kann, dann hätte
ich ihn sowieso nicht dafür verantwortlich gemacht - oder weil er nicht bereit
ist, die Folgen dafür auf sich zu nehmen. Das ist mir in vielen Fällen zwar
nachvollziehbar - aber dann soll er wenigstens die Verantwortung dafür
übernehmen.
"Was kommt auf mich zu?"
fragte ich.
"Du wirst als Organspender dienen." antwortete er.
Ich nickte. Das war eine entsetzliche Quälerei, da dem Organspender nur die
motorische Kontrolle über seinen Körper geraubt wird. Seine Seele aber wird mit
einem Fesselfeld im Körper gehalten, um ihn möglichst lange am Leben zu erhalten,
damit er die gesamte Spendenprozedur durchhält. Mir lief es kalt den Rücken
herunter. Vor wenigen Minuten, als mir hunderte von Möglichkeiten, was sie mit
mir anstellen könnten, durch den Kopf gingen, war ich unfähig gewesen, mich zu
rühren und mich dem zu stellen, was auf mich zukommen könnte. Doch jetzt, wo
ich konkret wußte welche der vielen möglichen Mißhandlungen auf mich zukommen
würde, kam ich innerlich damit zurecht und folgte ihm ruhig. Zuerst mußte ich
mich ausziehen und gründlich duschen, dann wurde ich auf der Behandlungsliege
festgeschnallt. Er stellte den Strahler ein.
In dem halben Jahr mit der
Glasscheibe im Brustkasten hätte ich mir kaum vorstellen können, daß noch
schlimmere Schmerzen möglich sein könnten. Doch das war schlimmer. Zuerst wurde
mir der Unterleib der Länge nach aufgeschnitten und nach und nach Leber, ein
Teil des Darms, die Milz und die Nieren entnommen. (Zu Blutspenden war jeder
Mensch alle halbe Jahr verpflichtet.) Dann öffneten sie mit einer Zange den
Brustkorb und schnitten Herz und Lunge heraus und zum Schluß rissen sie Zähne
und Augen aus meinem Kopf.
Ich blieb bei Bewußtsein bis sie
fertig waren. Dann erst stellte jemand das Fesselfeld aus und ich konnte aus
meinem Körper fliehen und die Schmerzen hinter mir lassen.
Ich war erst einmal für geraume
Zeit fix und fertig. - Es dauerte lange, bis ich mich schließlich aufraffte,
mit meinem Freund über dieses Leben und die Planung meines nächsten Lebens zu
sprechen. Dennoch war ich im großen und Ganzen mit dem zufrieden, was ich in
jenem Leben geleistet hatte, wie ich gelebt hatte.
Autorin: K. Nebelsiek
www.fallwelt.de/welten/frueher/AtlantisKersti.htm