Mu

Der Grund für den Untergang

 

Ein Text von Kersti Nebelsiek

www.kersti.de

 

 

FH1. Böse Erinnerungen  1

FH2. Unerfüllbare Pflicht 2

FH3. Die Linuartina  3

FH4. Das Kastrationsgesetz  4

FH5. Selbstverantwortung  5

FH6. Der Inspektor 6

FH7. Betreuungsaufgaben  6

FH8. Politik  8

FH9. Verrat 9

FH10. Ein Geist wie grauer Staub... 9

FH11. Wenn du ihn bestrafst, mußt du uns alle bestrafen... 11

FH12. Rückkehr ins Leben  12

 

 

FH1. Böse Erinnerungen

Es war Herbst - Zeit der Einberufungen für den Tempel. Und ich hatte mein ganzes Leben lang gewußt, ich wollte Priester werden. Meiner Ansicht nach gab es nichts, was dagegen sprach:
Ich war körperlich gesund, meine geistigen Fähigkeiten waren weitaus besser als die meiner Freunde und ich konnte mich jetzt schon an mehr meiner früheren Leben erinnern als sie.

Im Tempel bewältigte ich die übliche Ausbildung, die jedes Kind der Erde erhielt in der Hälfte der üblichen Zeit. Danach kam ich zu den Akholuten, die zum Priester ausgebildet wurden - und ich überholte nahezu alle, die vor mir begonnen hatten.

Während meiner Ausbildung erinnerte ich mich an immer frühere Leben. Lange, lange, hatte ich mich bemüht, für das Gute zu arbeiten. Ich war einer von denen, die den Aufbau des Sternenreiches Sphinx erst ermöglicht hatten, in dem wir lebten. Durch unermüdliche Friedensarbeit. Ich verfolgte meine Erinnerungen weiter zurück. Davor waren andere Leben, in denen ich auch nach dem Guten strebte, aber noch nicht in die Arbeit der Hüter des Lichts eingebunden. Dann kam ich zum Anfang der Zeit - und ich merkte, dass ich davor vom Ende der Zeit zum Anfang der Zeit gereist war und andere Leben in diesem Universum gelebt hatte. Auch das waren Leben in denen ich Gutes tat - oder es zumindest versuchte, so gut ich es vermochte. Es erschien mir aber erschreckend, wie schwer es mir damals erschien, richtig und falsch auseinanderzuhalten.

Zu der Zeit wurde mir gesagt, dass ich sicherlich in wenigen Tagen in den Tempel berufen würde. Ich war 8 damals.

Ich ging noch weiter zurück - und kam in ein Leben in dem ich Menschen nur zu meinem Vergnügen gefoltert hatte. Ich war absolut erschüttert, so etwas über mich erfahren zu haben. Für mich in meiner damaligen Persönlichkeit war so etwas absolut unvorstellbar. Ich verstand einfach nicht, wie ich jemals so etwas hätte tun können.

Der Priester, der mich durch diese Erinnerungen begleitet hatte, sagte mir, ich müsse diese Erinnerungen zuerst aufarbeiten, bevor an einen Eintritt in den Tempel zu denken sei.
Ich gehorchte.

Ich stellte fest, dass es nicht das einzige derartige Leben war. Davor gab es andere, in denen ich es noch schlimmer getrieben hatte. Viele Leben. Schreckliche Leben, in denen ich zutiefst unglücklich war. Tag für Tag entdeckte ich neue Verbrechen, die ich in früheren Leben begangen hatte. Und mit jedem Tag war ich tiefer verschreckt und entsetzt über das, was ich in mir selbst entdeckte. Die Priester aber die mich ausbilden sollten waren noch entsetzter als ich darüber.

Ich hatte in den vorhergehenden Jahren gelernt, dass man solche Dinge aufarbeiten muß, um zum Tempeldienst bereit zu werden. Also arbeitete ich auf. Mit dem einzigen Effekt, dass ich noch mehr solche Leben entdeckte. Immer mehr.

Als er etwa 12 war und ich vierzehn, wurde mein jüngerer Bruder in den Tempel von Mu berufen, um für die Einweihung ausgebildet zu werden. Ich freute mich für ihn. Am selben Tag wurde ich dann in das Zimmer gerufen, wo Schülern eine solche Berufung üblicherweise mitgeteilt wird.

"Jarthi, du weiß was in den letzten Jahren bei dir für Erinnerungen ans Licht gekommen sind."
Ich nickte. Selbstverständlich wußte ich das.
"Und Du kannst sicher verstehen, dass jemand der so viel Böses getan hat, es niemals aufarbeiten und zum Tempel bereit werden kann."
"Nein!" widersprach ich und fühlte mich in der Seele getroffen.
"Wer zu solchen Taten bereit ist, ist nicht geeignet, auch nur über einen Menschen Befehl zu führen."
"Aber ich bin doch gar nicht zu solchen Taten bereit! Das ist doch länger her als das Universum alt ist." protestierte ich.
"Es ist noch nicht aufgearbeitet, und deshalb gibt es keine Sicherheit. Also wirst du am Hanai-Berg den Einzel-Außenposten versorgen. Der Rat ist sich einig."
Ich starrte ihn fassungslos an, brachte kein Wort heraus. Das hieß jeder einzelne Mann im Rat war der Meinung, dass ich zu mehr nicht zu gebrauchen war, dass ich böse war. Und das waren über tausend. Ich brachte vor Fassungslosigkeit kein Wort heraus, drehte mich nur um und floh in mein Zimmer, wo ich in Tränen ausbrach. Und die Tage, bis ich abreisen mußte, habe ich nur geweint und geschlafen. Ich habe nichts gegessen und auch nichts getrunken.

 

FH2. Unerfüllbare Pflicht

Erst ale ich alleine auf dem mir zugewiesenen Posten war, riß mich eine Disziplin, die ich in vielen hundert Leben entwickelt hatte, in denen ich als Hüter des Lichts für den Frieden gekämpft hatte, aus meiner Lethargie: Egal wie ungerecht die anderen zu mir waren, ich würde jede notwendige Aufgabe so gut erledigen, wie das in meinen Kräften stand. Mir war in vergangenen Leben wirklich schon Schlimmeres angetan worden als eine Verbannung auf einen ungeliebten Außenposten. Der zweite Teil dieser Disziplin war: Man gibt niemals auf. Selbst dann nicht, wenn man keine Hoffnung sieht. Also arbeitete ich weiterhin daran, meine häßlichen Erinnerungen aufzuarbeiten.

Ich hatte viel Arbeit. Mehr als ich in den Stunden, die ich nach den Regeln arbeiten hätte müssen, bewältigen konnte. Zuerst dachte ich, es läge daran, dass ich mich noch nicht eingearbeitet hatte. Ich arbeitete länger, weil manche Dinge nicht liegenbleiben durften. Doch als ich alle Arbeiten beherrschte, war es immer noch nicht in den vorgeschriebenen Arbeitszeiten zu schaffen. Nicht einmal das, was ich wirklich nicht liegenlassen konnte.

Als Telepath durfte ich das niedere Telepatienetz für private Gespräche benutzen und das tat ich auch hin und wieder, um mit meinen alten Freunden zu sprechen. Zu meiner Enttäuschung merkte ich, dass die meisten sich nach meiner Verbannung von mir abwandten. So hatte ich bald nur noch Kontakt zu denjenigen, die mit mir arbeiten mußten und zu meinem Vater. Meinen Bruder durfte ich während seiner Tempelausbildung nicht ansprechen, denn er mußte von allen niederen Gedanken Abstand wahren. Meine Gedanken wurden als niedere Gedanken eingestuft - das stimmte auch, denn ich war innerlich zutiefst verletzt, weil ich so verstoßen worden war. Da ich ihn nicht bei seiner Arbeit in Gefahr bringen wollte, hielt ich mich an die Regel.

Nach etwa einem halben Jahr kam ich zu dem Ergebnis, dass es so nicht weiterging. Es geht nicht an, dass an einem Außenposten über Monate hinweg immer nur das Nötigste getan wird und dass niemand da ist in Notfällen, wenn irgendetwas kaputtgeht oder so, noch einmal so viel arbeiten könnte, um Schäden wieder in Ordnung zu bringen. Es war ein unhaltbarer Zustand und ich war nicht bereit, ihn weiter hinzunehmen. Also flocht ich in jedes Gespräch, was ich von da ab führte, ein, dass ich Hilfe bräuchte.

Die Antworten darauf waren entmutigend. Ich sei eben faul und unfähig. Ich sei selber Schuld, dass ich keine Hilfe hätte, wenn ich so instabil wäre. Die anderen hätten es doch auch geschafft.

Keine dieser Antworten war richtig. Wenn ich wirklich faul wäre, wäre ich gewiß nicht jeden Tag dermaßen erschöpft ins Bett gefallen. Wenn ich unfähig wäre, wäre ich in den ersten Jahren im Tempel nicht als die große Zukunftshoffnung betrachtet worden. Und wenn ich instabil wäre, wäre das gewiß nicht meine Schuld. Meine Vorgänger hatten, wie ich den Berichten über die Geschichte des Außenpostens entnehmen konnte, nach einer kurzen Zeit der Eingewöhnung nicht einmal die Hälfte von dem geschafft, was ich tat. Das hatte immer wieder zu Unfällen geführt, an denen die meisten von ihnen starben. Aber daran wären sie ja auch selbst schuld, wenn sie so schlamperten. Meinte die Untersuchungskommission jeweils.

Ich war nicht bereit aufzugeben und dadurch dieselbe Art von Unfällen heraufzubeschwören, noch mich damit abzufinden, dass ich ständig anderthalb mal so lange arbeiten mußte, wie jeder andere im Land, nur um nicht bald bei einem lebensgefährlichen Unfall zu sterben. Also bestand ich auf meiner Forderung nach Hilfe und wiederholte sie in jedem Gespräch nach außen. 2 Jahre lang zeigte das keine Wirkung.

 

FH3. Die Linuartina

Die Linuartina hatte die Aufgabe die Lichtkristalle neu zu stimmen, wegen denen diese Außenposten erbaut worden waren. Den Kristall selber durfte ich weder geistig noch körperlich berühren, ich mußte aber die Gebäude und die Maschinen pflegen, die mit diesem Kristall betrieben wurden. Bevor sie kam, mußte ich einen Monat fasten, durfte keine telepathischen Kontakte pflegen, mußte täglich fünf Stunden meditieren und die Räume von allen schädlichen Energien reinigen. Solange die Linuartina da war, durfte ich nicht einmal in meine eigenen Wohnräume, sondern mußte mich in eine winzige Hütte einen halben Kilometer weit weg zurückziehen.

An all diese Regeln hielt ich mich gewissenhaft, denn obgleich ich eigentlich der Ansicht war, dass ich genausogut für solche Aufgaben geeignet wäre wie sie - und dass ich eine solche Aufgabe wollte - lebte ich doch nicht das Leben einer Linuartina und es wäre gefährlich gewesen, ihr in die Arbeit hineinzupfuschen. Nicht nur für sie, sondern für das ganze Land. Nach diesen Zeiten war ich immer sehr traurig, weil es mich so daran erinnerte, was ich eigentlich in meinem Leben hatte machen wollen.

Eines Tages - am Ende der drei Tage, wo die Linuartina arbeiten sollte - kam sie zu mir heraus.
"Was tust du hier? Du weißt doch, dass du nach einem Kontakt zu Außenstehenden wie mir erst ein halbes Jahr der Reinigung einlegen mußt, ehe du wieder arbeiten kannst." tadelte ich sie.
"Die Arbeit hier ist erledigt und ich mache danach sowieso ein paar Jahre Urlaub bei meiner Familie und will Kinder bekommen. Meine Schwester wird sie aufziehen, wenn ich zu meiner Arbeit zurückkehre."
"Ach so." sagte ich besänftigt.
"Aber warum ich eigentlich komme: Ich wollte fragen, warum hier alles so anders ist als an den anderen Außenposten."
"Wie anders?"
"Sauber, ordentlich, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet. Die Räume sind mit reiner Energie gefüllt. Wenn auch längst nicht alle Arbeit getan ist."
"Ich kann dir zumindest sagen, warum es anderswo nicht so ist: Die Arbeit ist nicht einmal in der doppelten vorgesehenen Arbeitszeit zu schaffen. Ich beschwere mich seit zwei Jahren bei jedem, der mir lange genug zuhört, um die Beschwerde anzuhören." erklärte ich.
"Das glaubst du doch selber nicht!" widersprach sie.
"Schau in meinen Erinnerungen nach. Aber laß uns dazu hoch ins Haus gehen. Dort sind die Bedingungen dazu besser." sagte ich.
"Was soll ich mit deinen Erinnerungen - ich gehöre nicht zu deiner Familie und bin nicht deine Geliebte." sagte sie.
"Irgendjemanden muß ich überzeugen. Mein Vater hört mir nicht zu und mein Bruder ist in Hochheiligen Bezirk des Tempels in Ausbildung. Du hörst mir wenigstens so weit zu." antwortete ich.

Sie sah mich zuerst fassungslos an - niemand setzt sich freiwillig einer Geistlesung durch einen Fremden aus. Dann wurde ihr Blick nachdenklich und prüfend, sie erspürte mein Energiefeld und die ruhige und sichere Entschlossenheit dahinter.
"Wie du meinst." sagte sie.

Wir gingen gemeinsam hoch zu der Hütte und traten dort ins Krankenzimmer ein. Ich legte mich auf die Liege und sie schnallte meine Arme und Beine so fest, dass ich mich nicht rühren konnte. Das war eine Sicherheitsmaßnahme. Wir waren eben keine Liebenden und es ist nie ganz auszuschließen, dass eine solche Lesung des Geistes zu Krämpfen führt, oder dazu, dass jemand in Panik so um sich schlägt, dass er den Untersucher verletzt. In beiden Fällen ist es auch für den Untersuchten besser angeschnallt zu sein, so dass er sich nicht verletzen kann.

Vorsichtig berührte sie meinen Geist und ich holte sie herein. Dann führte ich sie durch meine Erinnerungen an die Ankunft hier und an all die Monate bis zum heutigen Tag. Als sie fertig geschaut hatte, fragte sie mich verwirrt:
"Aber eines verstehe ich nicht. Warum wurdest du überhaupt hierher verbannt? Ich habe selten einen innerlich so stabilen Menschen geschaut."
"Ich will dir auch das zeigen." antwortete ich.
Zuerst zeigte ich ihr, dass ich solange das Universum bestand, nichts Böses getan hatte. Das steigerte ihre Verwirrung erheblich.
"Bedenke, dass die meisten sich nicht weiter zurückerinnern." erklärte ich ihr.
Dann zeigte ich ihr wie ich noch einmal halb so lange, wie das Universum bestand stets mein Bestes getan hatte, um Gutes zu tun. Das steigerte ihre Verwirrung noch mehr.
"Bedenke, dass ich bis hierhin nichts getan hatte, wofür ich verbannt worden wäre." gab ich ihr zu bedenken.
Dann zeigte ich ihr das Leben, in dem ich mich dem Guten verschworen hatte. Es war das erste Leben, in dem ich mich daran erinnerte andere gefoltert zu haben.
"Damals habe ich geschworen nur Gutes zu tun - und diesen Schwur habe ich bis zum heutigen Tag gehalten, so gut ich es vermochte."
Dann zeigte ich ihr all die üblen Dinge, die ich davor getan hatte.
"Das hat die Herren im Tempel so erschreckt. Aber aus meiner Sicht ist es unlogisch zu vermuten, dass ich nach so vielen Millionen Jahren, in denen ich den Schwur nach besten Kräften gehalten habe, ihn plötzlich brechen sollte, nur weil ich beginne, mich zu erinnern, was vorher war." erklärte ich.

Und so - nachdem ich die Überlegungen für mich selbst in den vergangenen zwei Jahren geordnet hatte, schien es auch ihr einsehbar.

"Ich werde sehen, was ich tun kann, damit du eine Hilfe bekommst." sagte sie mir.
"Ich bin nicht derjenige, der dieser Hilfe am Dringendsten bedarf. Jedem Außenposten geht es ähnlich wie mir - und ich bin einer von den stärksten, die Ungerechtigkeit und Überforderung ab besten verkraften." gab ich zu bedenken.
"Es ist aber schwieriger für die anderen eine Lösung zu finden. Dir kann man einen Helfer anvertrauen, ohne um ihn fürchten zu müssen." sagte sie.
Ich nickte.
"Denk trotzdem über eine Lösung nach. Eine unerfüllbare Aufgabe haben auch Verbannte nicht verdient. Auch ich werde nach einer Lösung suchen." sagte ich ihr.

Im alten Mu war es undenkbar einen Angehörigen der niederen Rasse in die Hände eines Menschen zu geben, der ihn mißhandeln oder ungerecht zu ihm sein könnte. Das Volk war heilig - und die Herrscher waren verpflichtet ihnen zu dienen und für ihr Wohlergehen zu sorgen.

Das einfache Volk war ebenso wohlhabend in Mu wie seine Herren, hatte jedoch weitaus mehr Freiheiten. Und so harte Strafen wie die Verbannung gab es für das einfache Volk nicht.

 

FH4. Das Kastrationsgesetz

Zwei Tage später kam ein Flugwagen zum Außenposten. Ich war überrascht. So etwas geschah selten. Nur einmal in einem halben Jahr - um die Vorräte in der Hütte aufzufüllen. Ich trat heraus, um die unerwarteten Gäste zu begrüßen - was immer sie auch wollten. Doch sie waren schon wieder eingestiegen, ohne mich auch nur zu begrüßen. Nur ein kleiner, dunkler Mann war zurückgeblieben. Ich sah auf den ersten Blick, dass er verkrüppelt war.

In dem Augenblick spürte ich einem geistigen Impuls vom Piloten des Flugwagens:
"Der dürfte wohl gut genug sein für Dich." hinter diesen Worten lag eine Verachtung, als wäre ich ein Stück Scheiße.
Mich traf das mitten ins Herz. Ich drehte mich um, floh in die Hütte und warf mich weinend ins Bett. Das erinnerte mich zu sehr an meine Verbannung hierher, riß die Wunde von damals wieder auf.

Nach wenigen Augenblicken wurde mir klar, dass ich das nicht hätte tun dürfen. Der Mensch konnte keine Gedanken lesen und mußte deshalb annehmen, dass ich ihn verachtete. Ich stand auf, ging hinaus zu dem Mann:
"Ich wollte mich entschuldigen. Dass ich eben hineingerannt bin, hatte nichts mit dir zu tun. Wie du sicher weißt, sind wir fähig, uns in Gedanken zu unterhalten. In dem Augenblick als ich dich anschaute hat mir der Flugwagenpilot eine ziemlich boshafte Bemerkung an den Kopf geworfen. Und das hat mich an all das erinnert, was dazu geführt hat dass ich hierher verbannt wurde. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass ich nicht freiwillig hier bin. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich freue mich, dass du hier bist. Ich kann nicht behaupten, dass es daran liegt, dass du's bist. Dazu kenne ich dich noch nicht gut genug. Aber das wird wohl noch kommen, wenn wir uns kennenlernen. Willkommen hier. Und komm herein, ich habe gerade Tee für mich gekocht, als sie so unangemeldet kamen, dann können wir jetzt gemeinsam zu abend essen." sagte ich und lächelte ihm zu.
Er sah mich schräg von unten an - er war kleiner als ich - und lächelte dann, aber so, als sei er sich nicht sicher, ob er mir trauen könnte. Er hatte ganz offensichtlich Angst vor mir.

Dummerweise hatte ich ihm genau das vorgeführt, was offiziell der Grund war, weshalb Mitglieder der Herrscherrasse in die Berge verbannt würden. Verbannt wird, wer zu unausgeglichen ist, um einen Untergebenen gut zu behandeln. Und es brauchte Wochen unausgesetzte Geduld und Freundlichkeit, bis er aufhörte, mich vorsichtig zu beobachten, ob ich ihm irgendetwas Böses tun würde.

Danach war er mir eine wachsende Freude. Immer war er gut gelaunt, tat fleißig seine Arbeit und strahlte über jedes freundliche Wort von mir. Als er auch noch anfing, ständig nach Gelegenheiten zu suchen, wie er mir eine Freude machen könnte, kam es mir schließlich merkwürdig vor.

"Sag mal Jeri, wie war es denn da, wo du vorher gearbeitet hast?" fragte ich ihn.
Sein Gesicht verlor sofort dieses fröhliche Strahlen, was für ihn so typisch war.
"Nicht schön, wie?" fragte ich.
"Ich bin doch ein Krüppel." antwortete er.
Ich empfing Bilder von Erniedrigung und Spott, die sein Leben geprägt hatten, bis er zu mir kam.
"Und ich habe mein Leben lang gedacht, ich würde in einer besseren Welt leben, als ich tatsächlich lebe. Jedenfalls bis vor zwei Jahren etwa." ergänzte ich.
Ich umarmte ihn und in mir erwachte ein wilder Zorn. So etwas sollte kein Mensch erleben müssen. Niemand von MEINEM Volk durfte so verachtet und erniedrigt werden.

Bei dem Gedanken lächelte ich über mich selbst. Das stammte aus einem anderen Leben. Damals waren die Menschen der Erde wirklich mein Volk gewesen. Zwei Drittel der Kinder kamen mit schweren Geburtsschäden zur Welt. Damals hatte ich das Gesetz eingeführt, dass Kinder mit ernsthaften Verkrüppelungen unfruchtbar gemacht werden mußten - denn sonst wäre der Anteil an Schwerstbehinderten, die zu keiner Arbeit fähig wären, so hoch geworden, dass ich sie hätte töten lassen müssen, damit die anderen nicht verhungern, weil schlicht nicht genug Menschen da waren, um die zum Überleben notwendige Arbeit zu tun. Jetzt war dieses Gesetz unnötig. Wir könnten wesentlich mehr vollkommen Arbeitsunfähige mitversorgen, als hier je zur Welt kommen würden und wir konnten genetische Schäden heilen. Dennoch war das Gesetz immer noch in Kraft. Und es wurde auf Leute wie Jeri angewandt, die zu meiner Zeit zu den vollkommen Gesunden gezählt worden wären. Da lief eindeutig etwas falsch. Ich überlegte, mit wem ich darüber würde sprechen können.

Mir fiel nur Zithia ein, die ehemalige Linuartina. Ich konzentrierte mich auf ihre Persönlichkeit mit der Anfrage, ob sie Zeit für mich hätte. Ich war überrascht mit welcher Freude und Herzlichkeit sie mich begrüßte. Dann dachte sie sofort an Jeri. Ich erinnerte mich, was er in den letzten Wochen getan hatte und wie glücklich ich über ihn war und immer noch bin. Sie war überrascht wie begeistert ich von meinen Diener war.
"Und er? - Frag ihn, ob er zufrieden ist."
"Jeri - ich spreche gerade mit Zithia. Sie möchte wissen, ob du zufrieden bist. Was soll ich ihr sagen?"
"Zufrieden? Ich war noch nie so glücklich wie hier!"
Ich gab seine Antwort weiter und spürte wie ihr ein Stein vom Herzen fiel.

Dann teilte ich ihr meine Überlegungen zu dem Kastrationsgesetz mit.
"Das dachte ich auch schon. Ich werde sehen, ob ich es in den Rat bringen kann. Aber mach dir keine zu großen Hoffnugen. Die Gesetze der Retia werden nicht in Frage gestellt." antwortete sie.
"Die waren auf eine ganz andere Situation zugeschnitten und damals hätte er als gesund gegolten."
Die Retia - dass war ich in jenem Leben, in dem ich das Gesetz aufgestellt hatte. Schmunzelnd ließ ich Zithia meine Erinnerungen an die Gründe für dieses Gesetz - und daran wie sehr ich trotz dieser harten Tatsachen daran gezweifelt hatte, dass es richtig war, ein solches Gesetz aufzustellen.
"Und jetzt gibt es nicht einmal mehr eine Notwendigkeit für ein solches Gesetz." sagte ich in der Gedankensprache.

 

FH5. Selbstverantwortung

Es stand mir nicht zu, meinem Diener mehr Arbeit abzuverlangen, als die Regeln vorschrieben. Doch für mich galten andere Gesetze:
Als Mitglied der Herrscherrasse hatte ich eine Aufgabe gestellt bekommen und war verpflichtet sie zu erfüllen, ganz gleich wie die Bedingungen sind. Auf einem anderen Posten hätte ich so viele Hilfskräfte anfordern können, wie nötig. Und offensichtlich schien es niemanden zu interessieren, dass ich das auf meinem Außenposten nicht konnte - ich hatte die Pflichten aber nicht die Rechte der Herrscherrasse.

Also arbeitete ich weiterhin anderthalb mal so viel wie üblich - nur mit dem Unterschied, dass jetzt mit der Hilfe meines Dieners alles zu bewältigen war, was ich tun mußte.

Mein Diener allerdings sah das nicht ein - ohne dass ich ihm etwas sagte, übernahm er einen größeren Teil der Arbeit, bis wir etwa gleich viel taten.

Mir fiel auf, dass die Energie in unseren Räumen inzwischen so rein geworden war, wie manche Teile des niederen Tempels. Daraufhin beschloß ich, jeden Teil unserer Räume täglich ein wenig zusätzlich zum Vorgeschrieben zu reinigen, um zu schauen, wie weit mein Helfer dazu fähig war, das mitzumachen. Ich erreichte innerhalb von Wochen einen Grad der Reinheit, wie ich ihn in jenem Leben noch nicht kennengelernt hatte. Nicht einmal wenn ich die Räume für die Linuartina vorbereitet hatte. Er entwickelte Fähigkeiten und machte jenen Teil der Ausbildung mit, den ich ungestraft jedem weitergeben durfte. Mehr hatte ich ja sowieso nicht gelernt.

Damals, als ich die Retia gewesen war, war das einfache Volk aufgrund der genetischen Schäden schwachsinnig gewesen, so dass ich am Ende heilfroh war, die Herrschaft an Helfer von anderen Planeten abgeben zu können. Jetzt - so wurde mir klar - war ein Teil des einfachen Volkes zu einer Tempelausbildung fähig - aber bekam sie aufgrund alter Vorurteile nicht.

Ich nutzte die durch das ständige Reinigen gewonnene Energie, um meinen Diener zu heilen. So dass er nach ein paar Wochen ein völlig gesunder und zeugungsfähiger Mann war. Danach wurde mir bewußt, dass ich jetzt bei dieser starken, reinen Energie die Möglichkeit hatte, die meisten meiner Aufgaben durch telepathische Arbeit zu automatisieren. Ich tat es. Und plötzlich war die Arbeit meines Außenpostens durch eine einzige Person zu bewältigen.

Ich vertrieb mir die so gewonnene Zeit, indem ich die telepatischen Fähigkeitenmeines Dieners weiter schulte, ihm beibrachte, das niedere Telepatienetz zu benutzen. Das durfte jeder, der dazu fähig war.

 

FH6. Der Inspektor

Gerade als ich so weit war, kam ein fremdes Luftschiff. Ich merkte es an einem Schwall verschmutzter Energie, der hereinschwappte, und ging hinaus, um den Neuankömmling zu begrüßen. Doch das erste, was von ihm kam, als er mich sah, war dermaßen viel Hochmut, dass ich erst einmal nicht mit ihm redete, sondern mit Hilfe meines Dieners die negativen Energien neutralisierte, als wäre er ein Gast in den höchsten Tempelbezirken.

Er wirkte daraufhin ziemlich verwirrt und deshalb verärgert:
"Was soll das - ich bin der Inspektor und du bist nur ein Verbannter!"
"Dies hier ist ein Außenposten der Tempelwache und ist deshalb so rein zu erhalten wie die Tempelwache selbst, da anders die telepathischen Schaltkreise zusammenbrechen würden. Wenn Ihr als Gast hier weilen wollt, dann mäßigt eure Gedanken." gab ich die formellen Worte der Tempelwache an unbotmäßige Gäste zurück, die seit über hundert Jahren in den Außenposten nicht mehr verwendet worden waren.
Ihm blieb der Mund offen stehen. Dann wollte er in die Hütte gehen - und rannte gegen den Schutzschleier, den ich gerade eben errichtet hatte. Zornig fuhr er zu mir herum.
"Mäßigt eure Gedanken, dann seid ihr fähig, einzutreten." befahl ich ein zweites mal.
Er starrte mich an und fragte schließlich:
"Und der Diener, was wird aus dem, wenn ihr solch hohe Forderungen stellt?"
"Der hält seine Energien vorbildlich rein." erwiderte ich.
Der Inspektor besann sich auf das, was er als Kind im Tempel gelernt hatte und reinigte seine Energien ein wenig.

Dann trat er durch den Schleier und inspizierte den Außenposten gründlich. Schließlich aß er bei uns zu Abend und bekam berichtet, was ich alles getan hatte.
"Ich habe noch eine Bitte: Da ich jetzt die Zeit dazu habe und mein Diener die Arbeit hier vorübergehend allein bewältigen kann, würde ich gerne die anderen Außenposten betreuen dürfen und ihnen helfen, ihre Energien so weit zu reinigen, dass auch sie mit telepathischen Schaltkreisen arbeiten können." beendete ich unser Gespräch.

Einen Tag später hatte ich von der Tempelwache die offizielle Erlaubnis die höheren Telepatiekreise zu verwenden und den Auftrag die Aufgabe zu übernehmen, um die ich gebeten hatte. Dafür bekam ich ein eigenes Luftschiff zur Verfügung gestellt.

 

FH7. Betreuungsaufgaben

Ich erkundigte mich nach der Besetzung der Außenposten und flog als erstes zu dem Außenposten, der erst vor ein paar Tagen einen neuen Hüter bekommen hatte. Als ich landete, kam er nicht heraus, um mich zu empfangen. Also ging ich zur Tür und klopfte. Keine Reaktion. Ich ging rein und durchsuchte die Räume, die mit Verzweiflung erfüllt waren.

Schließlich entdeckte ich ihn. Er lag auf seinem Bett und weinte. Schweigend kniete ich neben ihm nieder und berührte ihn sacht. Er nahm meine liebevolle Energie an und begann noch heftiger zu Schluchzen. Ich streichelte ihn, bis er sich beruhigt hatte. Dann ließ ich mir erzählen, was er in den letzten Tagen gemacht hatte: nichts außer essen, weinen und schlafen. Schließlich überredete ich ihn, mit mir zusammen erst einmal die wichtigsten Aufgaben zu erledigen. Danach war er so müde, dass ich ihn schlafen ließ und alleine die Räume von den Energien der Verzweiflung reinigte.

Schließlich legte ich mich erschöpft im Gästezimmer schlafen. Am nächsten Morgen weckte er mich und fragte, ob ich mit ihm frühstücken wolle. Ich fragte ihn, ob er seine Energien schon gereinigt hätte. Als er verneinte, bestand ich darauf, dass er das vor dem Frühstück tat. Dann segnete und reinigte ich die Energie des Frühstücks und wir aßen gemeinsam. Schließlich erledigten wir gemeinsam alle notwendigen Arbeiten und dann reinigte wir diesmal gemeinsam das gesamte Gebäude so gründlich, dass es reiner war, als die umgebenden Berge. Ich installierte den Schleier. Am nächsten Tag wurden die Telepathischen Schaltkreise installiert. Dabei wurde ich durch meinen Diener unterbrochen, der mich bat zurückzukehren, um ihm bei der Reparatur eines Schaltkreises zu helfen, der ihm zusammengebrochen war. Ich bat ihn, bis morgen zu warten. Dann beendete ich meine Arbeit hier und flog am nächsten Tag heim. Die Energie war in meiner Abwesenheit etwas abgesunken. Ich reinigte erneut, dann installierte ich den beschädigten Schaltkreis neu und stimmte einen verstimmten Lichtkristall neu. Die Linuartina würde es bei ihrem nächsten Besuch besser machen, aber er war so gründlich verstimmt, dass es besser war, wenn ich etwas dran tat, statt so lange zu warten.

Ich ruhte mich ein paar Tage aus, brachte alles in eine so perfekten Zustand wie möglich. Dann besuchte ich meinen Schützling noch einmal und half ihn die Energien zu reinigen, bis sie reiner waren als sonst vor dem Besuch der Linuartina. Auch hier stimmte ich einige Lichtkristalle nach.

Dann machte ich zuhause noch einmal einen Besuch, kontrollierte, ob alles perfekt in Ordnung war und ging dann zu demjenigen, der seit einem halben Jahr einen Außenposten übernommen hatte.

Er war besoffen, als ich ankam. Ich schützte meinen Flugwagen vor Übergriffen, indem ich ihn mit einem Schleier umgab, kippte sämtlichen Alkohol aus und begann kommentarlos die Energien zu reinigen. Diesmal dauerte es Wochen, bis alles so weit in Ordnung war, dass ich ihn alleinlassen konnte. Er war kaum zur Mitarbeit zu bewegen.

Mein Diener zuhause hatte seine Aufgaben zwar besser bewältigt als beim letzten mal - aber dennoch war er heilfroh, dass ich zurückkehrte und all das, was ihm nicht so richtig gelungen war, wieder in Ordnung brachte. Ich blieb, bis die Energien deutlich reiner waren als vor dem letzten Aufbruch, und fastete, dann war es Zeit für die Linuartina zu kommen und wir flogen gemeinsam los, um zuerst meine ersten beiden Schützlinge zu besuchen, und ihnen zu helfen, bis die Energien deutlich klarer waren, als nach Abschluß meines jeweiligen letzten Besuches.

Dann war noch ein halber Monat Zeit um den Nächsten zu besuchen. Er hatte zumindest das nötigste erledigt, wie ich am Anfang. Vierzehn Tage Hilfe von uns beiden reichte deshalb, dass dort alles so gut in Ordnung war wie bei mir. Das war auch gut so, denn er erwartete dann die Linuartina und ich brachte meinen Diener nach Hause, während er mich für einem Monat zum nächsten Außenposten begleitete, den, zu dem die Linuartina als nächstes kommen würde. Der Mann war nicht gerade begeistert, dass wir in den ersten vierzehn Tagen aßen, während er schon fasten mußte. Doch wir konnten ja nicht pausenlos fasten, ohne unsere Gesundheit zu ruinieren. Danach war alles so weit in Ordnung, dass ich ging, meine Schützlinge besuchte und nur den Außenposten als Hilfe daließ, bis die Linuartina kam. Dann holte ich beide ab, brachte den einen zur Arbeit zu seinem eigenen Außenposten zurück und nahm den anderen zum nächsten Außenposten mit, zu dem die Linuartina kommen sollte.

Dort stand alles Kopf. Wir hatten einen Monat härtester Arbeit, damit dort wieder ein einigermaßen tragbarer Zustand einkehrte. Die Schaltkreise konnte ich aber selbst am letzten Tag noch nicht installieren, weil die Energie nicht rein genug war.

Als wir gemeinsam zum nächsten Außenposten flogen, stellte ich fest, dass dort die Verhältnisse genauso desolat waren. Wir erreichten noch weniger, da mein jetziger Helfer bei weitem nicht so gut war, wie der letzte. Als die Linuartina kam, flog ich mit beiden zurück zum letzten Außenposten, wir stimmten dort die Schaltkreise ein und reinigten die Energien und schließlich waren wir so weit, dass alles von einem Mann zu betreuen war.

Danach war ich erschöpft, brachte den letzten Mann auf seinen eigenen Außenposten zurück und kehrte zu meinem Posten heim. Hier erholte ich mich von den Anstrengungen und brachte alles so weit in Ordnung wie möglich. Das dauerte einen Monat. Danach erkundigte ich mich bei der Tempelwache nach dem Stand der Dinge, berichtete ihnen was ich getan hatte und besuchte dann noch einmal der Reihe nach jeden meiner bisherigen Schützlinge. Es war keinem gelungen, den Stand, den wir bei meinem letzten Besuch erreicht hatten, alleine aufrecht zu erhalten. Ich half ihnen, bis alles noch ein wenig besser in Ordnung war, als bei meinem letzten Besuch. Das dauerte zwei Monate, dann erst besuchte ich den, der einen Monat später Besuch von der Linuartina erhalten würde und half ihm bei der Arbeit. Es war wieder einer der Fälle, wo es schien, das Hopfen und Malz verloren wären und wo wir es, bis die Linuartina kam, nicht schafften, alles so weit in Ordnung zu bringen, dass ich die telepathischen Schaltkreise errichten konnte.

Danach besuchte ich zusammen mit ihm den nächsten und wir halfen ihm, bis die Linuartina ihn besuchte. Danach kehrten wir zu dritt zu dem ersten zurück, brachten dort alles so weit in Ordnung, dass wir die telepathischen Schaltkreise errichten konnten.

Die Linuartina brauchte drei Jahre, um alle Außenposten durchzugehen. Ich brauchte neun, bis ich alle so lange betreut hatte, dass die telepathischen Schaltkreise überall durchgehend ein Jahr lang funktionierten ehe ich oder derjenige, bei dem gerade die Linuartina war, erneut 14 Tage zu Besuch kam. Danach funktionierte der Schirm, der durch die Außenposten betrieben wurde, zuverlässiger als in den letzten hundert Jahren.

 

FH8. Politik

Laut den ursprünglichen Arbeitsanweisungen für die Außenposten war ich, solange mein Posten in Betrieb war, die Abschirmung stand und die Energie innerhalb des Schleiers rein genug war, um telepathische Schaltkreise laufen zu lassen, befugt in das durch die Lichtchristalle erreichbare Christallnetz zu gehen und alle dort eingespeicherten Lebenserinnerungen abzurufen. Ich fragte nicht, ob diese Regeln noch gelten - denn mir wäre höchstwahrscheinlich mit nein geantwortet worden - und machte von diesem Recht Gebrauch. (Heutzutage ist dieses Netz als Akascha-Chronik bekannt.) Die Informationen, die ich dort fand, beunruhigten mich zutiefst:
Die Regierung befürchtete jederzeit eine Invasion der Feinde. Jedoch hatten wir nicht genügend Eingeweihte, um den Verteidigungsschirm um die Erde voll in Betrieb zu nehmen.

Ich wußte eine Lösung für dieses Problem - wenn ich genug Menschen fand, die so gute Anlagen hatten wie mein Diener, wäre es kein Problem, sie zu Eingeweihten auszubilden. Nur alte Vorurteile, dass Menschen dazu grundsätzlich nicht fähig seien, hinderten uns daran, diese Fähigkeiten aus dem Volk zu nutzen.

Mein Ansehen war in diesen Jahren gestiegen. Mir wurde erlaubt, mich frei im Lande zu bewegen und auch in den niederen Bezirken der Tempel war ich wieder willkommen. Doch der Makel der Verbannung blieb haften. Die Priester des inneren Tempels, die in die Außenbezirke durften, hörten mir nicht zu, wenn ich Vorschläge machte.

Also besuchte ich die alte Linuartina, die auf dem Hof ihrer Eltern immer noch bei ihren Kindern lebte und besprach mit ihr meine Überlegungen. Sie stimmte zu, dass auch sie genug Menschen gefunden hatte, die man zu Eingeweihten ausbilden könnte.
"Nur brauchen wir ja nicht Menschen mit den niederen Einweihungen wie man sie in den äußeren Bezirken des Tempels erhält sondern Hochgeweihte, die ihre Fähigkeiten nur in der reinen Athmosphäre eines Tempels erwerben können." gab sie zu bedenken.
"Das ist wahr - doch mein Außenposten wird das ganze Jahr über rein genug gehalten, um eine solche Ausbildung zu gewährleisten. Dort könnte man Hochgeweihte ausbilden. Mein Problem ist, dass das früher oder später bekannt werden wird und wir dann Leute im hochgeweihten Rat brauchen, die uns decken. Vielleicht kannst du mir einen Rat gegen, an wen ich mich da wenden könnte." antwortete ich.
"Die neue Linuartina ist vernünftig - aber noch sehr jung und die Herren werden dich nicht zu ihr hinlassen."
"Ich hatte nicht vor, sie zu fragen. Ich werde mittels geistigem Reisen gleich im hochheiligen Bezirk auftauchen."
Sie lachte.
"Willst du im Ernst behaupten, dass du deinen Schirm genau genug dazu gestimmt hast? Der Hauptschirm ist nämlich nur halb gestimmt."
"Das wird sich inzwischen wohl gebessert haben. Die Linuatina hat schließlich mehr Zeit als früher, weil ich die Christalle der Außenposten regelmäßig nachstimme. Aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Mein Schirm ist groß genug, um zwei Personen ohne Hilfe des großen Schirms zu transportieren, sofern er sauber gestimmt ist. Ich werde ihn nachstimmen und nur mit seiner Hilfe reisen."
"Gott - das arme Mädel wird dich für Gott persönlich halten oder so ähnlich, wenn du das hinkriegst. Wo hast du das gelernt?"
"In früheren Leben. Und keine Sorge - ich werde sie über ihren Irrtum aufklären."
"Wann bist du so weit, dass du die ersten Schüler ausbilden kannst?"
"In drei Wochen werde ich die Linuartina besuchen. Bis dahin kann ich keine Störungen gebrauchen. Danach sind mir Schüler willkommen."
"Gut - ich wüßte jemanden, den ich dir schicken möchte."
"Gut. Dann bis in drei Wochen."

Ich kehrte zu meinem Außenposten zurück, dann verstärkte ich zusammen mit meinem Schüler den Schleier und reinigte die Räume wieder und wieder. Nach jedem Reinigen der Räume reinigten wir uns zuerst gegenseitig und stimmten dann die Lichtkristalle nach. Nach drei Wochen war die Energie so rein, dass ich ohne Anstrengung jedes einzelne Atom innerhalb des Schleiers gleichzeitig bewußt wahrnehmen konnte und dass wir gegenseitig unsere Gedanken beinahe automatisch lasen.

Danach stellten wir beiden eine Verbindung zu den Räumen der Linuartina her - überprüften, ob sie Gäste empfangen konnte und versetzten unsere Körper dorthin. Der Gesichtsausdruck des Mädels war malerisch. Sie begrüßte mich mit einer Geste, die wir normalerweise nur für ganz hohe Eingeweihte reservieren.
"Laß man Kind. Ich bin nur der Hüter eines unbedeutenden Außenpostens und wurde deshalb von deinen Türhütern nicht eingelassen. Sonst hätte ich mich wohl eines weniger erlauchten Verkehrsmittels bedient, um dich zu besuchen." antwortete ich ihr schmunzelnd."
Sie hob neugierig den Blick und begann zu grinsen. Offensichtlich war ihr Leben doch etwas zu langweilig für das fünfzehnjährige Ding, das sie war.

"Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?" fragte ich.
"Komm in mein Schlafzimer. Sie werden es nicht wagen, mich dort zu stören, auch wenn sie mich sonst behandeln wie ein kleines Kind."
"Du bist ein Kind - und eine Eingeweihte. Von ersterem wissen sie, was es bedeutet, von letzterem nicht so richtig. Das ist dein Problem."
"Ja. Ich werde hier gehalten wie eine Gefangene nur damit ich meine Energien nicht verunreinige."
"Wir sollten vielleicht den großen Schirm nachstimmen, damit du jederzeit die Außenposten besuchen kannst. Die sind inzwischen dauerhaft rein genug, dass du den Tempel dadurch nicht verschmutzt."
"Oh ja..." ein träumerischer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
Mir wurde bewußt, dass ich, wenn das herauskäme, mehr Ärger bekommen würde, als ich mir je hätte träumen lassen.

Kurz teilte ich ihr meine Pläne zur Ausbildung von Menschen zu Eingeweihten mit. Und ich machte sie darauf aufmerksam, dass mein Diener längst ein Eingeweihter war.
"Aber du hast doch selbst nur die niedere Tempelausbildung. Laß mich wenigstens nachprüfen, ob dir nicht ein wesentlicher Fehler unterlaufen ist." bat sie.
"Lies meinen Geist. Du solltest nicht nur überprüfen, ob meine Absichten lauter sind sondern auch, ob meine Schlußfolgerungen stimmen. Selbst wenn wir uns gegenseitig ständig beraten, machen wir Menschen noch mehr als genug Fehler." sagte ich.
Wie ihre Vorgängerin war auch sie so gut geschult, dass die gründliche Geistlesung, die sie bei mir machte, mich nicht belastete, sondern im Gegenteil mir sogar half, meinen Geist etwas besser zu ordnen. Nachher hatte sie mehrere Verbesserungsvorschläge parat, die wir in unsere Pläne einbauen konnte und versprach mir, mit den Linaurtinen der anderen großen Tempel unsere Pläne zu besprechen.

"Weißt du, wir alle sind der Ansicht, dass es dringend notwendig ist, Menschen auszubilden. Aber wir kommen gegen die halbeingeweihten Priester nicht an. Sie lassen es einfach nicht zu, dass uns Menschen nahe kommen."
"Gut. Wir bilden also auf Außenposten aus - und stimmen die Schirme so gut, dass wir uns gegenseitig besuchen können. Außerdem werde ich mich noch um die Außenposten des Nachbargebiets kümmern." beschloß ich.
Es herrschte Mangel an gutausgebildeten Priestern in den Tempeln und im Land. Ich unterhielt mich mit vielen darüber, organisierte, dass, wer immer dazu fähig war, Leute aus dem einfachen Volk in den Grundlagen, die im niederen Tempel gelehrt wurden unterrichtete, um diesen Mißstand zu beheben. Diejenigen aber, die zu einer hohen Tempelausbildung fähig waren, holte ich in meinen Außenposten und bildete sie mit Hilfe meiner Erinnerungen aus früheren Leben zu hohen Priestern aus. Es waren wenige, aber besser als niemand.

Der erste Teil wurde von denen, die ich nicht eingeweiht hatte, allgemein als mein Hobby betrachtet und belächelt. Der zweite Teil aber war geheim.

 

FH9. Verrat

Der Tempelwächter Haradorn empfing den jungen Priester in seinem Raum und bot ihm höflich einen Platz an.
"Jedirith, du fragst dich wahrscheinlich, warum ich dich habe rufen lassen. Wir haben Schlimmes über deinen Bruder erfahren. Er hat die Zurückgezogenheit seines Außenpostens genutzt um mit Hilfe einer abtrünnigen Linuartina ein ganzes Heer an Gegenbewahrern auszubilden, mit denen sie die Tempelhierarchie absetzen wollen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, was das für ein Chaos geben würde, kämen sie damit durch. Du bist der einzige der das verhindern könnte, denn dir vertraut er." teilte Haradorn meinem Bruder mit.
"Das glaube ich nicht!" protestierte mein Bruder.
"Komm lies meinen Geist." erwiderte der Wächter und kniete vor ihm nieder.

Mein Bruder machte von dem Angebot gebrauch und was er dort sah, überzeugte ihn, dass die Anschuldigung zu Recht bestand.

 

FH10. Ein Geist wie grauer Staub...

Ich spüre durch den Schleier die Ankunft eines Flugwagens und trete hinaus um den unerwarteten Gast zu empfangen. Zu meiner großen Freude sehe ich meinen geliebten kleinen Bruder. Ich gehe auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Dann jedoch sehe ich ihm in die Augen und spüre was er vorhat.

Es ist wie ein Schock. Ich bin entsetzt, dass gerade er mir so etwas antun will. Ich fahre herum, um wegzulaufen. Doch ein Gedankenblitz wie aus Feuer und Eis schlägt nach mir und reißt mich von den Füßen. Ich falle hin, kann mich nicht mehr rühren.

Ich bündele meine Gedanken, berühre seinen Geist und frage:
"Warum tust du mir das an? Warum gerade du?" und ich lasse ihn spüren, wie verletzt ich mich fühle.
"Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Hochverrat wird bestraft, wie er immer bestraft wurde."
"Was ich tat, war notwendig, um das Land zu schützen. Lies meinen Geist und prüf nach." bat ich.
"Das hättest du wohl gerne - damit deine Spießgesellen dich befreien können!"
Er hob meinen Körper auf und legte ihn in seinen Flugwagen. Dann flog er los. Während des Fluges störte ich ihn nicht, da ich keine Unfälle provozieren wollte.

Am Tempel wird er von Haradorn, dem Tempelwächter empfangen. Auch ihn bitte ich telepatisch meinen Geist zu lesen, damit er weiß, warum ich so gehandelt habe, wie ich es tat.

"Nichts da. Hochverrat wird von König persönlich untersucht." antwortet er und stieg zu meinem Bruder ins Flugauto.
In dem Augenblick kommt die junge Linuartina heraus und sagt:
"Wenn du ihn bestrafen willst, mußt du auch mich bestrafen. Mir ist jede seiner Entscheidungen bekannt gewesen und ich habe sie unterstützt." forderte sie.
"Dann steig ein." befahl der Tempelwächter.
Sie gehorchte. Ich hätte sie am Liebsten geohrfeigt. Ich hatte ganz bewußt darauf geachtet, dass alle Spuren zu mir und nur zu mir führten. Die Linuartinen durften sich nicht in Gefahr bringen! Änderungen in den Meinungen des Volkes gehen nicht so schnell vor sich. Wenn sie mich unterstützten, wären die Folgen für das Land nicht abzusehen.

Der König war mein Vater. Als der Flugwagen im Palast landete, trat er zu uns und war entsetzt, mich als Gefangenen zu sehen. Auch ihn bat ich telepathisch, meinen Geist zu lesen, damit er meine Gründe für meine Handlungen verstehen konnte.
"Das werde ich tun. Aber glaub nicht, dass ich Gnade walten lasse, nur weil du mein Sohn bist." antwortete er.
"Das erwarte ich auch nicht." antwortete ich.
Tatsächlich war ich mir beinahe sicher, dass er meine Beweggründe nicht verstehen würde. Er hatte nicht genug geschichtliches Hintergrundwissen, um einschätzen zu können, wie stark die Tempel unterbesetzt waren und wie wichtig es war, dass wir wieder mehr wurden. Also würde meine Arbeit als Hochverrat bestraft werden.

Er bekam von Haradorn einen kurzen Bericht über die Gründe meiner Gefangennahme. Dann hob Mein Vater mich auf und trug mich in das Krankenzimmer, wo er mich auf der Behandlungsliege festschnallte. Sobald wir alleine waren, berührte er meinen Geist und ich holte ihn herein.

Er sah sich in der Halle mit den vielen Türen um, die immer mein inneres Bild für meinen Geist ist. Dann sah er mich an. Der geistige Angriff meines Bruders hatte meinen Geistkörper verletzt, so dass meine dunkelblaue Kleidung zerfetzt war und meine Beine bis zu den Knien zerfetzt waren. Ich richtete mich auf den Knien auf - zum Heilen war jetzt keine Zeit und grüßte ihn.
"Du mußt nicht denken, dass du mich mit diesen vielen Türen beeindrucken oder mit deinem Aufzug mein Mitleid wecken kannst." teilte er mir mit.
"Ich habe Besseres zu tun, als extra für dich ein Theaterstück zu inscenieren." gab ich ärgerlich zurück.
Dann konzentrierte ich mich auf meine Beine, heilte sie und richtete mich auf.
"Das solltest du aber - du stehst unter der Anklage des Hochverrats."
"Das ist mir durchaus bewußt. Trotzdem spiele ich nicht Theater. Nicht alle Teile meines Geistes sind von dieser Halle aus direkt zu erreichen. Wohin soll ich dich führen?"
"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich auf deine Führung verlasse?"
"Wie du meinst." gab ich zurück.
Das konnte ja heiter werden.
"Ich finde auch ohne deine Hilfe, was ich suche." behauptete er.
"Richtig. Du findest was du suchst. Aber ob das dann die Wahrheit ist?"
"Rede nicht wie ein Hochgeweihter! Du wurdest aus guten Gründen aus dem Tempel verbannt."
"Ich bin ein Hochgeweihter. Und zu den Gründen bin ich anderer Ansicht, auch wenn ich zugeben muß, dass es im Endeffekt gut ist, dass es geschehen ist." antwortete ich.
"Wer hat dich geweiht?"
"Ich bin einfach den Pflichten eines Außenpostens nachgekommen. Wenn man das gewissenhaft tut, führt das zwangsläufig zu einer hohen Weihe. Deshalb hatten die Außenposten traditionell auch das Recht in die Akascha-Chronik zu gehen, und dort so viel zu lesen, wie sie wünschten." antwortete ich.
"Du lügst. Dazu sind sie nie berechtigt weil sie viel zu unsauber sind."
"Schau nach. Deshalb bist du hier. Und ich hoffe, du lernst etwas daraus."
Ich war mir sicher, dass er nicht schnell genug lernen würde, um mir die Strafe zu ersparen, die auf Hochverrat stand. So schnell geht so etwas nie.

Er konzentrierte sich kurz, versuchte zu erspüren, wo die gesuchte Information war und ging dann auf glatte Wand zu. Ich ließ an der entsprechende Stelle eine Tür entstehen und ließ ihn ein. Hinter ihm schloß ich die Tür.
"Laß die Tür offen - ich will mich nicht verirren." befahl er mir.
"Notfalls führe ich dich raus. Offene Türen werden dem Geist zum Problem."
"Du wirst nach dem Urteil sowieso keinen Bedarf an geschlossenen Türen mehr haben." teilte er mir mit.
"Normalerweise macht man erst eine Geistlesung und verurteilt dann." kommentierte ich bissig.
"In deinem Fall sind die Beweise klar. Du wolltest die Geistlesung. Wer sind deine Spießgesellen?"
"Schau doch nach, ob du sie findest." gab ich zurück.
Ich wußte, er würde mein Wissen darüber nicht finden, denn ich hatte es so in meinem Geist versteckt, dass selbst ein viel besser ausgebildeter Mann Schwierigkeiten gehabt hätte, diese Informationen zu finden. Ich hinderte ihn daran, die Identität meiner Schüler herauszufinden, denn wie ich vermutet hatte, suchte er nur nach Beweisen für die Richtigkeit seiner Vorverurteilung. Auf meinen Wunsch, dass er doch mal nachschauen möge, warum ich das alles getan hatte, ging er nicht ein. Und Beweise, dass es richtig war, gab es genug. Ich hatte es ja tatsächlich getan - weil es notwendig war.
Schließlich verließ er frustriert meinen Geist und behauptete:
"Ich weiß genug."
Ich sah ihn wortlos an und wußte, er hatte nichts verstanden. Also würde er mich als Verräter bestrafen, denn in seinen Augen hatte ich das Höchste verraten, was er kannte. Schweigend folge ich ihm mit den Augen. Jedes weitere Wort wäre sinnlos gewesen.

Er zog ein Gerät über meinen Kopf und stellte es an. Das Gerät zerschlug unter grausamen Schmerzen die Energie meines Geistes in winzige Fragmente. Danach war alles in meinem Geist nur noch grauer Staub. Die übliche Strafe für Hochverrat, denn es machte mich völlig unfähig zu höheren Gedanken und zu Telepathie. Mit einer Geistfalle werde ich an meinen Körper gebunden.

Danach finde ich mich in einer sinnlosen, grauen Welt ohne Freude. Ich kann nichts sehen, nichts wahrnehmen als diese gestaltlose Gräue. Ziellos irre ich durch eine endlose graue Ebene und empfinde nichts. Keine Gefühle, keine Freude, keinen Schmerz, keine Angst - ja nicht einmal körperliche Wahrnehmungen. Alles ist leer und bedeutungslos. Ich hatte sogar vergessen, dass ich je etwas anderes empfunden hatte als diese graue Leere.

 

FH11. Wenn du ihn bestrafst, mußt du uns alle bestrafen...

Als der König aus dem abgeschirmten Raum herauskommt, wo er meinen Geist gelesen und zerstört hat, sieht er wie mitten im Raum eine Linuatina auftaucht. Kurz darauf erscheint die nächste. Dann noch eine. Ungläubig beobachtet er, wie nach und nach jede einzelne dieser Hüterinnen des Lichts mit ihren roten Gewändern in seinem Trohnsaal aus der Leeren Luft erscheint. Kurz darauf taucht einer der Hüter eines Außenpostens auf. Dann noch einer, bis etwa doppelt so viele Personen anwesend sind. Danach erscheinen Menschen in einfachen Gewändern und knieen sich vor die Linuartinen.

Wortlos beobachtete der König das unerhörte Geschehen. Seit Generationen hatte - so weit er wußte - niemand mehr seinen Körper so von Ort zu Ort versetzen können, wie diese Leute es taten. Ganz davon abgesehen, dass der einen Hälfte von ihnen das Verlassen der Tempel oder ihrer jeweiligen Außenposten verboten war während die andere Hälfte keinen Tempel betreten durfte.
"Sie wollen mich absetzen." dachte er, erwartete, dass sie ihn mit ihrer bloßen geistigen Macht töten würden. Doch statt dessen stellte die älteste Linuartina lediglich eine Frage:
"Wo ist Jarthi?"
"Er bekommt die Strafe, die er für seinen Hochverrat verdient hat." antwortete der König und rief heimlich, meinte er, die Palastwache.
"Wenn ich sie nur noch ein bißchen hinhalten kann, kann ich sie besiegen." dachte er.
"Jarthi hat keine Strafe verdient. Er ist derjenige, der die Tempel reformiert hat, so dass wir wieder genug Leute haben, um unsere Aufgaben zu erfüllen wie früher. Wenn du ihn bestrafen willst, dann mußt du uns alle bestrafen, denn wir alle sind über jede seiner Handlungen informiert und stehen zu ihm." sagte sie.
Die Wachen setzten die telepathischen Zerhacker in Gang, so dass die Linuartinen so wehrlos waren, wie jeder andere auch. Der König atmete erleichtert auf.
"Er ist längst bestraft." sagte er.
"Laß ihn frei. Er hat keine Strafe verdient!" sagte eine der Frauen.

Die Wachen stürmten in den Saal und nahmen sie gefangen, führten sie ab in die Kerker des Palastes. Die Linuartinen gingen widerstandslos und schweigend mit. Da sie ihr Leben lang in der behüteten friedlichen Welt der Tempel gelebt hatten, hatten sie ein Vertrauen in die Gerechtigkeit und die Bereitschaft zu friedlichem Handeln im Land, das längst nicht mehr gerechtfertigt war.

Der König versuchte, aus ihnen herauszufoltern, wer ihre Rädelsführer seien, doch sie sagten nur, dass sie alle die Tatsachen in der Chronik gelesen hätten und gemeinsam die Entscheidung trügen. Jeder der hier sei, wäre das aus eigener Entscheidung. Sie ließen die Foltern mit bemerkenswerter Gleichmütigkeit über sich ergehen und sagten kein einziges böses Wort zu den Folterknechten. Doch von Zeit zu Zeit baten sie, ihre Arbeit im Tempel tun zu dürfen, denn sonst würde es eine Mißernte geben. Die Bitte wurde ihnen nicht gewährt und es gab eine Mißernte. Daraufhin probte das Volk den Aufstand, denn sie litten Hunger.

Schließlich schickte der König einen Teil der Linuartinen mit den Hütern der Außenposten und ihren menschlichen Schülern in die Tempel zurück, einen Teil aber behielt er in den Kerkern, mit der Drohung sie zu Tode zu foltern, sollte es eine zweite Mißernte geben.

Von Stund an war das Wetter wieder, wie es sein sollte. Das Volk aber feierte ein großes Fest, wegen der Rückkehr der Hüterinnen. Und der König glaubte nun, das ganze Volk gegen sich zu haben.

Mein Bruder aber, der das Leben im Tempel viel besser kannte als mein Vater begann nachzudenken. Der König zwang ihn, bei den Foltern dabei zu sein und verlangte von ihm, er solle Geistlesungen machen.

Mein Bruder gehorchte in dem Wissen, dass die Frauen ihn jederzeit aus ihrem Geist hätten herausschleudern können, wenn sie das versucht hätten. Stadtdessen hießen sie ihn immer in ihrem Geist willkommen.

Er dachte über die Dinge nach, die er dabei erfuhr und ihm wurde bewußt, dass sein Vater sich irrte, wenn er hinter ihren Entscheidungen eine Rebellion vermutete. Sie hatten eine Aufgabe - und sie hatten sich lediglich bemüht, die Entscheidungen zu treffen, die notwendig waren, um ihre Pflichten im Dienste des Volkes zu erfüllen.

Eine Revolution würde aber zu viel im Land zerstören, so dass sie das von sich aus nie in Betracht gezogen hätten. Mein Bruder Jeredith begriff auch, was ich vorgehabt hatte - dass ich bereit gewesen wäre, zu sterben und jede andere Strafe widerspruchslos zu akzeptieren, um den Plan zur Ausbildung von Menschen für die Tempel geheimzuhalten, bis mein Bruder den Trohn übernommen oder ihn von der Notwendigkeit dieser Aufgabe hätte überzeugen können, weil ich die Ängste meines Vaters von vorneherein richtig eingeschätzt hatte.

Doch die Linuartinen waren mir hatten gegen meinen ausdrücklichen Willen zu mir gestanden.

 

FH12. Rückkehr ins Leben

All die Zeit lebte ich in einer sinnlosen grauen Scheinwelt, ohne fühlen zu können, ohne meinen Körper wahrnehmen zu können. Als die Linuartinen wieder in die Tempel zurückgekehrt waren erst, bemühten sie sich, mich wieder ins Bewußtsein zurückzurufen.

Das Nächste, was ich spüre, ist Schmerz. Ein Peitschenhieb. Aber ich erlebe es nicht als etwas Schlimmes sondern einfach als so ein "Huch, da ist ja etwas." Ich schaue hoch und mein Bruder steht mir gegenüber. Früher konnte ich immer seine Gefühle spüren, als wären es meine eigenen. Jetzt sehe ich nur noch sein Gesicht und es erscheint mir leer. Ich fühle mich immer noch leer. Nur die Schmerzen von den Peitschenstriemen auf meinem Rücken stechen grell aus dieser Leere hervor. Ich finde das Gefühl der Schmerzen interessant. Gleichgültig höre ich zu, wie mein Bruder etwas sagt. Ich verstehe es nicht. Er nimmt wieder seine Peitsche und schlägt zu.
"Dreh die Mühle." befiehlt er scharf.
Jetzt habe ich es verstanden. Doch mir fehlt der innere Antrieb, auch zu gehorchen. Ich sehe ihn nur gleichgültig und stumpf an. Wieder schlägt er, wieder und wieder und wiederholt mit jedem Schlag seinen Befehl, bis ich aufstehe und schließlich doch tue, was er sagt. Langsam fühlt sich mein Rücken nämlich nicht mehr interessant, sondern unangenehm an.

Ich nehme weder den Boden unter meinen Füßen, noch die Stange, an der ich ziehem muß, richtig wahr. Es reicht, dass ich einen Fuß vor den anderen setzen und diese Arbeit tun kann, solange jemand mit der Peitsche hinter mir steht, und mich immer wieder antreibt - aber es erscheint mir nicht richtig real.

Abends, nachdem er mich zu dem für mich vorgesehenen Strohlager gebracht hat - mein augenblicklicher Zustand macht ein Bett für mich eher zu etwas Schädlichem, weil es mir weniger Sinneswahrnehmungen beschert als ein Strohlager - zieht mein Bruder sich in sein Bett zurück und beginnt zu weinen.

Erst im Verlauf dieses Tages, wo er mit der Peitsche hinter mir hatte stehen müssen, ist ihm klargeworden, wie sehr er mir Unrecht getan hat. Und jetzt konnte er es nicht wieder gut machen.

Zur Vorgeschichte muß man wissen, dass sie vorher alles versucht haben, um mich irgendwie wieder zu erreichen und nichts hat gewirkt. Und Schmerz war dann das letzte Mittel, mich irgendwie ins Leben zurückzurufen.

Einige Tage später mußte mein Bruder und ich vor Gericht erscheinen. Zuerst wurde ich gefragt, was geschehen sei, aber ich habe nicht einmal die Frage mitbekommen sondern nur nebelhaft erahnt, dass da jemand mit mir spricht. (Ich beschreibe jetzt aus der Sicht meines Bruders, weil ich wirklich nahezu nichts mitbekommen habe.)

Mein Bruder sagte: "Darf ich für meinen Bruder sprechen, denn ich bin dafür verantwortlich, dass er jetzt in diesem Zustand ist." Das wurde ihm erlaubt und er hat dann meine Tat berichtet, so gut er es herausgefunden hatte.

Ich merkte, dass von ihm irgendetwas Freundliches ausging und habe ihn umarmt. Er hat die Umarmung erwidert und mich gestreichelt, heilfroh, dass ich das erste mal nach seinem Angriff auf mich auf ein Gefühl reagiert hatte. Verstanden aber hatte ich nichts von seinen Worten.

Das Urteil, was sie sprachen war, dass ich keinen Schaden mehr anrichten könne, so zerstört wie mein Geist sei. Deshalb würden sie dem, was ich an Schicksal auf mich gezogen hätte, nichts hinzufügen und nichts entfernen. Aber ich würde in eine einsame Gegend verbannt und müßte dort für den Rest meines Lebens als Einsiedler leben.

Ich verstand die Worte des Urteils nicht, noch hatte ich Erinnerung wer ich vorher gewesen war und was ich gewollt hatte. Doch mein Bruder stand auf und sagte, nach dem Gesetz stünde mir ein Begleiter zu, der bereit sei, mein Exil mit mir zu teilen. Er sei für meine Gefangennahme verantwortlich, also wolle er mich auch ins Exil begleiten. Also wurden wie gemeinsam an eine einsame Meeresküste gebracht.

Der Glaube der Menschen, die mich ins Exil geschickt hatten, erwies sich als Irrtum. Es gelang mir meinen Geist wieder zu etwas ganzem zusammenzufügen. Doch das Land, das ich durch meine Arbeit hatte schützen wollen, wurde zerstört.

 


Autorin: K. Nebelsiek

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