Ein Text von Kersti Nebelsiek
FH10. Ein Geist wie grauer Staub...
FH11. Wenn du ihn bestrafst, mußt du uns alle
bestrafen...
Es war Herbst -
Zeit der Einberufungen für den Tempel. Und ich hatte mein ganzes Leben lang
gewußt, ich wollte Priester werden. Meiner Ansicht nach gab es nichts, was
dagegen sprach:
Ich war körperlich gesund, meine geistigen Fähigkeiten waren weitaus besser als
die meiner Freunde und ich konnte mich jetzt schon an mehr meiner früheren
Leben erinnern als sie.
Im Tempel bewältigte ich die übliche Ausbildung, die jedes Kind der Erde
erhielt in der Hälfte der üblichen Zeit. Danach kam ich zu den Akholuten, die
zum Priester ausgebildet wurden - und ich überholte nahezu alle, die vor mir
begonnen hatten.
Während meiner Ausbildung erinnerte ich mich an immer frühere Leben.
Lange, lange, hatte ich mich bemüht, für das Gute zu arbeiten. Ich war einer
von denen, die den Aufbau des Sternenreiches Sphinx erst ermöglicht hatten, in
dem wir lebten. Durch unermüdliche Friedensarbeit. Ich verfolgte meine
Erinnerungen weiter zurück. Davor waren andere Leben, in denen ich auch nach
dem Guten strebte, aber noch nicht in die Arbeit der Hüter des Lichts eingebunden.
Dann kam ich zum Anfang der Zeit - und ich merkte, dass ich davor vom Ende der
Zeit zum Anfang der Zeit gereist war und andere Leben in diesem Universum
gelebt hatte. Auch das waren Leben in denen ich Gutes tat - oder es zumindest
versuchte, so gut ich es vermochte. Es erschien mir aber erschreckend, wie
schwer es mir damals erschien, richtig und falsch auseinanderzuhalten.
Zu der Zeit wurde mir gesagt, dass ich sicherlich in wenigen Tagen in
den Tempel berufen würde. Ich war 8 damals.
Ich ging noch weiter zurück - und kam in ein Leben in dem ich Menschen
nur zu meinem Vergnügen gefoltert hatte. Ich war absolut erschüttert, so etwas
über mich erfahren zu haben. Für mich in meiner damaligen Persönlichkeit war so
etwas absolut unvorstellbar. Ich verstand einfach nicht, wie ich jemals so
etwas hätte tun können.
Der Priester, der mich durch diese Erinnerungen begleitet hatte, sagte
mir, ich müsse diese Erinnerungen zuerst aufarbeiten, bevor an einen Eintritt
in den Tempel zu denken sei.
Ich gehorchte.
Ich stellte fest, dass es nicht das einzige derartige Leben war. Davor
gab es andere, in denen ich es noch schlimmer getrieben hatte. Viele Leben.
Schreckliche Leben, in denen ich zutiefst unglücklich war. Tag für Tag
entdeckte ich neue Verbrechen, die ich in früheren Leben begangen hatte. Und
mit jedem Tag war ich tiefer verschreckt und entsetzt über das, was ich in mir
selbst entdeckte. Die Priester aber die mich ausbilden sollten waren noch
entsetzter als ich darüber.
Ich hatte in den vorhergehenden Jahren gelernt, dass man solche Dinge
aufarbeiten muß, um zum Tempeldienst bereit zu werden. Also arbeitete ich auf.
Mit dem einzigen Effekt, dass ich noch mehr solche Leben entdeckte. Immer mehr.
Als er etwa 12 war und ich vierzehn, wurde mein jüngerer Bruder in den
Tempel von Mu berufen, um für die Einweihung ausgebildet zu werden. Ich freute
mich für ihn. Am selben Tag wurde ich dann in das Zimmer gerufen, wo Schülern
eine solche Berufung üblicherweise mitgeteilt wird.
"Jarthi, du weiß was in den letzten Jahren bei dir für Erinnerungen
ans Licht gekommen sind."
Ich nickte. Selbstverständlich wußte ich das.
"Und Du kannst sicher verstehen, dass jemand der so viel Böses getan hat,
es niemals aufarbeiten und zum Tempel bereit werden kann."
"Nein!" widersprach ich und fühlte mich in der Seele getroffen.
"Wer zu solchen Taten bereit ist, ist nicht geeignet, auch nur über einen
Menschen Befehl zu führen."
"Aber ich bin doch gar nicht zu solchen Taten bereit! Das ist doch länger
her als das Universum alt ist." protestierte ich.
"Es ist noch nicht aufgearbeitet, und deshalb gibt es keine Sicherheit.
Also wirst du am Hanai-Berg den Einzel-Außenposten versorgen. Der Rat ist sich
einig."
Ich starrte ihn fassungslos an, brachte kein Wort heraus. Das hieß jeder
einzelne Mann im Rat war der Meinung, dass ich zu mehr nicht zu gebrauchen war,
dass ich böse war. Und das waren über tausend. Ich brachte vor
Fassungslosigkeit kein Wort heraus, drehte mich nur um und floh in mein Zimmer,
wo ich in Tränen ausbrach. Und die Tage, bis ich abreisen mußte, habe ich nur
geweint und geschlafen. Ich habe nichts gegessen und auch nichts getrunken.
Erst ale ich alleine auf dem mir zugewiesenen Posten war, riß mich eine
Disziplin, die ich in vielen hundert Leben entwickelt hatte, in denen ich als
Hüter des Lichts für den Frieden gekämpft hatte, aus meiner Lethargie: Egal wie
ungerecht die anderen zu mir waren, ich würde jede notwendige Aufgabe so gut
erledigen, wie das in meinen Kräften stand. Mir war in vergangenen Leben
wirklich schon Schlimmeres angetan worden als eine Verbannung auf einen
ungeliebten Außenposten. Der zweite Teil dieser Disziplin war: Man gibt niemals
auf. Selbst dann nicht, wenn man keine Hoffnung sieht. Also arbeitete ich
weiterhin daran, meine häßlichen Erinnerungen aufzuarbeiten.
Ich hatte viel Arbeit. Mehr als ich in den Stunden, die ich nach den
Regeln arbeiten hätte müssen, bewältigen konnte. Zuerst dachte ich, es läge
daran, dass ich mich noch nicht eingearbeitet hatte. Ich arbeitete länger, weil
manche Dinge nicht liegenbleiben durften. Doch als ich alle Arbeiten
beherrschte, war es immer noch nicht in den vorgeschriebenen Arbeitszeiten zu
schaffen. Nicht einmal das, was ich wirklich nicht liegenlassen konnte.
Als Telepath durfte ich das niedere Telepatienetz für private Gespräche
benutzen und das tat ich auch hin und wieder, um mit meinen alten Freunden zu
sprechen. Zu meiner Enttäuschung merkte ich, dass die meisten sich nach meiner
Verbannung von mir abwandten. So hatte ich bald nur noch Kontakt zu denjenigen,
die mit mir arbeiten mußten und zu meinem Vater. Meinen Bruder durfte ich
während seiner Tempelausbildung nicht ansprechen, denn er mußte von allen
niederen Gedanken Abstand wahren. Meine Gedanken wurden als niedere Gedanken
eingestuft - das stimmte auch, denn ich war innerlich zutiefst verletzt, weil
ich so verstoßen worden war. Da ich ihn nicht bei seiner Arbeit in Gefahr
bringen wollte, hielt ich mich an die Regel.
Nach etwa einem halben Jahr kam ich zu dem Ergebnis, dass es so nicht
weiterging. Es geht nicht an, dass an einem Außenposten über Monate hinweg
immer nur das Nötigste getan wird und dass niemand da ist in Notfällen, wenn
irgendetwas kaputtgeht oder so, noch einmal so viel arbeiten könnte, um Schäden
wieder in Ordnung zu bringen. Es war ein unhaltbarer Zustand und ich war nicht
bereit, ihn weiter hinzunehmen. Also flocht ich in jedes Gespräch, was ich von
da ab führte, ein, dass ich Hilfe bräuchte.
Die Antworten darauf waren entmutigend. Ich sei eben faul und unfähig. Ich
sei selber Schuld, dass ich keine Hilfe hätte, wenn ich so instabil wäre. Die
anderen hätten es doch auch geschafft.
Keine dieser Antworten war richtig. Wenn ich wirklich faul wäre, wäre
ich gewiß nicht jeden Tag dermaßen erschöpft ins Bett gefallen. Wenn ich
unfähig wäre, wäre ich in den ersten Jahren im Tempel nicht als die große
Zukunftshoffnung betrachtet worden. Und wenn ich instabil wäre, wäre das gewiß
nicht meine Schuld. Meine Vorgänger hatten, wie ich den Berichten über die
Geschichte des Außenpostens entnehmen konnte, nach einer kurzen Zeit der
Eingewöhnung nicht einmal die Hälfte von dem geschafft, was ich tat. Das hatte
immer wieder zu Unfällen geführt, an denen die meisten von ihnen starben. Aber
daran wären sie ja auch selbst schuld, wenn sie so schlamperten. Meinte die
Untersuchungskommission jeweils.
Ich war nicht bereit aufzugeben und dadurch dieselbe Art von Unfällen
heraufzubeschwören, noch mich damit abzufinden, dass ich ständig anderthalb mal
so lange arbeiten mußte, wie jeder andere im Land, nur um nicht bald bei einem
lebensgefährlichen Unfall zu sterben. Also bestand ich auf meiner Forderung
nach Hilfe und wiederholte sie in jedem Gespräch nach außen. 2 Jahre lang
zeigte das keine Wirkung.
Die Linuartina hatte die Aufgabe die Lichtkristalle neu zu stimmen,
wegen denen diese Außenposten erbaut worden waren. Den Kristall selber durfte
ich weder geistig noch körperlich berühren, ich mußte aber die Gebäude und die
Maschinen pflegen, die mit diesem Kristall betrieben wurden. Bevor sie kam,
mußte ich einen Monat fasten, durfte keine telepathischen Kontakte pflegen,
mußte täglich fünf Stunden meditieren und die Räume von allen schädlichen
Energien reinigen. Solange die Linuartina da war, durfte ich nicht einmal in
meine eigenen Wohnräume, sondern mußte mich in eine winzige Hütte einen halben
Kilometer weit weg zurückziehen.
An all diese Regeln hielt ich mich gewissenhaft, denn obgleich ich
eigentlich der Ansicht war, dass ich genausogut für solche Aufgaben geeignet
wäre wie sie - und dass ich eine solche Aufgabe wollte - lebte ich doch nicht
das Leben einer Linuartina und es wäre gefährlich gewesen, ihr in die Arbeit
hineinzupfuschen. Nicht nur für sie, sondern für das ganze Land. Nach diesen
Zeiten war ich immer sehr traurig, weil es mich so daran erinnerte, was ich
eigentlich in meinem Leben hatte machen wollen.
Eines Tages - am Ende der drei Tage, wo die Linuartina arbeiten sollte -
kam sie zu mir heraus.
"Was tust du hier? Du weißt doch, dass du nach einem Kontakt zu
Außenstehenden wie mir erst ein halbes Jahr der Reinigung einlegen mußt, ehe du
wieder arbeiten kannst." tadelte ich sie.
"Die Arbeit hier ist erledigt und ich mache danach sowieso ein paar Jahre
Urlaub bei meiner Familie und will Kinder bekommen. Meine Schwester wird sie
aufziehen, wenn ich zu meiner Arbeit zurückkehre."
"Ach so." sagte ich besänftigt.
"Aber warum ich eigentlich komme: Ich wollte fragen, warum hier alles so
anders ist als an den anderen Außenposten."
"Wie anders?"
"Sauber, ordentlich, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet. Die
Räume sind mit reiner Energie gefüllt. Wenn auch längst nicht alle Arbeit getan
ist."
"Ich kann dir zumindest sagen, warum es anderswo nicht so ist: Die Arbeit
ist nicht einmal in der doppelten vorgesehenen Arbeitszeit zu schaffen. Ich
beschwere mich seit zwei Jahren bei jedem, der mir lange genug zuhört, um die
Beschwerde anzuhören." erklärte ich.
"Das glaubst du doch selber nicht!" widersprach sie.
"Schau in meinen Erinnerungen nach. Aber laß uns dazu hoch ins Haus gehen.
Dort sind die Bedingungen dazu besser." sagte ich.
"Was soll ich mit deinen Erinnerungen - ich gehöre nicht zu deiner Familie
und bin nicht deine Geliebte." sagte sie.
"Irgendjemanden muß ich überzeugen. Mein Vater hört mir nicht zu und mein
Bruder ist in Hochheiligen Bezirk des Tempels in Ausbildung. Du hörst mir
wenigstens so weit zu." antwortete ich.
Sie sah mich zuerst fassungslos an - niemand setzt sich freiwillig einer
Geistlesung durch einen Fremden aus. Dann wurde ihr Blick nachdenklich und
prüfend, sie erspürte mein Energiefeld und die ruhige und sichere
Entschlossenheit dahinter.
"Wie du meinst." sagte sie.
Wir gingen gemeinsam hoch zu der Hütte und traten dort ins Krankenzimmer
ein. Ich legte mich auf die Liege und sie schnallte meine Arme und Beine so
fest, dass ich mich nicht rühren konnte. Das war eine Sicherheitsmaßnahme. Wir
waren eben keine Liebenden und es ist nie ganz auszuschließen, dass eine solche
Lesung des Geistes zu Krämpfen führt, oder dazu, dass jemand in Panik so um
sich schlägt, dass er den Untersucher verletzt. In beiden Fällen ist es auch
für den Untersuchten besser angeschnallt zu sein, so dass er sich nicht
verletzen kann.
Vorsichtig berührte sie meinen Geist und ich holte sie herein. Dann
führte ich sie durch meine Erinnerungen an die Ankunft hier und an all die
Monate bis zum heutigen Tag. Als sie fertig geschaut hatte, fragte sie mich
verwirrt:
"Aber eines verstehe ich nicht. Warum wurdest du überhaupt hierher
verbannt? Ich habe selten einen innerlich so stabilen Menschen geschaut."
"Ich will dir auch das zeigen." antwortete ich.
Zuerst zeigte ich ihr, dass ich solange das Universum bestand, nichts Böses
getan hatte. Das steigerte ihre Verwirrung erheblich.
"Bedenke, dass die meisten sich nicht weiter zurückerinnern."
erklärte ich ihr.
Dann zeigte ich ihr wie ich noch einmal halb so lange, wie das Universum
bestand stets mein Bestes getan hatte, um Gutes zu tun. Das steigerte ihre
Verwirrung noch mehr.
"Bedenke, dass ich bis hierhin nichts getan hatte, wofür ich verbannt
worden wäre." gab ich ihr zu bedenken.
Dann zeigte ich ihr das Leben, in dem ich mich dem Guten verschworen hatte. Es
war das erste Leben, in dem ich mich daran erinnerte andere gefoltert zu haben.
"Damals habe ich geschworen nur Gutes zu tun - und diesen Schwur habe ich
bis zum heutigen Tag gehalten, so gut ich es vermochte."
Dann zeigte ich ihr all die üblen Dinge, die ich davor getan hatte.
"Das hat die Herren im Tempel so erschreckt. Aber aus meiner Sicht ist es
unlogisch zu vermuten, dass ich nach so vielen Millionen Jahren, in denen ich
den Schwur nach besten Kräften gehalten habe, ihn plötzlich brechen sollte, nur
weil ich beginne, mich zu erinnern, was vorher war." erklärte ich.
Und so - nachdem ich die Überlegungen für mich selbst in den vergangenen
zwei Jahren geordnet hatte, schien es auch ihr einsehbar.
"Ich werde sehen, was ich tun kann, damit du eine Hilfe bekommst."
sagte sie mir.
"Ich bin nicht derjenige, der dieser Hilfe am Dringendsten bedarf. Jedem
Außenposten geht es ähnlich wie mir - und ich bin einer von den stärksten, die
Ungerechtigkeit und Überforderung ab besten verkraften." gab ich zu
bedenken.
"Es ist aber schwieriger für die anderen eine Lösung zu finden. Dir kann
man einen Helfer anvertrauen, ohne um ihn fürchten zu müssen." sagte sie.
Ich nickte.
"Denk trotzdem über eine Lösung nach. Eine unerfüllbare Aufgabe haben auch
Verbannte nicht verdient. Auch ich werde nach einer Lösung suchen." sagte
ich ihr.
Im alten Mu war es undenkbar einen Angehörigen der niederen Rasse in die
Hände eines Menschen zu geben, der ihn mißhandeln oder ungerecht zu ihm sein
könnte. Das Volk war heilig - und die Herrscher waren verpflichtet ihnen zu
dienen und für ihr Wohlergehen zu sorgen.
Das einfache Volk war ebenso wohlhabend in Mu wie seine Herren, hatte
jedoch weitaus mehr Freiheiten. Und so harte Strafen wie die Verbannung gab es
für das einfache Volk nicht.
Zwei Tage später kam ein Flugwagen zum Außenposten. Ich war überrascht.
So etwas geschah selten. Nur einmal in einem halben Jahr - um die Vorräte in
der Hütte aufzufüllen. Ich trat heraus, um die unerwarteten Gäste zu begrüßen -
was immer sie auch wollten. Doch sie waren schon wieder eingestiegen, ohne mich
auch nur zu begrüßen. Nur ein kleiner, dunkler Mann war zurückgeblieben. Ich
sah auf den ersten Blick, dass er verkrüppelt war.
In dem Augenblick spürte ich einem geistigen Impuls vom Piloten des
Flugwagens:
"Der dürfte wohl gut genug sein für Dich." hinter diesen Worten lag
eine Verachtung, als wäre ich ein Stück Scheiße.
Mich traf das mitten ins Herz. Ich drehte mich um, floh in die Hütte und warf
mich weinend ins Bett. Das erinnerte mich zu sehr an meine Verbannung hierher,
riß die Wunde von damals wieder auf.
Nach wenigen Augenblicken wurde mir klar, dass ich das nicht hätte tun
dürfen. Der Mensch konnte keine Gedanken lesen und mußte deshalb annehmen, dass
ich ihn verachtete. Ich stand auf, ging hinaus zu dem Mann:
"Ich wollte mich entschuldigen. Dass ich eben hineingerannt bin, hatte
nichts mit dir zu tun. Wie du sicher weißt, sind wir fähig, uns in Gedanken zu
unterhalten. In dem Augenblick als ich dich anschaute hat mir der
Flugwagenpilot eine ziemlich boshafte Bemerkung an den Kopf geworfen. Und das
hat mich an all das erinnert, was dazu geführt hat dass ich hierher verbannt
wurde. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass ich nicht freiwillig hier bin.
Es hat nichts mit dir zu tun. Ich freue mich, dass du hier bist. Ich kann nicht
behaupten, dass es daran liegt, dass du's bist. Dazu kenne ich dich noch nicht
gut genug. Aber das wird wohl noch kommen, wenn wir uns kennenlernen.
Willkommen hier. Und komm herein, ich habe gerade Tee für mich gekocht, als sie
so unangemeldet kamen, dann können wir jetzt gemeinsam zu abend essen." sagte
ich und lächelte ihm zu.
Er sah mich schräg von unten an - er war kleiner als ich - und lächelte dann,
aber so, als sei er sich nicht sicher, ob er mir trauen könnte. Er hatte ganz
offensichtlich Angst vor mir.
Dummerweise hatte ich ihm genau das vorgeführt, was offiziell der Grund
war, weshalb Mitglieder der Herrscherrasse in die Berge verbannt würden.
Verbannt wird, wer zu unausgeglichen ist, um einen Untergebenen gut zu
behandeln. Und es brauchte Wochen unausgesetzte Geduld und Freundlichkeit, bis
er aufhörte, mich vorsichtig zu beobachten, ob ich ihm irgendetwas Böses tun
würde.
Danach war er mir eine wachsende Freude. Immer war er gut gelaunt, tat
fleißig seine Arbeit und strahlte über jedes freundliche Wort von mir. Als er
auch noch anfing, ständig nach Gelegenheiten zu suchen, wie er mir eine Freude
machen könnte, kam es mir schließlich merkwürdig vor.
"Sag mal Jeri, wie war es denn da, wo du vorher gearbeitet
hast?" fragte ich ihn.
Sein Gesicht verlor sofort dieses fröhliche Strahlen, was für ihn so typisch
war.
"Nicht schön, wie?" fragte ich.
"Ich bin doch ein Krüppel." antwortete er.
Ich empfing Bilder von Erniedrigung und Spott, die sein Leben geprägt hatten,
bis er zu mir kam.
"Und ich habe mein Leben lang gedacht, ich würde in einer besseren Welt
leben, als ich tatsächlich lebe. Jedenfalls bis vor zwei Jahren etwa."
ergänzte ich.
Ich umarmte ihn und in mir erwachte ein wilder Zorn. So etwas sollte kein
Mensch erleben müssen. Niemand von MEINEM Volk durfte so verachtet und
erniedrigt werden.
Bei dem Gedanken lächelte ich über mich selbst. Das stammte aus einem
anderen Leben. Damals waren die Menschen der Erde wirklich mein Volk gewesen.
Zwei Drittel der Kinder kamen mit schweren Geburtsschäden zur Welt. Damals
hatte ich das Gesetz eingeführt, dass Kinder mit ernsthaften Verkrüppelungen
unfruchtbar gemacht werden mußten - denn sonst wäre der Anteil an
Schwerstbehinderten, die zu keiner Arbeit fähig wären, so hoch geworden, dass
ich sie hätte töten lassen müssen, damit die anderen nicht verhungern, weil
schlicht nicht genug Menschen da waren, um die zum Überleben notwendige Arbeit
zu tun. Jetzt war dieses Gesetz unnötig. Wir könnten wesentlich mehr vollkommen
Arbeitsunfähige mitversorgen, als hier je zur Welt kommen würden und wir
konnten genetische Schäden heilen. Dennoch war das Gesetz immer noch in Kraft.
Und es wurde auf Leute wie Jeri angewandt, die zu meiner Zeit zu den vollkommen
Gesunden gezählt worden wären. Da lief eindeutig etwas falsch. Ich überlegte,
mit wem ich darüber würde sprechen können.
Mir fiel nur Zithia ein, die ehemalige Linuartina. Ich konzentrierte
mich auf ihre Persönlichkeit mit der Anfrage, ob sie Zeit für mich hätte. Ich
war überrascht mit welcher Freude und Herzlichkeit sie mich begrüßte. Dann
dachte sie sofort an Jeri. Ich erinnerte mich, was er in den letzten Wochen
getan hatte und wie glücklich ich über ihn war und immer noch bin. Sie war
überrascht wie begeistert ich von meinen Diener war.
"Und er? - Frag ihn, ob er zufrieden ist."
"Jeri - ich spreche gerade mit Zithia. Sie möchte wissen, ob du zufrieden
bist. Was soll ich ihr sagen?"
"Zufrieden? Ich war noch nie so glücklich wie hier!"
Ich gab seine Antwort weiter und spürte wie ihr ein Stein vom Herzen fiel.
Dann teilte ich ihr meine Überlegungen zu dem Kastrationsgesetz mit.
"Das dachte ich auch schon. Ich werde sehen, ob ich es in den Rat bringen
kann. Aber mach dir keine zu großen Hoffnugen. Die Gesetze der Retia werden
nicht in Frage gestellt." antwortete sie.
"Die waren auf eine ganz andere Situation zugeschnitten und damals hätte
er als gesund gegolten."
Die Retia - dass war ich in jenem Leben, in dem ich das Gesetz aufgestellt
hatte. Schmunzelnd ließ ich Zithia meine Erinnerungen an die Gründe für dieses
Gesetz - und daran wie sehr ich trotz dieser harten Tatsachen daran gezweifelt
hatte, dass es richtig war, ein solches Gesetz aufzustellen.
"Und jetzt gibt es nicht einmal mehr eine Notwendigkeit für ein solches
Gesetz." sagte ich in der Gedankensprache.
Es stand mir nicht zu, meinem Diener mehr Arbeit abzuverlangen, als die
Regeln vorschrieben. Doch für mich galten andere Gesetze:
Als Mitglied der Herrscherrasse hatte ich eine Aufgabe gestellt bekommen und
war verpflichtet sie zu erfüllen, ganz gleich wie die Bedingungen sind. Auf
einem anderen Posten hätte ich so viele Hilfskräfte anfordern können, wie
nötig. Und offensichtlich schien es niemanden zu interessieren, dass ich das
auf meinem Außenposten nicht konnte - ich hatte die Pflichten aber nicht die
Rechte der Herrscherrasse.
Also arbeitete ich weiterhin anderthalb mal so viel wie üblich - nur mit
dem Unterschied, dass jetzt mit der Hilfe meines Dieners alles zu bewältigen
war, was ich tun mußte.
Mein Diener allerdings sah das nicht ein - ohne dass ich ihm etwas
sagte, übernahm er einen größeren Teil der Arbeit, bis wir etwa gleich viel
taten.
Mir fiel auf, dass die Energie in unseren Räumen inzwischen so rein
geworden war, wie manche Teile des niederen Tempels. Daraufhin beschloß ich,
jeden Teil unserer Räume täglich ein wenig zusätzlich zum Vorgeschrieben zu
reinigen, um zu schauen, wie weit mein Helfer dazu fähig war, das mitzumachen.
Ich erreichte innerhalb von Wochen einen Grad der Reinheit, wie ich ihn in
jenem Leben noch nicht kennengelernt hatte. Nicht einmal wenn ich die Räume für
die Linuartina vorbereitet hatte. Er entwickelte Fähigkeiten und machte jenen
Teil der Ausbildung mit, den ich ungestraft jedem weitergeben durfte. Mehr
hatte ich ja sowieso nicht gelernt.
Damals, als ich die Retia gewesen war, war das einfache Volk aufgrund
der genetischen Schäden schwachsinnig gewesen, so dass ich am Ende heilfroh
war, die Herrschaft an Helfer von anderen Planeten abgeben zu können. Jetzt -
so wurde mir klar - war ein Teil des einfachen Volkes zu einer Tempelausbildung
fähig - aber bekam sie aufgrund alter Vorurteile nicht.
Ich nutzte die durch das ständige Reinigen gewonnene Energie, um meinen
Diener zu heilen. So dass er nach ein paar Wochen ein völlig gesunder und
zeugungsfähiger Mann war. Danach wurde mir bewußt, dass ich jetzt bei dieser
starken, reinen Energie die Möglichkeit hatte, die meisten meiner Aufgaben
durch telepathische Arbeit zu automatisieren. Ich tat es. Und plötzlich war die
Arbeit meines Außenpostens durch eine einzige Person zu bewältigen.
Ich vertrieb mir die so gewonnene Zeit, indem ich die telepatischen
Fähigkeitenmeines Dieners weiter schulte, ihm beibrachte, das niedere
Telepatienetz zu benutzen. Das durfte jeder, der dazu fähig war.
Gerade als ich so weit war, kam ein fremdes Luftschiff. Ich merkte es an
einem Schwall verschmutzter Energie, der hereinschwappte, und ging hinaus, um
den Neuankömmling zu begrüßen. Doch das erste, was von ihm kam, als er mich
sah, war dermaßen viel Hochmut, dass ich erst einmal nicht mit ihm redete,
sondern mit Hilfe meines Dieners die negativen Energien neutralisierte, als
wäre er ein Gast in den höchsten Tempelbezirken.
Er wirkte daraufhin ziemlich verwirrt und deshalb verärgert:
"Was soll das - ich bin der Inspektor und du bist nur ein
Verbannter!"
"Dies hier ist ein Außenposten der Tempelwache und ist deshalb so rein zu
erhalten wie die Tempelwache selbst, da anders die telepathischen Schaltkreise
zusammenbrechen würden. Wenn Ihr als Gast hier weilen wollt, dann mäßigt eure
Gedanken." gab ich die formellen Worte der Tempelwache an unbotmäßige
Gäste zurück, die seit über hundert Jahren in den Außenposten nicht mehr
verwendet worden waren.
Ihm blieb der Mund offen stehen. Dann wollte er in die Hütte gehen - und rannte
gegen den Schutzschleier, den ich gerade eben errichtet hatte. Zornig fuhr er
zu mir herum.
"Mäßigt eure Gedanken, dann seid ihr fähig, einzutreten." befahl ich
ein zweites mal.
Er starrte mich an und fragte schließlich:
"Und der Diener, was wird aus dem, wenn ihr solch hohe Forderungen
stellt?"
"Der hält seine Energien vorbildlich rein." erwiderte ich.
Der Inspektor besann sich auf das, was er als Kind im Tempel gelernt hatte und
reinigte seine Energien ein wenig.
Dann trat er durch den Schleier und inspizierte den Außenposten
gründlich. Schließlich aß er bei uns zu Abend und bekam berichtet, was ich
alles getan hatte.
"Ich habe noch eine Bitte: Da ich jetzt die Zeit dazu habe und mein Diener
die Arbeit hier vorübergehend allein bewältigen kann, würde ich gerne die
anderen Außenposten betreuen dürfen und ihnen helfen, ihre Energien so weit zu
reinigen, dass auch sie mit telepathischen Schaltkreisen arbeiten können."
beendete ich unser Gespräch.
Einen Tag später hatte ich von der Tempelwache die offizielle Erlaubnis
die höheren Telepatiekreise zu verwenden und den Auftrag die Aufgabe zu
übernehmen, um die ich gebeten hatte. Dafür bekam ich ein eigenes Luftschiff
zur Verfügung gestellt.
Ich erkundigte mich nach der Besetzung der Außenposten und flog als
erstes zu dem Außenposten, der erst vor ein paar Tagen einen neuen Hüter
bekommen hatte. Als ich landete, kam er nicht heraus, um mich zu empfangen.
Also ging ich zur Tür und klopfte. Keine Reaktion. Ich ging rein und
durchsuchte die Räume, die mit Verzweiflung erfüllt waren.
Schließlich entdeckte ich ihn. Er lag auf seinem Bett und weinte.
Schweigend kniete ich neben ihm nieder und berührte ihn sacht. Er nahm meine
liebevolle Energie an und begann noch heftiger zu Schluchzen. Ich streichelte
ihn, bis er sich beruhigt hatte. Dann ließ ich mir erzählen, was er in den
letzten Tagen gemacht hatte: nichts außer essen, weinen und schlafen.
Schließlich überredete ich ihn, mit mir zusammen erst einmal die wichtigsten
Aufgaben zu erledigen. Danach war er so müde, dass ich ihn schlafen ließ und
alleine die Räume von den Energien der Verzweiflung reinigte.
Schließlich legte ich mich erschöpft im Gästezimmer schlafen. Am
nächsten Morgen weckte er mich und fragte, ob ich mit ihm frühstücken wolle.
Ich fragte ihn, ob er seine Energien schon gereinigt hätte. Als er verneinte,
bestand ich darauf, dass er das vor dem Frühstück tat. Dann segnete und
reinigte ich die Energie des Frühstücks und wir aßen gemeinsam. Schließlich
erledigten wir gemeinsam alle notwendigen Arbeiten und dann reinigte wir
diesmal gemeinsam das gesamte Gebäude so gründlich, dass es reiner war, als die
umgebenden Berge. Ich installierte den Schleier. Am nächsten Tag wurden die
Telepathischen Schaltkreise installiert. Dabei wurde ich durch meinen Diener
unterbrochen, der mich bat zurückzukehren, um ihm bei der Reparatur eines
Schaltkreises zu helfen, der ihm zusammengebrochen war. Ich bat ihn, bis morgen
zu warten. Dann beendete ich meine Arbeit hier und flog am nächsten Tag heim.
Die Energie war in meiner Abwesenheit etwas abgesunken. Ich reinigte erneut,
dann installierte ich den beschädigten Schaltkreis neu und stimmte einen
verstimmten Lichtkristall neu. Die Linuartina würde es bei ihrem nächsten
Besuch besser machen, aber er war so gründlich verstimmt, dass es besser war,
wenn ich etwas dran tat, statt so lange zu warten.
Ich ruhte mich ein paar Tage aus, brachte alles in eine so perfekten
Zustand wie möglich. Dann besuchte ich meinen Schützling noch einmal und half
ihn die Energien zu reinigen, bis sie reiner waren als sonst vor dem Besuch der
Linuartina. Auch hier stimmte ich einige Lichtkristalle nach.
Dann machte ich zuhause noch einmal einen Besuch, kontrollierte, ob
alles perfekt in Ordnung war und ging dann zu demjenigen, der seit einem halben
Jahr einen Außenposten übernommen hatte.
Er war besoffen, als ich ankam. Ich schützte meinen Flugwagen vor
Übergriffen, indem ich ihn mit einem Schleier umgab, kippte sämtlichen Alkohol
aus und begann kommentarlos die Energien zu reinigen. Diesmal dauerte es
Wochen, bis alles so weit in Ordnung war, dass ich ihn alleinlassen konnte. Er
war kaum zur Mitarbeit zu bewegen.
Mein Diener zuhause hatte seine Aufgaben zwar besser bewältigt als beim letzten
mal - aber dennoch war er heilfroh, dass ich zurückkehrte und all das, was ihm
nicht so richtig gelungen war, wieder in Ordnung brachte. Ich blieb, bis die
Energien deutlich reiner waren als vor dem letzten Aufbruch, und fastete, dann
war es Zeit für die Linuartina zu kommen und wir flogen gemeinsam los, um
zuerst meine ersten beiden Schützlinge zu besuchen, und ihnen zu helfen, bis
die Energien deutlich klarer waren, als nach Abschluß meines jeweiligen letzten
Besuches.
Dann war noch ein halber Monat Zeit um den Nächsten zu besuchen. Er
hatte zumindest das nötigste erledigt, wie ich am Anfang. Vierzehn Tage Hilfe
von uns beiden reichte deshalb, dass dort alles so gut in Ordnung war wie bei
mir. Das war auch gut so, denn er erwartete dann die Linuartina und ich brachte
meinen Diener nach Hause, während er mich für einem Monat zum nächsten
Außenposten begleitete, den, zu dem die Linuartina als nächstes kommen würde.
Der Mann war nicht gerade begeistert, dass wir in den ersten vierzehn Tagen
aßen, während er schon fasten mußte. Doch wir konnten ja nicht pausenlos
fasten, ohne unsere Gesundheit zu ruinieren. Danach war alles so weit in
Ordnung, dass ich ging, meine Schützlinge besuchte und nur den Außenposten als
Hilfe daließ, bis die Linuartina kam. Dann holte ich beide ab, brachte den
einen zur Arbeit zu seinem eigenen Außenposten zurück und nahm den anderen zum
nächsten Außenposten mit, zu dem die Linuartina kommen sollte.
Dort stand alles Kopf. Wir hatten einen Monat härtester Arbeit, damit
dort wieder ein einigermaßen tragbarer Zustand einkehrte. Die Schaltkreise
konnte ich aber selbst am letzten Tag noch nicht installieren, weil die Energie
nicht rein genug war.
Als wir gemeinsam zum nächsten Außenposten flogen, stellte ich fest,
dass dort die Verhältnisse genauso desolat waren. Wir erreichten noch weniger,
da mein jetziger Helfer bei weitem nicht so gut war, wie der letzte. Als die
Linuartina kam, flog ich mit beiden zurück zum letzten Außenposten, wir
stimmten dort die Schaltkreise ein und reinigten die Energien und schließlich
waren wir so weit, dass alles von einem Mann zu betreuen war.
Danach war ich erschöpft, brachte den letzten Mann auf seinen eigenen
Außenposten zurück und kehrte zu meinem Posten heim. Hier erholte ich mich von
den Anstrengungen und brachte alles so weit in Ordnung wie möglich. Das dauerte
einen Monat. Danach erkundigte ich mich bei der Tempelwache nach dem Stand der
Dinge, berichtete ihnen was ich getan hatte und besuchte dann noch einmal der
Reihe nach jeden meiner bisherigen Schützlinge. Es war keinem gelungen, den
Stand, den wir bei meinem letzten Besuch erreicht hatten, alleine aufrecht zu
erhalten. Ich half ihnen, bis alles noch ein wenig besser in Ordnung war, als
bei meinem letzten Besuch. Das dauerte zwei Monate, dann erst besuchte ich den,
der einen Monat später Besuch von der Linuartina erhalten würde und half ihm
bei der Arbeit. Es war wieder einer der Fälle, wo es schien, das Hopfen und
Malz verloren wären und wo wir es, bis die Linuartina kam, nicht schafften, alles
so weit in Ordnung zu bringen, dass ich die telepathischen Schaltkreise
errichten konnte.
Danach besuchte ich zusammen mit ihm den nächsten und wir halfen ihm,
bis die Linuartina ihn besuchte. Danach kehrten wir zu dritt zu dem ersten
zurück, brachten dort alles so weit in Ordnung, dass wir die telepathischen
Schaltkreise errichten konnten.
Die Linuartina brauchte drei Jahre, um alle Außenposten durchzugehen.
Ich brauchte neun, bis ich alle so lange betreut hatte, dass die telepathischen
Schaltkreise überall durchgehend ein Jahr lang funktionierten ehe ich oder
derjenige, bei dem gerade die Linuartina war, erneut 14 Tage zu Besuch kam.
Danach funktionierte der Schirm, der durch die Außenposten betrieben wurde,
zuverlässiger als in den letzten hundert Jahren.
Laut den ursprünglichen Arbeitsanweisungen für die Außenposten war ich,
solange mein Posten in Betrieb war, die Abschirmung stand und die Energie
innerhalb des Schleiers rein genug war, um telepathische Schaltkreise laufen zu
lassen, befugt in das durch die Lichtchristalle erreichbare Christallnetz zu
gehen und alle dort eingespeicherten Lebenserinnerungen abzurufen. Ich fragte
nicht, ob diese Regeln noch gelten - denn mir wäre höchstwahrscheinlich mit
nein geantwortet worden - und machte von diesem Recht Gebrauch. (Heutzutage ist
dieses Netz als Akascha-Chronik bekannt.) Die Informationen, die ich dort fand,
beunruhigten mich zutiefst:
Die Regierung befürchtete jederzeit eine Invasion der Feinde. Jedoch hatten wir
nicht genügend Eingeweihte, um den Verteidigungsschirm um die Erde voll in
Betrieb zu nehmen.
Ich wußte eine Lösung für dieses Problem - wenn ich genug Menschen fand,
die so gute Anlagen hatten wie mein Diener, wäre es kein Problem, sie zu
Eingeweihten auszubilden. Nur alte Vorurteile, dass Menschen dazu grundsätzlich
nicht fähig seien, hinderten uns daran, diese Fähigkeiten aus dem Volk zu
nutzen.
Mein Ansehen war in diesen Jahren gestiegen. Mir wurde erlaubt, mich
frei im Lande zu bewegen und auch in den niederen Bezirken der Tempel war ich
wieder willkommen. Doch der Makel der Verbannung blieb haften. Die Priester des
inneren Tempels, die in die Außenbezirke durften, hörten mir nicht zu, wenn ich
Vorschläge machte.
Also besuchte ich die alte Linuartina, die auf dem Hof ihrer Eltern
immer noch bei ihren Kindern lebte und besprach mit ihr meine Überlegungen. Sie
stimmte zu, dass auch sie genug Menschen gefunden hatte, die man zu
Eingeweihten ausbilden könnte.
"Nur brauchen wir ja nicht Menschen mit den niederen Einweihungen wie man
sie in den äußeren Bezirken des Tempels erhält sondern Hochgeweihte, die ihre
Fähigkeiten nur in der reinen Athmosphäre eines Tempels erwerben können."
gab sie zu bedenken.
"Das ist wahr - doch mein Außenposten wird das ganze Jahr über rein genug
gehalten, um eine solche Ausbildung zu gewährleisten. Dort könnte man
Hochgeweihte ausbilden. Mein Problem ist, dass das früher oder später bekannt
werden wird und wir dann Leute im hochgeweihten Rat brauchen, die uns decken.
Vielleicht kannst du mir einen Rat gegen, an wen ich mich da wenden
könnte." antwortete ich.
"Die neue Linuartina ist vernünftig - aber noch sehr jung und die Herren
werden dich nicht zu ihr hinlassen."
"Ich hatte nicht vor, sie zu fragen. Ich werde mittels geistigem Reisen
gleich im hochheiligen Bezirk auftauchen."
Sie lachte.
"Willst du im Ernst behaupten, dass du deinen Schirm genau genug dazu
gestimmt hast? Der Hauptschirm ist nämlich nur halb gestimmt."
"Das wird sich inzwischen wohl gebessert haben. Die Linuatina hat
schließlich mehr Zeit als früher, weil ich die Christalle der Außenposten
regelmäßig nachstimme. Aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Mein Schirm
ist groß genug, um zwei Personen ohne Hilfe des großen Schirms zu
transportieren, sofern er sauber gestimmt ist. Ich werde ihn nachstimmen und
nur mit seiner Hilfe reisen."
"Gott - das arme Mädel wird dich für Gott persönlich halten oder so
ähnlich, wenn du das hinkriegst. Wo hast du das gelernt?"
"In früheren Leben. Und keine Sorge - ich werde sie über ihren Irrtum aufklären."
"Wann bist du so weit, dass du die ersten Schüler ausbilden kannst?"
"In drei Wochen werde ich die Linuartina besuchen. Bis dahin kann ich
keine Störungen gebrauchen. Danach sind mir Schüler willkommen."
"Gut - ich wüßte jemanden, den ich dir schicken möchte."
"Gut. Dann bis in drei Wochen."
Ich kehrte zu meinem Außenposten zurück, dann verstärkte ich zusammen
mit meinem Schüler den Schleier und reinigte die Räume wieder und wieder. Nach
jedem Reinigen der Räume reinigten wir uns zuerst gegenseitig und stimmten dann
die Lichtkristalle nach. Nach drei Wochen war die Energie so rein, dass ich
ohne Anstrengung jedes einzelne Atom innerhalb des Schleiers gleichzeitig
bewußt wahrnehmen konnte und dass wir gegenseitig unsere Gedanken beinahe
automatisch lasen.
Danach stellten wir beiden eine Verbindung zu den Räumen der Linuartina
her - überprüften, ob sie Gäste empfangen konnte und versetzten unsere Körper dorthin.
Der Gesichtsausdruck des Mädels war malerisch. Sie begrüßte mich mit einer
Geste, die wir normalerweise nur für ganz hohe Eingeweihte reservieren.
"Laß man Kind. Ich
bin nur der Hüter eines unbedeutenden Außenpostens und wurde deshalb von deinen
Türhütern nicht eingelassen. Sonst hätte ich mich wohl eines weniger erlauchten
Verkehrsmittels bedient, um dich zu besuchen." antwortete ich ihr
schmunzelnd."
Sie hob neugierig den Blick und begann zu grinsen. Offensichtlich war ihr Leben
doch etwas zu langweilig für das fünfzehnjährige Ding, das sie war.
"Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?" fragte ich.
"Komm in mein Schlafzimer. Sie werden es nicht wagen, mich dort zu stören,
auch wenn sie mich sonst behandeln wie ein kleines Kind."
"Du bist ein Kind - und eine Eingeweihte. Von ersterem wissen sie, was es
bedeutet, von letzterem nicht so richtig. Das ist dein Problem."
"Ja. Ich werde hier gehalten wie eine Gefangene nur damit ich meine
Energien nicht verunreinige."
"Wir sollten vielleicht den großen Schirm nachstimmen, damit du jederzeit
die Außenposten besuchen kannst. Die sind inzwischen dauerhaft rein genug, dass
du den Tempel dadurch nicht verschmutzt."
"Oh ja..." ein träumerischer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
Mir wurde bewußt, dass ich, wenn das herauskäme, mehr Ärger bekommen würde, als
ich mir je hätte träumen lassen.
Kurz teilte ich ihr meine Pläne zur Ausbildung von Menschen zu
Eingeweihten mit. Und ich machte sie darauf aufmerksam, dass mein Diener längst
ein Eingeweihter war.
"Aber du hast doch selbst nur die niedere Tempelausbildung. Laß mich
wenigstens nachprüfen, ob dir nicht ein wesentlicher Fehler unterlaufen
ist." bat sie.
"Lies meinen Geist. Du solltest nicht nur überprüfen, ob meine Absichten
lauter sind sondern auch, ob meine Schlußfolgerungen stimmen. Selbst wenn wir
uns gegenseitig ständig beraten, machen wir Menschen noch mehr als genug
Fehler." sagte ich.
Wie ihre Vorgängerin war auch sie so gut geschult, dass die gründliche
Geistlesung, die sie bei mir machte, mich nicht belastete, sondern im Gegenteil
mir sogar half, meinen Geist etwas besser zu ordnen. Nachher hatte sie mehrere
Verbesserungsvorschläge parat, die wir in unsere Pläne einbauen konnte und
versprach mir, mit den Linaurtinen der anderen großen Tempel unsere Pläne zu
besprechen.
"Weißt du, wir alle sind der Ansicht, dass es dringend notwendig
ist, Menschen auszubilden. Aber wir kommen gegen die halbeingeweihten Priester
nicht an. Sie lassen es einfach nicht zu, dass uns Menschen nahe kommen."
"Gut. Wir bilden also auf Außenposten aus - und stimmen die Schirme so
gut, dass wir uns gegenseitig besuchen können. Außerdem werde ich mich noch um
die Außenposten des Nachbargebiets kümmern." beschloß ich.
Es herrschte Mangel an gutausgebildeten Priestern in den Tempeln und im Land.
Ich unterhielt mich mit vielen darüber, organisierte, dass, wer immer dazu
fähig war, Leute aus dem einfachen Volk in den Grundlagen, die im niederen
Tempel gelehrt wurden unterrichtete, um diesen Mißstand zu beheben. Diejenigen
aber, die zu einer hohen Tempelausbildung fähig waren, holte ich in meinen
Außenposten und bildete sie mit Hilfe meiner Erinnerungen aus früheren Leben zu
hohen Priestern aus. Es waren wenige, aber besser als niemand.
Der erste Teil wurde von denen, die ich nicht eingeweiht hatte,
allgemein als mein Hobby betrachtet und belächelt. Der zweite Teil aber war
geheim.
Der Tempelwächter Haradorn empfing den jungen Priester in seinem Raum
und bot ihm höflich einen Platz an.
"Jedirith, du fragst dich wahrscheinlich, warum ich dich habe rufen
lassen. Wir haben Schlimmes über deinen Bruder erfahren. Er hat die Zurückgezogenheit
seines Außenpostens genutzt um mit Hilfe einer abtrünnigen Linuartina ein
ganzes Heer an Gegenbewahrern auszubilden, mit denen sie die Tempelhierarchie
absetzen wollen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, was das für ein Chaos
geben würde, kämen sie damit durch. Du bist der einzige der das verhindern
könnte, denn dir vertraut er." teilte Haradorn meinem Bruder mit.
"Das glaube ich nicht!" protestierte mein Bruder.
"Komm lies meinen Geist." erwiderte der Wächter und kniete vor ihm
nieder.
Mein Bruder machte von dem Angebot gebrauch und was er dort sah,
überzeugte ihn, dass die Anschuldigung zu Recht bestand.
Ich spüre durch den Schleier die Ankunft eines Flugwagens und trete
hinaus um den unerwarteten Gast zu empfangen. Zu meiner großen Freude sehe ich
meinen geliebten kleinen Bruder. Ich gehe auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Dann
jedoch sehe ich ihm in die Augen und spüre was er vorhat.
Es ist wie ein Schock. Ich bin entsetzt, dass gerade er mir so etwas antun
will. Ich fahre herum, um wegzulaufen. Doch ein Gedankenblitz wie aus Feuer und
Eis schlägt nach mir und reißt mich von den Füßen. Ich falle hin, kann mich
nicht mehr rühren.
Ich bündele meine Gedanken, berühre seinen Geist und frage:
"Warum tust du mir das an? Warum gerade du?" und ich lasse ihn
spüren, wie verletzt ich mich fühle.
"Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Hochverrat wird bestraft, wie er
immer bestraft wurde."
"Was ich tat, war notwendig, um das Land zu schützen. Lies meinen Geist
und prüf nach." bat ich.
"Das hättest du wohl gerne - damit deine Spießgesellen dich befreien
können!"
Er hob meinen Körper auf und legte ihn in seinen Flugwagen. Dann flog er los.
Während des Fluges störte ich ihn nicht, da ich keine Unfälle provozieren wollte.
Am Tempel wird er von Haradorn, dem Tempelwächter empfangen. Auch ihn
bitte ich telepatisch meinen Geist zu lesen, damit er weiß, warum ich so
gehandelt habe, wie ich es tat.
"Nichts da. Hochverrat wird von König persönlich untersucht."
antwortet er und stieg zu meinem Bruder ins Flugauto.
In dem Augenblick kommt die junge Linuartina heraus und sagt:
"Wenn du ihn bestrafen willst, mußt du auch mich bestrafen. Mir ist jede
seiner Entscheidungen bekannt gewesen und ich habe sie unterstützt."
forderte sie.
"Dann steig ein." befahl der Tempelwächter.
Sie gehorchte. Ich hätte sie am Liebsten geohrfeigt. Ich hatte ganz bewußt
darauf geachtet, dass alle Spuren zu mir und nur zu mir führten. Die
Linuartinen durften sich nicht in Gefahr bringen! Änderungen in den Meinungen
des Volkes gehen nicht so schnell vor sich. Wenn sie mich unterstützten, wären
die Folgen für das Land nicht abzusehen.
Der König war mein Vater. Als der Flugwagen im Palast landete, trat er
zu uns und war entsetzt, mich als Gefangenen zu sehen. Auch ihn bat ich
telepathisch, meinen Geist zu lesen, damit er meine Gründe für meine Handlungen
verstehen konnte.
"Das werde ich tun. Aber glaub nicht, dass ich Gnade walten lasse, nur
weil du mein Sohn bist." antwortete er.
"Das erwarte ich auch nicht." antwortete ich.
Tatsächlich war ich mir beinahe sicher, dass er meine Beweggründe nicht
verstehen würde. Er hatte nicht genug geschichtliches Hintergrundwissen, um
einschätzen zu können, wie stark die Tempel unterbesetzt waren und wie wichtig
es war, dass wir wieder mehr wurden. Also würde meine Arbeit als Hochverrat
bestraft werden.
Er bekam von Haradorn einen kurzen Bericht über die Gründe meiner
Gefangennahme. Dann hob Mein Vater mich auf und trug mich in das Krankenzimmer,
wo er mich auf der Behandlungsliege festschnallte. Sobald wir alleine waren,
berührte er meinen Geist und ich holte ihn herein.
Er sah sich in der Halle mit den vielen Türen um, die immer mein inneres
Bild für meinen Geist ist. Dann sah er mich an. Der geistige Angriff meines Bruders
hatte meinen Geistkörper verletzt, so dass meine dunkelblaue Kleidung zerfetzt
war und meine Beine bis zu den Knien zerfetzt waren. Ich richtete mich auf den
Knien auf - zum Heilen war jetzt keine Zeit und grüßte ihn.
"Du mußt nicht denken, dass du mich mit diesen vielen Türen beeindrucken
oder mit deinem Aufzug mein Mitleid wecken kannst." teilte er mir mit.
"Ich habe Besseres zu tun, als extra für dich ein Theaterstück zu
inscenieren." gab ich ärgerlich zurück.
Dann konzentrierte ich mich auf meine Beine, heilte sie und richtete mich auf.
"Das solltest du aber - du stehst unter der Anklage des Hochverrats."
"Das ist mir durchaus bewußt. Trotzdem spiele ich nicht Theater. Nicht
alle Teile meines Geistes sind von dieser Halle aus direkt zu erreichen. Wohin
soll ich dich führen?"
"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich auf deine Führung verlasse?"
"Wie du meinst." gab ich zurück.
Das konnte ja heiter werden.
"Ich finde auch ohne deine Hilfe, was ich suche." behauptete er.
"Richtig. Du findest was du suchst. Aber ob das dann die Wahrheit ist?"
"Rede nicht wie ein Hochgeweihter! Du wurdest aus guten Gründen aus dem
Tempel verbannt."
"Ich bin ein Hochgeweihter. Und zu den Gründen bin ich anderer Ansicht,
auch wenn ich zugeben muß, dass es im Endeffekt gut ist, dass es geschehen ist."
antwortete ich.
"Wer hat dich geweiht?"
"Ich bin einfach den Pflichten eines Außenpostens nachgekommen. Wenn man
das gewissenhaft tut, führt das zwangsläufig zu einer hohen Weihe. Deshalb
hatten die Außenposten traditionell auch das Recht in die Akascha-Chronik zu
gehen, und dort so viel zu lesen, wie sie wünschten." antwortete ich.
"Du lügst. Dazu sind sie nie berechtigt weil sie viel zu unsauber sind."
"Schau nach. Deshalb bist du hier. Und ich hoffe, du lernst etwas daraus."
Ich war mir sicher, dass er nicht schnell genug lernen würde, um mir die Strafe
zu ersparen, die auf Hochverrat stand. So schnell geht so etwas nie.
Er konzentrierte sich kurz, versuchte zu erspüren, wo die gesuchte
Information war und ging dann auf glatte Wand zu. Ich ließ an der entsprechende
Stelle eine Tür entstehen und ließ ihn ein. Hinter ihm schloß ich die Tür.
"Laß die Tür offen - ich will mich nicht verirren." befahl er mir.
"Notfalls führe ich dich raus. Offene Türen werden dem Geist zum Problem."
"Du wirst nach dem Urteil sowieso keinen Bedarf an geschlossenen Türen
mehr haben." teilte er mir mit.
"Normalerweise macht man erst eine Geistlesung und verurteilt dann."
kommentierte ich bissig.
"In deinem Fall sind die Beweise klar. Du wolltest die Geistlesung. Wer
sind deine Spießgesellen?"
"Schau doch nach, ob du sie findest." gab ich zurück.
Ich wußte, er würde mein Wissen darüber nicht finden, denn ich hatte es so in
meinem Geist versteckt, dass selbst ein viel besser ausgebildeter Mann Schwierigkeiten
gehabt hätte, diese Informationen zu finden. Ich hinderte ihn daran, die
Identität meiner Schüler herauszufinden, denn wie ich vermutet hatte, suchte er
nur nach Beweisen für die Richtigkeit seiner Vorverurteilung. Auf meinen
Wunsch, dass er doch mal nachschauen möge, warum ich das alles getan hatte,
ging er nicht ein. Und Beweise, dass es richtig war, gab es genug. Ich hatte es
ja tatsächlich getan - weil es notwendig war.
Schließlich verließ er frustriert meinen Geist und behauptete:
"Ich weiß genug."
Ich sah ihn wortlos an und wußte, er hatte nichts verstanden. Also würde er
mich als Verräter bestrafen, denn in seinen Augen hatte ich das Höchste
verraten, was er kannte. Schweigend folge ich ihm mit den Augen. Jedes weitere
Wort wäre sinnlos gewesen.
Er zog ein Gerät über meinen Kopf und stellte es an. Das Gerät zerschlug
unter grausamen Schmerzen die Energie meines Geistes in winzige Fragmente.
Danach war alles in meinem Geist nur noch grauer Staub. Die übliche Strafe für
Hochverrat, denn es machte mich völlig unfähig zu höheren Gedanken und zu
Telepathie. Mit einer Geistfalle werde ich an meinen Körper gebunden.
Danach finde ich mich in einer sinnlosen, grauen Welt ohne Freude. Ich
kann nichts sehen, nichts wahrnehmen als diese gestaltlose Gräue. Ziellos irre
ich durch eine endlose graue Ebene und empfinde nichts. Keine Gefühle, keine
Freude, keinen Schmerz, keine Angst - ja nicht einmal körperliche
Wahrnehmungen. Alles ist leer und bedeutungslos. Ich hatte sogar vergessen,
dass ich je etwas anderes empfunden hatte als diese graue Leere.
Als der König aus dem abgeschirmten Raum herauskommt, wo er meinen Geist
gelesen und zerstört hat, sieht er wie mitten im Raum eine Linuatina auftaucht.
Kurz darauf erscheint die nächste. Dann noch eine. Ungläubig beobachtet er, wie
nach und nach jede einzelne dieser Hüterinnen des Lichts mit ihren roten
Gewändern in seinem Trohnsaal aus der Leeren Luft erscheint. Kurz darauf taucht
einer der Hüter eines Außenpostens auf. Dann noch einer, bis etwa doppelt so
viele Personen anwesend sind. Danach erscheinen Menschen in einfachen Gewändern
und knieen sich vor die Linuartinen.
Wortlos beobachtete der König das unerhörte Geschehen. Seit Generationen
hatte - so weit er wußte - niemand mehr seinen Körper so von Ort zu Ort
versetzen können, wie diese Leute es taten. Ganz davon abgesehen, dass der
einen Hälfte von ihnen das Verlassen der Tempel oder ihrer jeweiligen
Außenposten verboten war während die andere Hälfte keinen Tempel betreten
durfte.
"Sie wollen mich absetzen." dachte er, erwartete, dass sie ihn mit
ihrer bloßen geistigen Macht töten würden. Doch statt dessen stellte die
älteste Linuartina lediglich eine Frage:
"Wo ist Jarthi?"
"Er bekommt die Strafe, die er für seinen Hochverrat verdient hat."
antwortete der König und rief heimlich, meinte er, die Palastwache.
"Wenn ich sie nur noch ein bißchen hinhalten kann, kann ich sie besiegen."
dachte er.
"Jarthi hat keine Strafe verdient. Er ist derjenige, der die Tempel
reformiert hat, so dass wir wieder genug Leute haben, um unsere Aufgaben zu
erfüllen wie früher. Wenn du ihn bestrafen willst, dann mußt du uns alle
bestrafen, denn wir alle sind über jede seiner Handlungen informiert und stehen
zu ihm." sagte sie.
Die Wachen setzten die telepathischen Zerhacker in Gang, so dass die
Linuartinen so wehrlos waren, wie jeder andere auch. Der König atmete
erleichtert auf.
"Er ist längst bestraft." sagte er.
"Laß ihn frei. Er hat keine Strafe verdient!" sagte eine der Frauen.
Die Wachen stürmten in den Saal und nahmen sie gefangen, führten sie ab
in die Kerker des Palastes. Die Linuartinen gingen widerstandslos und
schweigend mit. Da sie ihr Leben lang in der behüteten friedlichen Welt der
Tempel gelebt hatten, hatten sie ein Vertrauen in die Gerechtigkeit und die
Bereitschaft zu friedlichem Handeln im Land, das längst nicht mehr
gerechtfertigt war.
Der König versuchte, aus ihnen herauszufoltern, wer ihre Rädelsführer seien,
doch sie sagten nur, dass sie alle die Tatsachen in der Chronik gelesen hätten
und gemeinsam die Entscheidung trügen. Jeder der hier sei, wäre das aus eigener
Entscheidung. Sie ließen die Foltern mit bemerkenswerter Gleichmütigkeit über
sich ergehen und sagten kein einziges böses Wort zu den Folterknechten. Doch
von Zeit zu Zeit baten sie, ihre Arbeit im Tempel tun zu dürfen, denn sonst
würde es eine Mißernte geben. Die Bitte wurde ihnen nicht gewährt und es gab
eine Mißernte. Daraufhin probte das Volk den Aufstand, denn sie litten Hunger.
Schließlich schickte der König einen Teil der Linuartinen mit den Hütern
der Außenposten und ihren menschlichen Schülern in die Tempel zurück, einen
Teil aber behielt er in den Kerkern, mit der Drohung sie zu Tode zu foltern,
sollte es eine zweite Mißernte geben.
Von Stund an war das Wetter wieder, wie es sein sollte. Das Volk aber
feierte ein großes Fest, wegen der Rückkehr der Hüterinnen. Und der König
glaubte nun, das ganze Volk gegen sich zu haben.
Mein Bruder aber, der das Leben im Tempel viel besser kannte als mein
Vater begann nachzudenken. Der König zwang ihn, bei den Foltern dabei zu sein
und verlangte von ihm, er solle Geistlesungen machen.
Mein Bruder gehorchte in dem Wissen, dass die Frauen ihn jederzeit aus
ihrem Geist hätten herausschleudern können, wenn sie das versucht hätten.
Stadtdessen hießen sie ihn immer in ihrem Geist willkommen.
Er dachte über die Dinge nach, die er dabei erfuhr und ihm wurde bewußt,
dass sein Vater sich irrte, wenn er hinter ihren Entscheidungen eine Rebellion
vermutete. Sie hatten eine Aufgabe - und sie hatten sich lediglich bemüht, die
Entscheidungen zu treffen, die notwendig waren, um ihre Pflichten im Dienste
des Volkes zu erfüllen.
Eine Revolution würde aber zu viel im Land zerstören, so dass sie das
von sich aus nie in Betracht gezogen hätten. Mein Bruder Jeredith begriff auch,
was ich vorgehabt hatte - dass ich bereit gewesen wäre, zu sterben und jede
andere Strafe widerspruchslos zu akzeptieren, um den Plan zur Ausbildung von
Menschen für die Tempel geheimzuhalten, bis mein Bruder den Trohn übernommen
oder ihn von der Notwendigkeit dieser Aufgabe hätte überzeugen können, weil ich
die Ängste meines Vaters von vorneherein richtig eingeschätzt hatte.
Doch die Linuartinen waren mir hatten gegen meinen ausdrücklichen Willen
zu mir gestanden.
All die Zeit lebte ich in einer sinnlosen grauen Scheinwelt, ohne fühlen
zu können, ohne meinen Körper wahrnehmen zu können. Als die Linuartinen wieder
in die Tempel zurückgekehrt waren erst, bemühten sie sich, mich wieder ins
Bewußtsein zurückzurufen.
Das Nächste, was ich spüre, ist Schmerz. Ein Peitschenhieb. Aber ich
erlebe es nicht als etwas Schlimmes sondern einfach als so ein "Huch, da
ist ja etwas." Ich schaue hoch und mein Bruder steht mir gegenüber. Früher
konnte ich immer seine Gefühle spüren, als wären es meine eigenen. Jetzt sehe
ich nur noch sein Gesicht und es erscheint mir leer. Ich fühle mich immer noch
leer. Nur die Schmerzen von den Peitschenstriemen auf meinem Rücken stechen
grell aus dieser Leere hervor. Ich finde das Gefühl der Schmerzen interessant.
Gleichgültig höre ich zu, wie mein Bruder etwas sagt. Ich verstehe es nicht. Er
nimmt wieder seine Peitsche und schlägt zu.
"Dreh die Mühle." befiehlt er scharf.
Jetzt habe ich es verstanden. Doch mir fehlt der innere Antrieb, auch zu
gehorchen. Ich sehe ihn nur gleichgültig und stumpf an. Wieder schlägt er,
wieder und wieder und wiederholt mit jedem Schlag seinen Befehl, bis ich
aufstehe und schließlich doch tue, was er sagt. Langsam fühlt sich mein Rücken
nämlich nicht mehr interessant, sondern unangenehm an.
Ich nehme weder den Boden unter meinen Füßen, noch die Stange, an der
ich ziehem muß, richtig wahr. Es reicht, dass ich einen Fuß vor den anderen
setzen und diese Arbeit tun kann, solange jemand mit der Peitsche hinter mir
steht, und mich immer wieder antreibt - aber es erscheint mir nicht richtig
real.
Abends, nachdem er mich zu dem für mich vorgesehenen Strohlager gebracht
hat - mein augenblicklicher Zustand macht ein Bett für mich eher zu etwas
Schädlichem, weil es mir weniger Sinneswahrnehmungen beschert als ein
Strohlager - zieht mein Bruder sich in sein Bett zurück und beginnt zu weinen.
Erst im Verlauf dieses Tages, wo er mit der Peitsche hinter mir hatte
stehen müssen, ist ihm klargeworden, wie sehr er mir Unrecht getan hat. Und
jetzt konnte er es nicht wieder gut machen.
Zur Vorgeschichte muß man wissen, dass sie vorher alles versucht haben,
um mich irgendwie wieder zu erreichen und nichts hat gewirkt. Und Schmerz war
dann das letzte Mittel, mich irgendwie ins Leben zurückzurufen.
Einige Tage später mußte mein Bruder und ich vor Gericht erscheinen.
Zuerst wurde ich gefragt, was geschehen sei, aber ich habe nicht einmal die
Frage mitbekommen sondern nur nebelhaft erahnt, dass da jemand mit mir spricht.
(Ich beschreibe jetzt aus der Sicht meines Bruders, weil ich wirklich nahezu
nichts mitbekommen habe.)
Mein Bruder sagte: "Darf ich für meinen Bruder sprechen, denn ich
bin dafür verantwortlich, dass er jetzt in diesem Zustand ist." Das wurde
ihm erlaubt und er hat dann meine Tat berichtet, so gut er es herausgefunden
hatte.
Ich merkte, dass von ihm irgendetwas Freundliches ausging und habe ihn
umarmt. Er hat die Umarmung erwidert und mich gestreichelt, heilfroh, dass ich
das erste mal nach seinem Angriff auf mich auf ein Gefühl reagiert hatte.
Verstanden aber hatte ich nichts von seinen Worten.
Das Urteil, was sie sprachen war, dass ich keinen Schaden mehr anrichten
könne, so zerstört wie mein Geist sei. Deshalb würden sie dem, was ich an
Schicksal auf mich gezogen hätte, nichts hinzufügen und nichts entfernen. Aber
ich würde in eine einsame Gegend verbannt und müßte dort für den Rest meines
Lebens als Einsiedler leben.
Ich verstand die Worte des Urteils nicht, noch hatte ich Erinnerung wer
ich vorher gewesen war und was ich gewollt hatte. Doch mein Bruder stand auf
und sagte, nach dem Gesetz stünde mir ein Begleiter zu, der bereit sei, mein
Exil mit mir zu teilen. Er sei für meine Gefangennahme verantwortlich, also
wolle er mich auch ins Exil begleiten. Also wurden wie gemeinsam an eine
einsame Meeresküste gebracht.
Der Glaube der Menschen, die mich ins Exil geschickt hatten, erwies sich
als Irrtum. Es gelang mir meinen Geist wieder zu etwas ganzem zusammenzufügen.
Doch das Land, das ich durch meine Arbeit hatte schützen wollen, wurde
zerstört.
Autorin: K. Nebelsiek
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